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Fällt Iran Russland in den Rücken?

In der UN-Generalversammlung hielt der neue iranische Präsident Peseschkian diese Woche eine Rede, die als Verrat an der russisch-iranischen Zusammenarbeit gewertet werden könnte. Auch in Russland fragt man sich, was Peseschkians Worte bedeuten könnten: eine Anbiederung an den Westen, innenpolitisches Taktieren oder authentisches Unverständnis für die Lage Russlands?
Fällt Iran Russland in den Rücken?Quelle: Gettyimages.ru © Michael M. Santiago/Getty Images

Von Dmitri Bawyrin

"Wir sind bereit, uns mit den Europäern und Amerikanern zum Konflikt in der Ukraine an den Verhandlungstisch zu setzen. Wir haben ihn nie gebilligt."

Dies sagte vor den Vereinten Nationen ein Mann, von dem man solche Aussagen aufgrund seiner Position nicht erwarten würde: der iranische Präsident Massud Peseschkian. Erst vor anderthalb Monaten hat er die Leitung der Exekutive des Landes übernommen, und nun ist er als Friedenstaube nach New York geflogen. Er ruft dazu auf, "das Leben zu genießen, anstatt zu kämpfen", und "eine Erde zu schaffen, auf der alle glücklich leben". Er glaubt, dass Iraner und Amerikaner "Brüder sein können", und sich sogar bereit erklärt, "die Waffen niederzulegen" (allerdings nur, wenn Israel das Gleiche tut).

Und das wäre auch in Ordnung (der Welt fehlt ein neuer Mahatma), wenn Peseschkian nicht versuchen würde, sich von Russland zu distanzieren und die Gunst Washingtons zu suchen.

Der vorherige iranische Präsident Ibrahim Raisi hatte nicht die Absicht, mit dem Westen zu verhandeln, und stärkte die Zusammenarbeit mit der Russischen Föderation in den Fragen der Landesverteidigung. Raisi kam aber im Mai bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. An seine Stelle trat der ehemalige Kardiologe Peseschkian, der als Liberaler gilt, und dessen Aufgabe es ist, die Kontakte zu den USA zu erneuern. In Iran kann man nicht einfach so Präsident werden, man braucht den Segen des Obersten Führers (Rahbar) Ali Chamenei, und daher, so glauben persische Gelehrte, will Rahbar dasselbe: ein Tauwetter an der westlichen Front.

Dazu hat er auch allen Grund, denn die Sanktionen, unter denen Iran seit Jahrzehnten leidet, haben seine Wirtschaft lahmgelegt. Es herrscht Unzufriedenheit mit dem Lebensstandard, und Iran benötigt Technologien und Investitionen, um ihn zu erhöhen.

Dass der konservative Antiwestler Raisi bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam, hat seine eigene düstere Symbolik. Eine marode Flugzeugflotte und akuter Ersatzteilmangel sind einer der Gründe, warum Teheran eine Lockerung der Sanktionen anstrebt. Dazu muss das Atomabkommen erneuert werden; aber zunächst ist eine diplomatische Annäherung erforderlich, die nach den westlichen Maßstäben unserer Zeit eine Distanzierung von Russland voraussetzt.

Heißt das, dass wir von Iran unter dem neuen Präsidenten etwas erwarten können, was in der Ukraine als "srada" (Verrat) bezeichnet wird? Wohl kaum. Das ist nicht einmal unsere Meinung, sondern die der amerikanischen Publikation The Atlantic.

Nachdem die Autoren dort den russisch-iranischen Beziehungen viel Material gewidmet hatten, wiesen die Amerikaner auf viele für Moskau scheinbar unangenehme Anzeichen hin, etwa die erneute Ernennung des ehemaligen Außenministers Dschawad Sarif zum Vizepräsidenten, einem jener antirussischen Politiker Irans, die öffentlich die Abhängigkeit von Russland und China kritisierten. Die USA kommen jedoch zu dem Schluss, dass die iranischen Liberalen trotz ihres Wunsches nach Entspannung mit dem Westen "nicht bereit sind, die Beziehungen zu Russland und China zu opfern", und zitieren dabei eine Aussage Peseschkians. Unmittelbar nach seiner Wahl erinnerte Peseschkian in seinem bestechend informellen Stil:

"Die einen (der Westen) haben uns Sanktionen auferlegt und die anderen (Russland und China) haben uns aus der Patsche geholfen."

Die Schlussfolgerungen von The Atlantic freuen uns, aber die Argumente sind umstritten, einschließlich derer, die Sarifs Ernennung zum Vizepräsidenten betreffen. Seine Rückkehr an die Macht zeugt nicht von antirussischen Gefühlen, sondern davon, dass sich alle einig sind: Teheran will das Atomabkommen wiederbeleben. Sarif ist einer der wesentlichen Verfasser des Abkommens, das mit ihm an der Spitze des Außenministeriums abgeschlossen wurde.

