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Wahlen in Georgien werden Grenzen der europäischen Expansion bestimmen

Georgiens Behörden initiierten erneut den Rücktritt von Präsidentin Salome Surabischwili. Dies erfolgt weniger als eine Woche vor den Parlamentswahlen. Warum sind sie besonders, und aus welchem Grund werden die westlichen Länder diesen Wahlen größte Aufmerksamkeit schenken?
Wahlen in Georgien werden Grenzen der europäischen Expansion bestimmenQuelle: TASS © DAVID MDZINARISHVILI

Von Jewgeni Posdnjakow und Dmitri Alexandrow

Das georgische Parlament hat ein Amtsenthebungsverfahren gegen die georgische Präsidentin Salome Surabischwili eingeleitet. 81 Abgeordnete, deren Unterschriften vom Ausschuss für Verfahrensfragen und -regeln ratifiziert wurden, sprachen sich für den Beschluss aus. Die Volksvertreter werfen der Staatschefin vor, gegen Artikel 52 der Verfassung verstoßen zu haben (ungemeldete Auslandsbesuche).

Dem Dokument zufolge hat der Präsident nur mit Genehmigung der Regierung das Recht, im Ausland repräsentative Befugnisse auszuüben. Der Antrag auf Amtsenthebung wird demnächst an das Verfassungsgericht weitergeleitet, wo die Forderung der Abgeordneten juristisch geprüft wird.

Die amtierende Präsidentin "muss zurücktreten", so der Premierminister der Republik Irakli Kobachidse. Ihm zufolge wird das Verfahren symbolischen Charakter haben, da Surabischwilis Befugnisse bereits im Dezember enden werden. Derzeit sucht die Regierungspartei Georgischer Traum bereits nach einem neuen Kandidaten für das Amt des Staatsoberhauptes.

All dies geschieht vor dem Hintergrund der Vorbereitungen auf die für den 26. Oktober angesetzten Wahlen. So fand am Sonntag eine Kundgebung der Opposition in Tiflis statt, bei der auch Surabischwili eine Rede hielt. Dort meldete sie die Unterstützung des EU-Botschafters Paweł Herczyński für die Opposition und löste damit einen weiteren Skandal im Land aus.

Außerdem äußerte sie Sympathie für die moldawische Präsidentin Maia Sandu. Sie fügte hinzu, dass Chișinău, Tiflis und Kiew gemeinsam der EU beitreten würden. Ihre Worte fielen am Vorabend eines Referendums über die europäische Integration in Moldawien, das mit knappem Vorsprung von den Befürwortern des Westkurses des Landes gewonnen wurde. Die Zeitung Wsgljad analysierte den Wahlkampf im Detail.

So stehen der Regierungspartei vier große Oppositionskoalitionen gegenüber: die Vereinte Nationale Bewegung des ehemaligen Präsidenten Micheil Saakaschwili, die Partei Starkes Georgien des Bankiers Mamuka Chasaradse (Lelo für Georgien), die Koalition für den Wandel des Medienmanagers Nika Gwaramia und die Partei Für Georgien des ehemaligen Premierministers Giorgi Gacharia.

Die Gegner des Georgischen Traums einigten sich bereits auf die Bildung einer "technischen Regierung", um den Beginn der EU-Beitrittsgespräche zu gewährleisten. Im Falle ihres Sieges sind für 2025 neue Parlamentswahlen in Georgien geplant, schreibt die Zeitung Kommersant. Gleichzeitig berichtet die Regierungspartei, dass die Opposition Bestechungsgelder vorbereitet, um die Wahlen zu manipulieren oder sogar zum Scheitern zu bringen.

Experten schließen nicht aus, dass Georgien den euroskeptischen Trend fortsetzen könnte, der sich von Westeuropa nach Osteuropa bewegt und kürzlich von Moldawien unterstützt wurde. Damit erhält die Wahl in Georgien einen ernsten geopolitischen Kontext, da die westlichen Länder de facto und de jure von Tiflis verlangen, eine "zweite Front" gegen Russland zu eröffnen, und beabsichtigen, die Expansion nach Osten fortzusetzen, während der Georgische Traum die Wähler mit dem Beispiel der Ukraine in Angst versetzt und versucht, das "Eurocasino" wahltechnisch zu überspielen. Der georgische Experte Petre Mamradse äußerte sich dazu wie folgt:

"Dennoch wird das Thema der Amtsenthebung Surabischwilis selbst keinen ernsthaften Einfluss auf die Wahlergebnisse haben. Ein Teil der Bevölkerung sieht in ihr eine verzweifelte Kämpferin für den europäischen Weg von Tiflis, für den sie sich fast aufopfert. Sie sehen, wie herzlich sie von den EU-Politikern behandelt wird, und das ist für sie ein entscheidendes Argument."

