Warum die Wette der Ukraine auf "Garantien des Westens" scheiterte
Von Wassili Stojakin
Am 3. Dezember, am Vorabend des 30. Jahrestages der Unterzeichnung des Budapester Memorandums, erklärte das ukrainische Außenministerium, dass die Ukraine mit den im Memorandum vorgesehenen Garantien nicht zufrieden sei und daher verlässliche Garantien in Form einer NATO-Mitgliedschaft fordere. Alternativen kämen nicht infrage.
Von welchen Garantien ist die Rede, die nach Ansicht des Kiewer Regimes sowohl von Russland als auch vom Westen vor 30 Jahren zugesichert wurden, und wofür sollen diese Garantien gelten?
Nach dem Zusammenbruch der UdSSR wurde die "Null-Option" eingeführt, nach der die auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetrepubliken stationierten Militäreinheiten und -formationen der UdSSR-Streitkräfte in deren Unterstellung überführt wurden. Die ehemalige Ukrainische SSR erhielt eine völlig inkongruente Truppengruppierung, deren Anzahl nicht einmal genau bestimmt werden konnte.
Auf dem Territorium dieses Landes mit 52 Millionen Einwohnern waren Truppen mit einer Gesamtzahl von 680.000 bis 980.000 Mann (das heißt von 1,3 bis 1,88 Prozent, während eine Friedensarmee in der Regel höchstens ein Prozent der Bevölkerung ausmacht) stationiert. Die Schwierigkeiten bei der Zählung erklärten sich durch die damalige Ungewissheit über den Status der Schwarzmeerflotte und den Abzug der Truppen aus Osteuropa in die Ukraine (einige befanden sich auf dem Weg in andere Regionen der ehemaligen UdSSR).
Unter anderem erhielt die Ukraine einen Teil des sowjetischen Nuklearpotenzials – die 43. Armee der Strategischen Raketentruppen, die mit 176 ballistischen Interkontinentalraketen bewaffnet war, sowie 38 strategische Bomber Tu-95 und Tu-160 und insgesamt bis zu 4.400 Nuklearladungen für verschiedene Zwecke. Formal wurden sie dem Kommando der GUS-Streitkräfte zur Verfügung gestellt.
De facto konnte die Ukraine dieses Arsenal nicht einsetzen. Es gab keine Kontroll- und Zielbestimmungssysteme (sie waren alle an Moskau gebunden), keine Wartungsinfrastruktur, und allein die Versorgung dieser Truppengruppierung war extrem teuer.
Dennoch gab es im Lande eine Diskussion über die Zukunft der nuklearen Ressourcen unter dem Gesichtspunkt der Verteidigung gegen äußere Aggressionen. Dabei wurde die Beibehaltung von Atomwaffen nicht nur von Nationalisten befürwortet, die bereits damals von einem Atomkrieg mit Russland träumten, sondern auch von Berufsoffizieren. Der Anführer dieser letztgenannten Gruppe war der ehemalige Kommandeur der 46. Raketendivision, Wladimir Tolubko (der heute die Staatliche Universität für Informations- und Kommunikationstechnologien in Kiew leitet).
Die politische Führung der Ukraine, angeführt von Präsident Leonid Krawtschuk, manövrierte. Einerseits unterzeichnete Krawtschuk das Alma-Ata-Abkommen, mit dem taktische Atomwaffen aus der Ukraine abgezogen wurden, und dann den START-I-Vertrag (Vertrag zur Verringerung strategischer Waffen) in Form des sogenannten Lissabon-Protokolls, in dem die Absicht der Ukraine zum vollständigen Verzicht auf Atomwaffen festgeschrieben wurde. Andererseits zögerte er mit dem Abzug der strategischen Nuklearwaffen in der Erwartung, sie für Verhandlungen mit Russland nutzen zu können.
Damals klärten die USA die Situation, indem sie die ukrainische Staatsführung vor die Wahl stellten: entweder Sanktionen zu verhängen, wenn die Ukraine ihre Atomwaffen behält, oder eine Entschädigung zu zahlen, wenn die Ukraine auf ihre nuklearen Kapazitäten verzichtet. Natürlich entschied sich die Ukraine für die zweite Option.