Die schillernden Reden von Peseschkian sollten hingegen nicht beruhigend wirken. Seine Beschreibung der Situation war auch 2015 zutreffend, als der berüchtigte "Atomdeal" geschlossen wurde. Doch nachdem einige der Sanktionen gegen Iran aufgehoben worden waren, kündigten einige seiner Firmen ihre Verträge mit russischen Unternehmen, weil sie von den Aussichten im Westen überwältigt waren. Nur ein Jahr später wurde Donald Trump US-Präsident, der das Abkommen beerdigte und die Sanktionen erneuerte.

Auch wenn sich Peseschkian nicht mehr daran erinnert, Rahbar weiß es ganz sicher. Es ist seine eigene politische Erfahrung, die im Gegensatz zu den Reden des neuen Präsidenten eine Garantie gegen die Wiederholung des Fehlers bietet.

Trump bleibt der Mann, von dem die iranische Frage grundlegend abhängt. Wenn er die Wahl erneut gewinnt, werden die Hoffnungen Teherans auf Entspannung zunichtegemacht. Bis zur Wahl im November kann Peseschkian also nur in der Erwartung eines Sieges von Kamala Harris die Möglichkeiten sondieren. Gleichzeitig hat Harris versprochen, Israel zu unterstützen. Eine Unterstützung Israels und zugleich ein Tauwetter in den Beziehungen zu Iran ist hingegen für jeden Politiker die Quadratur des Kreises.

Auch Israel macht dem neuen iranischen Präsidenten und seinem Team von "Friedensstiftern" das Leben schwer. Iran hat noch nicht auf die Ermordung des Hamas-Politbüromitglieds Ismail Haniyya in Teheran reagiert, obwohl diese unmittelbar nach der Amtseinführung von Peseschkian stattfand, bei der Haniyya zu Gast war. Nach der beispiellosen Sprengung von Hisbollah-Kommunikationsgeräten haben die israelischen Truppen im Rahmen der Operation "Pfeile des Nordens" eine Reihe massiver Luftangriffe auf den Libanon gestartet. Die Regierung von Benjamin Netanjahu ist entschlossen, die Hisbollah, den "Stellvertreter" Irans und einen Teil seines geopolitischen Projekts unter der informellen Bezeichnung "Schiitengürtel" vollständig zu zerstören.

Wenn Peseschkian eingreift, wird der Konflikt zwischen Iran und den Vereinigten Staaten eine neue, noch gefährlichere Stufe erreichen. Wenn Iran hingegen nicht eingreift, werden die Konservativen, insbesondere das Korps der Islamischen Revolutionsgarden (IRGC) und Rahbar, ihn darum bitten. Chamenei selbst ist keineswegs ein Liberaler, und der liberale Peseschkian dient im lediglich als Werkzeug, das er beiseiteschieben kann, wenn er sich als unfähig erweist oder sich auf eine heiße Konfrontation mit dem IRGC einlässt. Es wird auch allgemein angenommen, dass die IRGC von der militärischen Zusammenarbeit mit Russland und China wirtschaftlich profitiert. Eine Beeinträchtigung dieser Zusammenarbeit wäre für Peseschkian zu kostspielig, als dass er das Risiko eingehen könnte, erst die IRGC und dann Rahbar gegen sich aufzubringen.

Die iranischen Behörden werden häufiger als die eines anderen Landes des Fanatismus und mystischer (und daher schlecht vorhersehbarer) Motive verdächtigt. Solche Leute, heißt es, können im Namen des Kalifats eine Atombombe zünden und trotz aller Vernunft Verbündete verraten. In Wirklichkeit wählen diese "Fanatiker mit mystischem Denken" immer wieder, Jahrzehnt für Jahrzehnt, für sich selbst in der Außenpolitik einen nicht immer erfolgreichen, aber stets rationalen Weg. Und das unter Bedingungen, in denen zum Beispiel Europa, das sich früher für seine Rationalität lobte, sich einfach dumm verhält und gegen die eigenen nationalen Interessen verstößt.

Der Verrat Teherans an Russland erscheint heute gerade deshalb unglaublich, weil er irrational ist – unzeitgemäß, schwierig zu erfüllen, naiv. Er ist nicht iranisch. Und deshalb bleibt es trotz aller Aufrufe und Erklärungen in der UNO eine Spekulation, an die nicht einmal die Amerikaner glauben.

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist zuerst am 26.09.2024 auf RIA Nowosti erschienen.

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