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Ukrainische Wahlen werden zu Angelegenheit Russlands und der USA

Immer mehr Anzeichen sprechen dafür, dass trotz allem Präsidentschaftswahlen in der Ukraine stattfinden werden. Warum wird es für das Oberhaupt des Kiewer Regimes schwierig sein, sie zu vermeiden, wer wird an den Wahlen teilnehmen und wie wird das Ergebnis ausfallen?
Ukrainische Wahlen werden zu Angelegenheit Russlands und der USAQuelle: AP © Zoya Shu

Von Wassili Stojakin

Ende vergangener Woche stellte die Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine den Volksabgeordneten der Werchowna Rada Wadim Nowinsky unter Verdacht. Nowinsky selbst hält sich in Europa auf, doch sein Vermögen – er ist Geschäftspartner des reichsten Mannes der Ukraine, Rinat Achmetow – befindet sich in der Ukraine.

Nowinsky wird vorgeworfen, "Narrative des Kremls" über Religionsfreiheit (beziehungsweise deren Abwesenheit) in der Ukraine verbreitet zu haben. Tatsächlich ist er ein langjähriger und konsequenter Verteidiger der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche, wofür ihn Ex-Präsident Pjotr Poroschenko einst als "orthodoxes Miststück" beschimpfte. Nowinskys angebliche Verbrechen wurden am Vortag der Taufe Jesu gemeldet – anscheinend, um die Haltlosigkeit der Anschuldigungen zu betonen, ganz im Sinne des gegenwärtigen ukrainischen Regimes.

Doch es scheint um etwas anderes zu gehen. Nowinsky war einer der Hauptgeldgeber der angeblich prorussischen Opposition in der Ukraine. Es gingen Gerüchte um, dass er selbst an den Präsidentschaftswahlen teilnehmen könnte. Insgesamt scheint offensichtlich, dass das Strafverfahren aus politischen Gründen, und zwar aus Wahlkampfgründen, eingeleitet wurde. Und es ist nicht das einzige Anzeichen dafür, dass sich die ukrainischen Eliten aktiv auf die Wahl des Präsidenten des Landes vorbereiten.

Wann Präsidentschaftswahlen in der Ukraine stattfinden werden

Im Grunde hätten die Parlamentswahlen in der Ukraine am 29. Oktober 2023, und die Präsidentschaftswahlen am 31. März 2024 stattfinden sollen. Unter Kriegsbedingungen würden indes keine Wahlen durchgeführt, daher würden sie ausgesetzt, hieß es. In Wirklichkeit hätten Präsidentschaftswahlen stattfinden müssen, denn am 20. Mai war Selenskijs Präsidentschaftsmandat abgelaufen. Doch dieser Umstand wurde sowohl vom "Garanten" der ukrainischen Verfassung selbst, als auch vom kollektiven Westen ignoriert.

Im Jahr 2025 hat sich die Lage geändert – zum Präsidenten der USA wurde Donald Trump gewählt, der konsequent behauptet hat, ein Ende des Konflikts in der Ukraine erreichen zu wollen. Ein Ende des Krieges bedeutet auch eine Aufhebung des Kriegszustands und hebt damit die Einschränkungen für die Durchführung von Wahlen auf. Die Zeitschrift The Economist schrieb, dass das Jahr 2025 in der Ukraine zum Wahljahr wird.

Freilich hat es die Ukraine nicht eilig. Der Abgeordnete Jaroslaw Jurtschischin von der Fraktion Golos (Stimme), die in vielen Angelegenheiten radikalere Positionen als die Regierung einnimmt, behauptet, dass der Kriegszustand nicht gleich nach der Einstellung der Kampfhandlungen aufgehoben werden könne.

In Wirklichkeit ist die Lage komplizierter: Russland erkennt die Legitimität des ehemaligen ukrainischen Präsidenten nicht an und kann folglich keinen Friedensvertrag mit ihm unterzeichnen. Somit hört die Durchführung der Wahlen in der Ukraine auf, eine innere Angelegenheit der Ukraine zu sein und wird zum Verhandlungsgegenstand zwischen Russland und den USA. Folgich wird die amtierende ukrainische Regierung es nicht mit Wählern, die alles verzeihen, zu tun haben, sondern mit Trump, der sich bisher entschlossen gezeigt hat. Es bleibt abzuwarten, ob der US-Präsident aber auch entschiedene Taten folgen lässt.

Aber selbst im Falle einer aktiven Haltung Trumps wird es laut The Economist kaum möglich sein, die Wahlen vor dem 25. Mai durchzuführen, auch wenn die Wahlkampagne nach dem Gesetz drei Monate beträgt. Ukrainische Quellen berichten, dass es realistischer wäre, die Wahlen für August zu planen. Die Gründe dafür liegen nicht allein im banalen Unwillen Selenskijs, es gibt auch juristische und organisatorische Probleme.