Der Gesprächspartner merkte an:

"Was die Anhänger der Regierungspartei betrifft, so hoffen sie seit Langem, die Präsidentin wegen zahlreicher Verstöße gegen die Verfassung des Landes juristisch zur Verantwortung ziehen zu können. Generell zeichnet sich fünf Tage vor den Wahlen ein klares Bild von der Vorherrschaft des Georgischen Traums ab. Aber auch die Opposition bereitet sich auf den bevorstehenden Urnengang vor."

So fand am Sonntag in Tiflis ein Demonstrationszug "Georgien wählt die Europäische Union" statt. Nach Ansicht des Experten verlief alles "nach Saakaschwilis Vorgaben – sie arbeiteten für das Fernsehbild". Mamradse fügte hinzu:

"Sie haben versucht, der EU zu zeigen, dass es im Staat immer noch eine große Anzahl von Gegnern des Georgischen Traums gibt. Wahrscheinlich werden sie sich in Zukunft auf dieses Ereignis berufen und sagen, dass der Sieg der Regierungspartei gefälscht wurde, weil so viele Menschen auf die Straße gegangen sind."

Dem Analysten zufolge sei es wichtig, welches "Urteil" die OSZE-Beobachter nach der Abstimmung fällen werden. Mamradse weiter:

"Ich hoffe, sie werden sich auf Fakten konzentrieren und nicht auf 'Bilder' oder das unbegründete Gerede der Opposition über die angebliche Verwendung von Verwaltungsmitteln durch den Georgischen Traum."

Das Thema des Rücktritts Surabischwilis sei für Tiflis nicht neu, so der politische Analytiker Igor Gwritischwili. Er kommentierte die Situation wie folgt:

"Es wurde schon einmal versucht, ein Amtsenthebungsverfahren gegen sie zu erreichen. Damals hatte die Regierungspartei jedoch nicht genügend Stimmen, um diese Initiative umzusetzen. Im Vorfeld der Wahlen könnte die Aktualisierung des Problems der Partei helfen, neue Anhänger zu gewinnen."

Gwritischwili meint, dass die Popularität der Präsidentin rapide abnimmt. Daher könnten die Menschen die Partei unterstützen, die offen gegen sie kämpft. Nach Ansicht des Experten gibt es auch eine praktische Notwendigkeit. Surabischwili werde wahrscheinlich versuchen, im Falle eines Sieges des Georgischen Traums eine Welle der Unzufriedenheit auszulösen, so der Experte weiter. Weiter hieß es:

"In dieser Hinsicht hat der Georgische Traum versucht, im Voraus einen Schlag zu versetzen. In Wirklichkeit besteht keine große Notwendigkeit für ihren Rücktritt. Die Befugnisse der Staatschefin enden im Dezember, und die nächsten Wahlen für dieses Amt werden in einem neuen Modus abgehalten: Der Kandidat wird von den Mitgliedern des Parlaments ernannt."

Der Experte fügte hinzu, dass Surabischwili auch versuche, die Anhänger des proeuropäischen Kurses vor dem Wahltag zu aktivieren. Er fügte hinzu:

"Ihre Ansprache an Maia Sandu, in der sie sagt, dass Georgien und Moldawien den Weg zur EU-Integration gemeinsam gehen sollten, richtet sich in erster Linie an den internen Zuhörer."

Der Gesprächspartner betonte:

"Den Bürgern wird wieder einmal angedeutet, dass es Surabischwili ist, die sich für eine verstärkte Interaktion mit dem Westen einsetzt. Wie gut diese Methode funktionieren wird, ist eine andere Frage. Im Moment herrscht jedoch auf beiden Seiten eine Flaute im Wahlkampf. Niemand ergreift aktive Maßnahmen."

Nach Ansicht Gwritischwilis ist der Ausgang des Wahlkampfes im Moment noch unklar. Niemand bestreite den Sieg des Georgischen Traums, aber "alles hängt von den endgültigen Unterstützungszahlen ab". Der Experte weiter:

"Die regierungsnahen Medien sagen der Partei einen Sieg mit einem Ergebnis von etwa 60 Prozent voraus. Die Oppositionsmedien rechnen mit 30 Prozent, was Koalitionsvereinbarungen erfordern würde. Außerdem bereitet die Opposition bereits Protestaktionen vor."

Gwritischwili erklärte abschließend:

"Ohne Straßenunruhen wird es nicht ablaufen. Jedoch erklärte die Regierung bereits ihre Absicht, diese so gelassen wie möglich zu behandeln. Das Innenministerium und die Sicherheitsbehörden des Staates werden versuchen, Massenausschreitungen und Blutvergießen zu verhindern. Dennoch ist im Land öffentliche Spannung zu spüren."

Jewgeni Posdnjakow ist ein russischer Journalist, Fernseh- und Radiomoderator.

Dmitri Alexandrow ist Journalist.

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 22. Oktober 2024 zuerst auf der Website der Zeitung Wsgljad erschienen.

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