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Russland hat den USA Angst eingejagt – aber nur für ein paar Wochen

Wladimir Putin warnt vor Konsequenzen: Eine im Westen diskutierte Erlaubnis für Kiew, mit westlichen Langstrecken-Lenkflugkörpern Ziele im Inneren Russlands anzugreifen, käme einem Kriegseintritt der NATO mit den USA an der Spitze gleich. Wirkt die Warnung auf Dauer? Fraglich.
Russland hat den USA Angst eingejagt – aber nur für ein paar Wochen

Von Dmitri Bawyrin

"Im Moment gibt es keine Änderungen." Mit diesen Worten verdeutlichte der Pressesprecher des US-Außenministeriums, Matthew Miller, dass Washington den ukrainischen Streitkräften nach wie vor verbietet, ihre Langstreckenraketen für Angriffe auf die von der Frontlinie entfernten russischen Gebiete einzusetzen. Das Treffen zwischen US-Präsident Joe Biden und dem britischen Premierminister Keir Starmer brachte wider Erwarten nichts in dieser Hinsicht: Starmer ist für, Biden nach wie vor gegen diesen Einsatz, und Wladimir Selenskij konnte seine Meinung nicht ändern.

Die Journalisten befragen nun das Weiße Haus, das Außenministerium und Matthew Miller persönlich, warum die Erwartungen nicht erfüllt wurden – allerdings ohne Erfolg: Auch hier gibt es keine konkreten Aussagen. Die naheliegendste Version ist jedoch, dass Washington Angst hatte und sich nicht traute, die "rote Linie" zu überschreiten, auch wenn es den Fuß bereits darüber gesetzt hatte.

Zu betonen ist, dass die Vermutung, dass der Konflikt in eine neue Phase eingetreten ist und Selenskij das bekommt, was er seit über einem Jahr fordert, keine leere Hysterie und keine von der Presse aufgeblähte "Informationsblase" war. Denn es geht nicht darum, dass die Informationsquellen der führenden westlichen Medien einvernehmlich die Positionsänderung Washingtons in Bezug auf die Langstreckenraketen verkündeten. Es geht darum, dass auch offizielle Stellen diese Veränderung bestätigt haben.

Von US-amerikanischer Seite war es der Vorsitzende des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten des Repräsentantenhauses, Mike McCaul. Er ist Republikaner, steht in Opposition zu Biden und setzt sich seit Langem für die Aufhebung der Beschränkungen für die ukrainischen Streitkräfte ein. Er ist von Amts wegen bei geschlossenen Briefings anwesend, hat Zugang zu Geheiminformationen und verwies vor allem auf ein Gespräch mit Außenminister Antony Blinken vor dessen Besuch in Kiew letzte Woche.

Von russischer Seite machte Außenminister Sergej Lawrow einen vielsagenden Kommentar, indem er sagte, der Westen habe bereits eine Entscheidung über die Raketen getroffen und versuche nun lediglich, diese "eleganter zu formalisieren".

Auf dem Smolenskaja-Platz wurde auch bestätigt, dass man in dieser Frage in ständigem Kontakt mit Washington stehe – obwohl man davon ausging, dass die einzigen noch funktionierenden Kommunikationskanäle mit den Amerikanern die Botschaften (für die formellste Kommunikation durch die Übermittlung diplomatischer Noten) und regelmäßige Treffen zwischen den Leitern des SVR und der CIA sind.

Die Position Moskaus und die Schärfe seiner möglichen Reaktion wurden den amerikanischen Machthabern eindeutig vermittelt. Öffentlich geäußert wurde sie vom russischen Präsidenten Wladimir Putin:

"Wenn die Entscheidung (zur Aufhebung der Beschränkungen für die ukrainischen Streitkräfte – Anm. Wsgljad) getroffen wird, bedeutet dies nichts anderes als die direkte Beteiligung der NATO-Länder, der USA und der europäischen Länder am Krieg in der Ukraine. Das ist eine direkte Beteiligung, und das ändert natürlich das Wesen, die Natur dieses Konflikts erheblich. Es bedeutet, dass sich die NATO-Länder – die USA, die europäischen Länder – im Krieg mit Russland befinden."

"Und wenn dies der Fall ist, werden wir angesichts der Veränderung des Wesens dieses Konflikts angemessene Entscheidungen auf der Grundlage der Bedrohungen treffen, die sich für uns ergeben."

Nach dieser Aussage begannen die Informationsquellen in den internationalen Medien, ihre Behauptungen drastisch zu ändern, wobei der Wetteinsatz direkt vor den Augen sank. Sogar von der "Kompromissoption", wonach die USA Kiew erlauben würden, nur britische Raketen einzusetzen (was ebenfalls die Erlaubnis der USA erfordert) oder "zumindest" die Reichweite der erlaubten Angriffe auszuweiten, wechselten sie in weniger als einem Tag zur aktuellen Option – "keine Änderungen".

Dass sich hier nichts ändert, bedeutet allerdings nicht, dass wir uns entspannen können – wir können es lediglich fixieren. Im Endeffekt wird Sergej Lawrow wahrscheinlich Recht haben: Die Entscheidung ist tatsächlich gefallen. Für die USA ist dies eine der nächsten Runden zur Erhöhung ihres Wetteinsatzes, die auf die kritische Verschlechterung der ukrainischen Streitkräfte auf dem Schlachtfeld folgen wird.

Aber im Moment ist man in Washington noch nicht bereit, diesen – zwar nicht sehr wirkungsvollen, aber doch gefährlichen – Trumpf auszuspielen. Zumindest will man es nicht während "der Schicht" von Joe Biden tun.