Was die Durchführung von Wahlen in der Ukraine stört

Erstens ist unklar, unter welchen Bedingungen die Wahlen stattfinden werden. Es ist beispielsweise möglich, dass es nicht gelingen wird, ein Ende der Kampfhandlungen und einen Waffenstillstand zu erreichen. Dann wird das Wahlgesetz geändert werden müssen, um eine Durchführung von Präsidentschaftswahlen im Kriegszustand zu ermöglichen.

Zweitens muss die Arbeit des Wählerregisters wieder aufgenommen werden. Das elektronische Register wurde gleich zu Beginn der Kampfhandlungen abgeschaltet, damit der bösartige "Aggressor" es nicht zu eigenen Zwecken nutzen konnte. Wäre es damit getan, das Register einfach wieder einzuschalten, stellt sich die Frage, wozu es denn abgeschaltet wurde. In jedem Fall entspricht das alte Register in keinem Punkt der Realität – weder im Hinblick auf das erfasste Territorium, noch bei der Anzahl der registrierten Wähler. Es wird also faktisch neu eingerichtet werden müssen.

Drittens muss die Frage nach der Stimmabgabe der Flüchtlinge gelöst werden. Nach Schätzungen der ukrainischen Seite leben etwa vier bis fünf Millionen Flüchtlinge im Inland und weitere fünf bis acht Millionen im Ausland. Zuvor betrug die Gesamtzahl der Wähler in der Ukraine etwa 35 Millionen Menschen.

Darüber hinaus muss die Frage mit der Stimmabgabe der Militärangehörigen, darunter auch an der Frontlinie, gelöst werden. Die einfachste Variante wäre die Einführung einer Briefwahl oder einer elektronischen Wahl, doch dies allein erfordert schon ziemlich viel Arbeit. So wird etwa in Russland die elektronische Stimmabgabe seit 2019 getestet, doch während des jüngsten Wahltags am 8. September 2024 waren auf föderaler Ebene lediglich 25 Regionen davon erfasst. Die elektronischen Dienstleistungen sind in der Ukraine durchaus fortgeschritten, doch es ist nicht zu erwarten, dass das ukrainische Ministerium für Digitalisierung augenblicklich sämtliche Probleme lösen wird, die jahrzehntelange Arbeit erfordern.

Viertens muss die Frage nach den Wahllokalen gelöst werden. Üblicherweise werden sie in diversen öffentlichen Bildungs- oder Verwaltungsgebäuden untergebracht. In frontnahen Gebieten wurden solche Gebäude allerdings massenhaft als Unterkünfte für Militärformationen genutzt und sind oft zerstört.

Insgesamt ist der Aufgabenumfang riesig. Die Politiker glauben dennoch, dass die Wahlen stattfinden werden. Angaben über die Arbeit diverser Wahlkampfbüros erscheinen seit Ende 2023.

Wer an den Wahlen teilnehmen wird

Inzwischen hat die Aktivität der Politiker zugenommen. Ein Beispiel dafür ist das "Erwachen" des Ex-Chefs der in der Ukraine inzwischen verbotenen "Oppositionsplattform", Juri Boiko. Er erinnterte daran, dass er auch so etwas wie ein Oppositioneller sei. Der Auftritt war wahrscheinlich vom ukrainischen Präsidialamt genehmigt und stellt ein Element der Bildung einer "zahmen" Opposition dar.

Aktiv kritisiert die amtierende Regierung der ehemalige Sprecher des Präsidialamts Alexei Arestowitsch, der sich im Westen versteckt hält. Übrigens kündigte er mehrmals seine Bereitschaft an, an Präsidentschaftswahlen teilzunehmen. Und es ist durchaus wahrscheinlich, dass dies ebenfalls ein Projekt des gegenwärtigen Präsidialamtes ist.

Ebenfalls sehr aktiv in den Medien ist der Blogger Anatoli Scharij, der früher eine eigene – inzwischen verbotene – Partei leitete. Eine Absicht, an den Wahlen teilzunehmen, kündigte er bisher nicht an, doch es werden sich sicherlich Menschen finden, die ihn darum bitten werden.

Unglaublich aktiv ist dagegen Julia Timoschenko. Man beachte nur ihre jüngste Äußerung:

"Von nun an werden die Richter des Verfassungsgerichts, die verfassungsgemäß vom Präsidenten, vom Parlament oder einem Richterkongress ernannt werden sollen, vorläufig von einem internationalen Rat gewählt. Der Präsident, das Parlament und der Richterkongress werden nur Personalentscheidungen bewilligen, die außerhalb der Ukraine getroffen wurden. Eine absolute Verletzung des Völkerrechts, die die Ukraine in den Status einer rechtlosen Kolonie versetzt."

