Karriere-Ende: Stoltenberg verabschiedet sich von Gewissen und NATO
Von Dmitri Bawyrin
Zehn Tage vor seinem Rücktritt als NATO-Generalsekretär hat Jens Stoltenberg erklärt, er habe, wie es in Witzen heißt, zwei Nachrichten für das Nordatlantische Bündnis: eine gute und eine schlechte. Auf seiner Abschiedspressekonferenz sagte er:
"Die gute Nachricht ist, dass wir das Versprechen, das wir vor zehn Jahren gegeben hatten, erfüllen konnten. Aber die schlechte Nachricht ist, dass dies nicht mehr ausreicht, um unsere Sicherheit zu gewährleisten."
Das erwähnte Versprechen betrifft die Erhöhung der nationalen Verteidigungshaushalte der NATO-Mitgliedsstaaten auf zwei Prozent des BIP. Dafür setzte sich vor allem der geldgierige US-Präsident Donald Trump ein, aber jetzt maßt sich Stoltenberg die Lorbeeren an und sogar die Idee selbst, was ziemlich gewissenlos ist.
Aber die "schlechte Nachricht" macht Stoltenbergs Gewissenlosigkeit einfach eklatant – er ist wie ein "Problemlöser", der eigentlich nichts lösen kann, sondern nur Geld aus dem "Kunden" saugt. Stoltenberg saugt Geld in zweistelliger Milliardenhöhe und wird nicht müde, sich angesichts des offensichtlichen Scheiterns der strategischen Arbeit selbst zu loben. So behauptete er zum Beispiel, die NATO sei heute in einem besseren Zustand als jemals zuvor in ihrer Geschichte.
In der Tat erreichten nur 23 von 32 NATO-Staaten das Ziel von zwei Prozent des BIP für die Verteidigung. Für einige ist das eine kolossale Summe, und ein Teil davon wurde direkt an Stoltenberg weitergeleitet, in dessen Jahrzehnt sich der Haushalt des Bündnisses verdoppelte.
Jetzt sagt der Generalsekretär: Ihr habt gut gezahlt, aber ihr müsst noch viel mehr zahlen. Gleichzeitig scheiterte er mit seiner Führungsaufgabe, wenn wir sie als Gewährleistung der Sicherheit des Bündnisses verstehen. Niemand wird bestreiten, dass es heute viel weniger Sicherheit in Europa gibt als noch vor zehn Jahren: Jede Woche wird aufs Neue ein Dritter Weltkrieg vorausgesagt.
Das ist das Ergebnis von Stoltenberg und seiner Politik der Provokation (im NATO-Jargon: "Abschreckung") Russlands. Selbst am Ende seiner Karriere in der Allianz ist er bereit, genau diesen Dritten Weltkrieg auszulösen, und forderte erneut die Aufhebung aller Beschränkungen für den Einsatz von Langstreckenraketen, die von Großbritannien, den Vereinigten Staaten und Frankreich an die ukrainischen Streitkräfte geliefert werden.
Stoltenberg zufolge seien die "roten Linien" Russlands nichts, wovor man sich fürchten müsse. Wenn es aber nichts zu befürchten gibt, ist nicht klar, warum der militärische Riese der NATO ein so kolossales Budget benötigt.
Er zieht die Ukraine auch weiterhin in die NATO, indem er "offene Türen" und "eine nie dagewesene Nähe" proklamiert. Obwohl er selbst sehr wohl weiß, dass genau dieses Hineinziehen zu der größten militärischen Konfrontation in Europa seit dem Zweiten und bisher letzten Weltkrieg geführt hat.
Der Norweger Stoltenberg schürt den Konflikt zwischen Europa und China mit gleicher Leidenschaft weiter ‒ auf seiner Abschiedspressekonferenz sprach er erneut von "Bedrohungen, die von China ausgehen". Ein solcher Konflikt ist für Europa im Zusammenhang mit dem bereits bestehenden Konflikt mit Russland schlichtweg kontraindiziert, aber der Generalsekretär, der den russischen Bären verärgerte, ermutigt alle dazu, auch den chinesischen Drachen mit einem Stock in die Flanke zu stoßen.
Natürlich ist er nicht selbst ein solcher Wahnsinniger. Stoltenberg erfüllte seine Aufgaben gut, wenn man davon ausgeht, dass seine wahren Aufgaben darin bestehen, die Abhängigkeit Europas von den Vereinigten Staaten zu erhöhen und Brüssel gegen Washingtons Rivalen ‒ Moskau und Peking ‒ aufzuhetzen.
Das erklärt alle Merkwürdigkeiten im Verhalten Stoltenbergs, der als Sicherheitsverantwortlicher für seinen Arbeitgeber kostspielig neue Bedrohungen schafft.