Alles sieht so aus, als ob das Problem wirklich beim aus dem Amt scheidenden US-Präsidenten liegt, der zu einer konsequenten Unnachgiebigkeit entschlossen ist. Das trifft anscheinend zu, wenn man sich einige persönliche Eigenschaften Bidens vor Augen führt.

Er wird jetzt als "Lame Duck" [lahme Ente] bezeichnet, die ihre Handlungsfähigkeit verloren hat und die ganze Zeit im Urlaub verbringt. Das stimmt größtenteils, aber bei altersbedingter Demenz versagen die beruflichen Fähigkeiten als Letztes.

Bidens Berufsfeld – unabhängig davon, wie man ihn behandelt –, ist die Außenpolitik und die Verhandlungen mit den Großmächten, und sein persönliches politisches Credo lautet – die Gegner der USA in Schach zu halten und einen dritten Weltkrieg zu verhindern. Dem widmete er ein halbes Jahrhundert. Und jetzt, einige Monate vor seiner endgültigen Pensionierung, scheint es unwahrscheinlich, dass er sich in eine unkontrollierbare Krise stürzen und sie gegen eine akute, aber kontrollierbare Krise austauschen will.

Der Großteil von Bidens Präsidentschaft war für Washington ein Spiel mit dem Feuer und der Eskalation, aber es kam noch nicht zum Schlimmsten – dem Dritten Weltkrieg.

Jetzt besteht seine strategische Aufgabe darin, eine Designlösung für eine nach ihm benannte Bibliothek in Delaware zu wählen, und nicht seine eigene ein halbes Jahrhundert andauernde diplomatische Praxis durch einen direkten militärischen Konflikt mit einer Atommacht zunichtezumachen. Offensichtlich würde Biden es vorziehen, dass diese Einsatzerhöhung erst nach seinem Ausscheiden aus dem Weißen Haus erfolgt.

Er will nicht die Verantwortung für die Auslösung einer nuklearen Apokalypse kurz vor seiner Pensionierung übernehmen.

Doch wenn Biden diese Verantwortung schon nicht ganz vermeiden kann, so hat er wenigstens eine Option, sie mit einem noch unbestimmten Beteiligtenkreis zu teilen.

Am kommenden Dienstag, dem 24. September, beginnt auf der bereits eröffneten Sitzung der UN-Generalversammlung in New York die sogenannte "High Week" mit der Teilnahme von Spitzenpolitikern. Auch Selenskij wird dorthin fliegen. Er rechnet nicht nur damit, Biden bei einem persönlichen Treffen mit einem konkreten Szenario von Langstreckenraketenschlägen auf Russland umzustimmen, sondern auch damit, der ganzen Welt einen "Friedensplan" vorzustellen.

Es wurde bereits angekündigt, dass die Aufhebung der Beschränkungen für den Einsatz amerikanischer Raketen durch die ukrainischen Streitkräfte ein wesentlicher Bestandteil des Plans ist, ohne den er nicht tragfähig ist. Selenskijs erklärtes Ziel ist es auch, das Leben der Russen drastisch zu verschlechtern ("sodass sie in Gefahr, ohne Komfort und ohne Energie leben"), damit sie "anfangen, Druck auf Putin auszuüben".

Dieser Teil des "Plans" ist nicht neu: Die meisten der gegen Russland verhängten Sanktionen zielten darauf ab, das Leben der russischen Bevölkerung zu verschlechtern. Aber vor dem Hintergrund der Diskussion über den Einsatz von Langstreckenraketen klang es wie die Ankündigung von Angriffen auf die zivile Infrastruktur Russlands.

Es scheint, dass der Druck, den die Russen in diesem Fall ausüben könnten, nicht auf eine Kapitulation, sondern auf den Einschlag ballistischer Raketen auf der Bankowaja-Straße in Kiew abzielen würde, wo Selenskij sein Büro hat.

Bisher sieht es nicht so aus, als sei Biden bereit, auf Selenskijs Forderungen einzugehen, und das trotz der katastrophalen Lage der ukrainischen Streitkräfte. Eigentlich war dieses geopolitische Abenteuer nur dazu gedacht, Russland zu schwächen, und nicht, den Sieg der Ukraine zu sichern. Die Ukraine ist nur ein Werkzeug, das irgendwann ohnehin zerbrechen wird.

Allerdings machen viele der Eliten nicht nur in den USA, sondern auch in der EU deutlich, dass sie das Risiko eingehen und die "rote Linie" Russlands überschreiten wollen. Das bedeutet, dass die Möglichkeit einer radikalen Änderung der "Raketenpolitik" bestehen bleibt. Und Selenskijs "Stand-up" vor der UN-Vollversammlung könnte zum "Sammelpunkt" einer internationalen Koalition von Befürwortern von Raketenangriffen gegen Russland werden, was es Washington ermöglichen würde, die Verantwortung für die Konsequenzen mit allen Beteiligten zu teilen.

Aufgrund seiner diplomatischen Erfahrung sollte Biden jedoch erkennen, dass Moskau solche "internationalen Koalitionen" als Bündnis der Vasallen Washingtons ansieht, in dem die USA der einzige Souverän sind, sodass sie und Biden persönlich die volle und nicht nur eine teilweise Verantwortung für die Konsequenzen tragen werden.

Und was genau die Konsequenzen sein werden, ist eine Frage mit mehreren Antworten, deren Richtigkeit man in der Praxis nicht überprüfen möchte.

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 17. September 2024 zuerst bei der Zeitung Wsgljad erschienen.

Dmitri Bawyrin ist ein russischer Journalist. 

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