Wir werden Timoschenko nicht daran erinnern, dass sie für eine Verwandlung der Ukraine in eine rechtlose Kolonie des Westens sowohl auf dem Maidan demonstrierte als auch im Gefängnis saß.

Manchmal ist die Aktivität eines politischen oder gesellschaftlichen Aktivisten einfacher an Handlungen zu bewerten, die ihm gegenüber ausgeführt werden. So begannen die Soziologen, den Boxer Alexander Usik in die Umfragelisten aufzunehmen, da er nach einem Sieg über Tyson Fury große Beliebtheit erlangte. Das Ergebnis des Experiments ist bisher unbekannt, doch wird Usik wohl kaum beliebter als die Gebrüder Klitschko werden. Darüber hinaus hat er eine sehr merkwürdige Einstellung: Einerseits ist er ein orthodoxer Aktivist, andererseits schenkt er dem Kämpfer gegen die Orthodoxie Selenskij einen Gürtel und ficht mit einem "Säbel von Masepa".

Bezeichnend ist auch, dass die Kiewer Musterungsbehörde den in London wohnenden Alexei Poroschenko, Sohn des ehemaligen Präsidenten, zu einem Wehrdienstverweigerer erklärt und gegen ihn eine Strafe verhängt hat. Freilich machte Pjotr Poroschenko nie einen Hehl daraus, dass er die Wahlergebnisse 2019 für einen historischen Zufall hält. Allerdings zieht er es vor, über seine "sprechenden Köpfe" zu agieren, wie etwa den beliebten Kritiker des ukrainischen Militärkommandos und Journalisten Juri Butussow.

Zweifellos ist die Hauptfrage bei der Bewertung der Kräfte bei den Wahlen die mögliche Teilnahme des ehemaligen Oberbefehlshabers des ukrainischen Militärs und gegenwärtigen Botschafters der Ukraine in London, Waleri Saluschny. Er gilt als der aussichtsreichste Kandidat. Bisher gab er allerdings weder den Gesandten des Präsidialamtes eine Antwort, die ihm den ersten Platz auf der Liste der Präsidentenpartei (die nicht mehr "Diener des Volkes" sein wird) anboten; noch den Vertreter von Poroschenko und Timoschenko, die eine Unterstützung seiner Kandidatur in Aussicht stellten.

Im Prinip versucht Saluschny nicht, in die Politik einzudringen, er ist ein einfacher Kommisskopf. Doch diesmal scheint er keine Wahl zu haben. Und unter den Bedingungen einer fehlenden Wahl handelt er ganz richtig, indem er den Beginn des Wahlkampfes abwartet, bevor er Bedingungen stellt.

Für eine Bewertung der Kräfteverhältnisse sind soziologische Angaben notwendig, aber die ukrainischen Soziologen veröffentlichen seit 2022 keine Umfragewerte mehr. Auch die Zuverlässigkeit der erhaltenen Angaben lässt viel zu Wünschen übrig. Zu einer Sensation wurde die Veröffentlichung der Umfragewerte der gesellschaftlichen Organisation "Fortschrittliche Rechtsinitiativen", zu deren Zuverlässigkeit man indes nichts sagen kann.

Nach Angaben dieser Umfrage führen dabei Waleri Saluschny mit einem Zustimmungswert von 24 Prozent, Wladimir Selenskij mit 16 Prozent und Julia Timoschenko mit 13 Prozent. Laut anderen Umfragen liegt Saluschny ebenfalls vorn, wenn auch mit einem geringeren Vorsprung. Ukrainische Soziologen, die von der Zeitung Wsgljad befragt wurden, äußerten Zweifel, dass Timoschenko tatsächlich einen dritten Platz belegen könnte.

Somit wird die Ukraine im Jahr 2025 im Hinblick auf Wahlen mit drei Varianten konfrontiert werden. Entweder wird Selenskij selbst auf die Bitte seiner transatlantischen "Partner" seinen Posten verlassen – was das Kräfteverhältnis radikal ändern würde – oder er wird in Folge der Wahlergebnisse seinen Posten an Waleri Saluschny abtreten müssen, dessen Position wackelig sein wird. Das Kiewer Regime könnte auch endgültig zu einer Personaldiktatur von Selenskij werden, ob durch gefälschte Wahlen oder ganz ohne Wahlen.

Freilich könnten die Ereignisse auf dem Schlachtfeld sämtliche Karten neu mischen. Im Fall eines Durchbrechens der Front und einer Kapitulation des ukrainischen Militärs wird das politische System der Ukraine möglicherweise neu erschaffen werden müssen. Doch es wäre zu gewagt, vorauszusagen, dass sich dies im Jahr 2025 ereignen wird.

Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst veröffentlicht bei der Zeitung "Wsgljad" am 20. Januar 2025.

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