Schließlich kritisierte er entrüstet die Idee, eine schnelle Reaktionstruppe der EU zu schaffen, und begründete seine Kritik damit, dass ein solcher Schritt die NATO schwächen würde. In Wirklichkeit würde ein solcher Schritt die Abhängigkeit der EU von den USA schwächen, was im Widerspruch zu Stoltenbergs Mission steht. Sie lässt sich wie folgt zusammenfassen: den Inhalt der europäischen Waffenarsenale an die Ukraine und die Schlüssel für die Arsenale an das Pentagon schicken.
In diesem Sinne ist die nächste Ernennung von Stoltenberg, der sein derzeitiges Amt am 1. Oktober an den ehemaligen niederländischen Premierminister Mark Rutte übergibt, aussagekräftig. Es wird erwartet, dass er nach einer gewissen Beurlaubung die Münchner Sicherheitskonferenz leiten wird. Eben jene Konferenz, auf der der russische Präsident Wladimir Putin 2007 an den Westen (vor allem die USA und die NATO) appellierte, zur Vernunft zu kommen und die Angelegenheit nicht zu den aktuellen großen Bedrohungen und exorbitanten Verteidigungsausgaben eskalieren zu lassen.
Die Ernennung Stoltenbergs ist jedoch nicht deshalb aussagekräftig (oder, besser gesagt, nicht nur deshalb), sondern aufgrund der Tatsache, dass die Münchner Konferenz ursprünglich eine deutsche Veranstaltung war. Seit ihrer Gründung 1963 zur Erörterung der Probleme der europäischen Sicherheit und der Verhinderung eines Dritten Weltkriegs waren ihre Leiter stets Deutsche.
Der Umzug des norwegischen Generalsekretärs nach München bedeutet nicht nur, dass alle Diskussionen über einen alternativen Weg der Konfrontation mit Russland nun dort abgebrochen werden. Er ist gleichsam die Krönung des Prozesses der Beseitigung der letzten Rudimente militärisch-politischer Souveränität in Deutschland ‒ auch auf der Ebene einer Diskussionsplattform.
Zu den strategischen Zielen der USA gehörte die Zerstörung der deutsch-russischen Wirtschaftskooperation und die Schwächung der beiden Mächte. Als Ergebnis der Sonderoperation (sowohl unserer als auch der politischen Sonderoperation der USA) wurde Deutschland von den US-amerikanischen Energieressourcen abhängig, verlor den Wettbewerbsvorteil seiner Industrie und verlor schließlich seine Verteidigungsfähigkeit. Es gab Tage, an denen Berlin ohne Raketenabwehr stand, weil Luftabwehrmittel nach Kiew geschickt wurden.
All das ist Stoltenbergs Verdienst, auch als Lobbyist. Aber in einem Moment, in dem man ihn dafür hätte verfluchen sollen, gaben die Deutschen dem NATO-Generalsekretär ein weiteres Stück von sich.
Vermutlich heißt sein neuer Posten nur deshalb nicht "militärischer Generalgouverneur der USA in Deutschland", weil er nicht in die derzeitige Verwaltungsstruktur des Regierens in Europa passt.
Stoltenbergs Karriereweg ist ein Beispiel dafür, wie das große Geld, hohe Posten und die aktive Beteiligung Washingtons selbst diejenigen zu globalistischen Generälen machen, die zu Beginn ihres Weges leidenschaftlich gegen die NATO und das US-Militär protestierten. Der derzeitige NATO-Generalsekretär in seinem kalten Norwegen war einst ein solcher Politiker, um dann als Falke der schlimmsten Art zu enden ‒ einer Art, die nicht einmal vor einem Atomkrieg Angst hat.
Wir können nicht sagen, dass dies ein besonders origineller oder paradoxer Weg ist. Der Bundeskanzler Olaf Scholz zum Beispiel war auch ein solcher Politiker, und es gibt Hunderte, nicht Dutzende solcher Beispiele. Loyalität gegenüber den Vereinigten Staaten ist eine Voraussetzung, um in der politischen Elite Europas Fuß zu fassen, und viele schlugen tatsächlich den Weg des Schwurs auf Washington ein.
Aber warum genau Stoltenberg auf diesem Weg so demonstrativ sowohl die Angst als auch das Gewissen verlor, müssen die Geschichtsforscher noch herausfinden. Hoffentlich wird es in den Werken, die dem zweiten Kalten Krieg und nicht den Gründen für den Beginn des ersten Atomkriegs gewidmet sind, zu finden sein.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 21. September 2024 zuerst auf der Webseite der Zeitung Wsgljad erschienen.
Dmitri Bawyrin ist ein russischer Journalist.
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