International

"Alles oder nichts": was das ukrainische Militär plant

Im Donbass herrschen Regen und Schlamm. Felder und Erdstraßen werden selbst für Raupenfahrzeuge schwer passierbar. Dennoch lassen die Kämpfe nicht nach, die Seiten bereiten sich aktiv auf die Winterkampagne vor. RIA Nowosti berichtet über die Lage an der Front.
"Alles oder nichts": was das ukrainische Militär plantQuelle: Sputnik © Jewgeni Bijatow

Von Andrei Koz

Die Befreiung von Städten

In der Donezker Volksrepublik ist die Lage weiterhin angespannt. Während des Sommers und der ersten zwei Herbstmonate sind Russlands Streitkräfte weit nach Westen vorgedrungen und erreichten die Linie Pokrowsk – Selidowo – Kurachowo. Einheiten der Truppenverbände Süd, Zentrum und Ost haben eine Reihe größerer Städte befreit, darunter Krasnogorowka, Ukrainsk, Gornjak, Ugledar und Selidowo. Die Offensive läuft weiter, doch die Armee prescht nicht vor, um die Logistik nicht zu überdehnen.

Nach der Befreiung von Selidowo haben sich die russischen Truppen an zwei Abschnitten konzentriert. An der Nordflanke der viele Kilometer langen Donezker Front kämpft sich der Truppenverband Zentrum zum Ballungsraum Pokrowsk-Mirnograd durch, wo vor dem Krieg über 100.000 Menschen lebten. Das Hauptziel an diesem Abschnitt ist die Stadt Pokrowsk (Krasnoarmeisk) mit einer Vorkriegsbevölkerung von 60.000 Menschen. Über diesen Ort wird aus dem Gebiet Dnjepropetrowsk der ukrainische Militärverband im Donbass versorgt. Kiew verlegt Reserven dorthin und hat offensichtlich nicht vor, die Stadt kampflos aufzugeben. Dort gibt es mehrere Verteidigungslinien.

Freilich ist es wahrscheinlicher, dass die russische Armee sich zunächst mit Kurachowo an der Südflanke befasst. Hier gelang es dem Truppenverband Ost, der zuvor Ugledar, Pretschistowka, Nowoukrainka, Bogojawlenka, Solotaja Niwa und Schachtjorskoje befreit hatte, einen Frontabschnitt von über 50 Quadratkilometer Fläche "einzurollen" und weit nach Norden vorzudringen. Auf Kurachowo können die russischen Truppen dort aus Bogojawlenka über Uspenowka oder aus Jasnaja Poljana über Rasliw vorrücken. Ein Teil der Streitkräfte bewegt sich von Schachtjorskoje nach Westen in Richtung Rasdolnoje, um die Straße, die Kurachowo mit Welikaja Nowosjolka verbindet, abzuschneiden.

Auch der Truppenverband Süd sitzt nicht tatenlos da. Jüngst nahm er Kurachowka ein und brachte damit das ukrainische Militär um einen wichtigen Stützpunkt am Nordufer des Stausees von Kurachowo. Gleichzeitig rücken russische Truppen aus dem Osten von Maximilianowka und Ostrowskoje vor. Anscheinend erwartet Kurachowo das Schicksal von Ugledar, Awdejewka und Artjomowsk (Bachmut). Die befestigte Stadt wird eingekesselt und von der Versorgung abgeschnitten, während der Gegner mit FAB-Bomben in die Keller getrieben und ein schmaler Korridor für Evakuierung gelassen wird. Der Verlust von Kurachowo wird die Versorgung des ukrainischen Militärs aus Richtung des Gebiets Saporoschje unterbinden.

Am zentralen Abschnitt der Donezker Front stürmen die Einheiten des Truppenverbands Zentrum mit Unterstützung von Panzerfahrzeugen Nowoalexejewka vier Kilometer westlich von Selidowo. Am Ostrand dieser Ortschaft wurde bereits die russische Flagge gehisst. Russlands Streitkräfte greifen außerdem Grigorowka aus Wischnjowoje an. Weiter südlich, im Westen von Zukurino, wurde die Kontrollzone bei Nowodmitrowka erweitert.