Die Motivation der USA lag auf der Hand: Sie hatten damals große Angst vor der Verbreitung von Atomwaffen im Allgemeinen und vor der Beschaffung von Atomwaffen durch Terroristen im Besonderen. Diese Risiken spiegelten sich sogar in der Filmindustrie wider. In dem Film "True Lies" von 1994 mit Arnold Schwarzenegger in der Hauptrolle geriet beispielsweise eine Nuklearladung aus Kasachstan in die Hände von Terroristen.
Am 14. Januar 1994 wurde ein Abkommen geschlossen, das aus drei Punkten bestand. Die Ukraine sollte Nuklearladungen sowie einige Atomwaffenträger an Russland zur Entsorgung übergeben. Als Ausgleich sollte Russland der Ukraine Brennstoff für Kernkraftwerke im Wert von 160 Millionen US-Dollar überlassen. Die USA sollten der Ukraine im Rahmen des "Cooperative Threat Reduction Programme" (Nunn-Lugar-Programm) rund 500 Millionen US-Dollar für die Waffenentsorgungsarbeiten zur Verfügung stellen.
Am 3. Februar 1994 ratifizierte das ukrainische Parlament den START-I-Vertrag. Am 16. November 1994 trat die Ukraine dem Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen als Nichtkernwaffenstaat bei. Und am 5. Dezember 1994 unterzeichneten die USA, Großbritannien, Russland und die Ukraine (später auch Frankreich und China) auf dem Gipfeltreffen des Rates für die Zusammenarbeit in Europa in Budapest ein Memorandum über Sicherheitsgarantien im Zusammenhang mit dem Beitritt der Ukraine zum Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen.
Die Unterzeichner des Memorandums verpflichteten sich, die Unabhängigkeit, die Souveränität und die bestehenden Grenzen der Ukraine zu respektieren, keine Gewalt und keine wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen gegen sie anzuwenden, keine Atomwaffen einzusetzen und Hilfe zu leisten, wenn die Ukraine "zum Opfer einer Angriffshandlung oder zum Objekt einer Angriffsdrohung wird". Was könnte da also noch schiefgehen?
Erstens: Der Status dieses Dokuments ist ein Memorandum. Wörtlich übersetzt handelt es sich dabei um eine Notiz, damit man nicht versehentlich etwas vergisst.
In der Wirklichkeit hat dieser Begriff natürlich eine andere Bedeutung – es handelt sich um eine übliche Form eines zwischenstaatlichen Abkommens –, aber es impliziert keinerlei Handlungen, geschweige denn Sanktionen für deren Fehlen. Folglich muss es nicht ratifiziert werden. Streng genommen garantiert ein solches Memorandum also nichts. Auch wenn es sich um ein Memorandum über die Garantien handelt.
Zweitens: Der Teufel steckt, wie immer, im Detail. Und in den Details wurde festgeschrieben, dass sich die Garanten verpflichten (!), Gewalt (!) gegen die Ukraine nur im Rahmen der UN-Charta anzuwenden (und die spezielle Militäroperation in der Ukraine verstößt nicht gegen die UN-Charta). Darüber hinaus behalten sie sich sogar das Recht vor, Atomwaffen (!) gegen die Ukraine einzusetzen, falls die Ukraine mit einem Atomwaffenstaat (im Grunde genommen mit jedem NATO-Mitglied) verbündet sein sollte. Mit anderen Worten: Es geht in diesem Memorandum nicht nur um die Sicherheit der Ukraine, sondern auch um die Sicherheit anderer Staaten, einschließlich der Nachbarstaaten der Ukraine.
Wie sollte das funktionieren? Das ist kein Geheimnis. Am 5. März 2014 fand ein Treffen der Außenminister der Ukraine, der USA und Großbritanniens zur Einhaltung des Budapester Memorandums statt (Russland enthielt sich der Teilnahme, weil es nicht verstand, wer die Ukraine nach dem Staatsstreich vertrat). Das Ergebnis dieses Treffens war ein nicht nachvollziehbares Dokument mit der Kernaussage, dass die westlichen Verbündeten das Vorgehen Russlands auf der Krim zwar nicht gutheißen, aber nichts unternehmen würden. Die später verhängten Sanktionen standen nicht im Zusammenhang mit der Einhaltung des Memorandums. Die Beschwerden des ukrainischen Außenministeriums sind also unbegründet – alle Garantenländer sind ihren Verpflichtungen entsprechend dem Memorandum bereits nachgekommen.