Auf dem Weg nach Slawjansk

In Tschassow Jar dauern heftige Kämpfe an. Eine allmähliche Einkesselung der Stadt von Norden und Süden bedroht die ukrainische Garnison, deren Hauptkräfte sich im Hochhausgebiet und bei der Fabrik für feuerfeste Ziegel aufhalten. Meldungen zufolge hat das ukrainische Militär Probleme mit Logistik: Die Straßen sind von der Schlammperiode betroffen. Freilich gilt dies auch für russische Truppen, deren Vormarsch sich verlangsamt hat. Das ukrainische Militär hält immer noch Stellungen in der Stadt und kontrolliert die Straßen.

In Torezk (Dserschinsk) laufen die Straßenkämpfe. Russische Verbände haben sich in Schtscherbinowka festgesetzt, einer Siedlung am Ostrand von Torezk. Sobald ukrainische Truppen von dort endgültig zurückgeschlagen werden, wird sich die Garnison von Torezk in einem Kessel wiederfinden. Für einen Rückzug würde damit nur der Korridor nach Konstantinowka bleiben, wobei diese Stadt wohl zum nächsten Ziel werden würde.

Konstantinowka bildet zusammen mit Druschkowka, Kramatorsk und Slawjansk einen großen Ballungsraum, wo das ukrainische Militär starke Verteidigungslinien, Stäbe und rückwärtige Dienste hält. Ein Kampf um diese Städte wird zur Entscheidungsschlacht um den Donbass werden. Freilich verbleibt an der Grenze zwischen LVR und DVR noch die von der Ukraine kontrollierte Stadt Sewersk. Auch sie wird inzwischen bedroht – Russlands Truppen bezogen Stellungen wenige Kilometer nordöstlich der Stadt.

Am Frontabschnitt Kupjansk schlugen sich Einheiten des Truppenverbands West zu Krugljakowka am Ufer des Flusses Oskol durch und nahmen eine wichtige Brücke, über die das ukrainische Militär Verstärkungen heranschafft, unter Feuerkontrolle. Gleichzeitig haben Russlands Luftstreitkräfte einen Flussübergang über Oskol westlich von Kupjansk-Uslowoi zerstört. Bei Krasny Liman begannen die russischen Truppen nach der Befreiung von Nowosadowoje die Kämpfe an den Rändern des Dorfs Terny, das, wie auch Jampolowka und Torskoje zu einem Aufmarschgebiet für die Offensive gegen die Stadt aus Nordosten werden kann.

Gespenst der zweiten Offensive

Im Gebiet Kursk regnet es, die Logistik ist erheblich erschwert. Dennoch treibt das ukrainische Militär weitere Reserven dorthin. Nach Angaben der ukrainischen Seite erhalten die Truppen hier monatelang keine Ablösung. Dazu werden sie zur Erholung nicht ins Gebiet Sumy abgezogen, sondern in den rückwärtigen Kreisen des Gebiets Kursk gelassen, um Desertionen zu verhindern. Letztere stellen ein großes Problem dar – in diesem Jahr wurden 60.000 Strafverfahren gegen ukrainische Militärangehörige eingeleitet, die ihre Stellungen eigenmächtig verlassen haben.

Dabei schließen westliche Medien nicht aus, dass Kiew eine neue Offensive vorbereitet. In den vergangenen Monaten hat das ukrainische Militär über 200 gepanzerte Mannschaftstransporter Stryker aus US-Produktion und 128 französisch produzierte VAB, schwedische Raupenfahrzeuge Pansarbandvagn 302, Bradley-Schützenpanzer und etwa 20 Panzer vom Typ Leopard 2A4 erhalten. Da die Mehrheit der Fahrzeuge einen Radantrieb besitzt, könnte ein Gebiet mit guten oder zumindest asphaltierten Straßen wie etwa die Grenzkreise der Gebiete Brjansk und Belgorod zum Ziel des Angriffs werden.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Ukraine bald nach den Präsidentschaftswahlen in den USA angreift: Kiew muss den neuen Herrn des Weißen Hauses überzeugen, dass das ukrainische Militär noch zu groß angelegten und erfolgreichen Operationen in der Lage sei. Allerdings ist es ein Spiel um alles oder nichts. Sollte die Offensive scheitern, wird die Unterstützung der Ukraine aus Übersee wahrscheinlich abnehmen.

Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen bei RIA Nowosti am 6. November.

Mehr zum Thema Kiew bleibt West-Auftrag treu: Volk der Ukraine zum Selbstmord durch Russlands Armee zwingen

RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.