Nun verlangt das Kiewer Regime den NATO-Beitritt für die Ukraine. Denn dort gebe es nämlich die besten Garantien.
Schauen wir uns doch einmal den Text des Nordatlantikvertrags (auch bekannt als "NATO-Charta", auf die manchmal Bezug genommen wird) an. In Artikel 5 heißt es, dass jedes NATO-Mitglied im Angriffsfall "unverzüglich die individuellen oder gemeinsamen Maßnahmen ergreift, die es für erforderlich hält".
Paradoxerweise reagieren die NATO-Staaten jetzt auf den Ukraine-Konflikt so, als wäre die Ukraine ein NATO-Mitglied, indem sie "individuelle oder gemeinsame Maßnahmen ergreifen, die sie für erforderlich halten".
Sie erzählen allen, dass sich Russland schlecht verhält, verhängen Sanktionen gegen es und gewähren der Ukraine militärische Hilfe. Trumps Plan, der die tatsächliche (nicht juristische – erwarten wir nicht zu viel von Trump) Anerkennung der Eingliederung eines Teils des ehemaligen ukrainischen Hoheitsgebiets in Russland vorsieht, steht auch nicht im Widerspruch zu den Garantien des Nordatlantikvertrags – die USA handeln so, wie sie es für erforderlich halten. Zugleich erklären sie, dass sie die territoriale Integrität der Ukraine unterstützen.
In dieser Hinsicht ändert die jüngste Information, dass Trumps Plan zur Bewältigung des Ukraine-Konflikts nicht mehr die NATO-Mitgliedschaft für die Ukraine vorsieht, die Situation nicht grundlegend. Vielmehr stellt dies eine Ohrfeige für das ukrainische Außenministerium dar: "Wollt ihr uns die Bedingungen diktieren? Kein Problem. Ihr könnt aber auch ohne die festgeschriebenen Garantien auskommen." Allerdings wurde die derzeitige Unterstützung ursprünglich auch ohne solche Garantien gewährt (die entsprechenden Vereinbarungen wurden inzwischen unterzeichnet).
Zuvor verwies der ehemalige ukrainische Präsident Selenskij auf eine Alternativlösung – wenn nicht die NATO-Mitgliedschaft, dann sollten es Atomwaffen sein, inklusive der Möglichkeit, diese direkt von der NATO zu beziehen. In der Tat sind bereits Leaks aufgetaucht, dass eine solche Diskussion in den USA und der NATO bereits im Gange ist.
Das Interessanteste daran ist die Reaktion der USA auf diese Leaks, und zwar auf die verrückteste Weise, die man sich vorstellen kann. Am 1. Dezember erklärte Jake Sullivan, der Sicherheitsberater des US-Präsidenten, dass die US-Regierung nicht die Möglichkeit in Betracht ziehe, die Ukraine mit Atomwaffen zu beliefern. Mit anderen Worten: Er leugnete nicht, dass solche Option tatsächlich diskutiert wurde.
Ausgehend von den bisherigen Erfahrungen mit der Lieferung verschiedener Waffen an die Ukraine bedeutet Sullivans negative Antwort nicht, dass die Entscheidung tatsächlich negativ war oder von nun an negativ sein wird. Erinnern wir uns an die zahlreichen Dementis der US-Regierung über die Genehmigung der Ukraine, russisches Hoheitsgebiet innerhalb der Grenzen von 1991 mit US-Waffen anzugreifen. Aber selbst der hypothetische Erhalt von Atomwaffen durch die Ukraine würde sie nicht zu einer Sicherheitszone machen – ganz im Gegenteil.
Die Schlussfolgerung liegt auf der Hand: Das einzige Land, das der Ukraine echte Sicherheitsgarantien hätte geben können, ist Russland. Doch die Ukraine lehnte russische Garantien ab.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 5. Dezember 2024 zuerst auf der Webseite der Zeitung Wsgljad erschienen.
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