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Donbass: Befreiung von New York eröffnet Russlands Armee Weg nach Westen

In der Donezker Volksrepublik haben Russlands Streitkräfte die Siedlung Nowogorodskoje, besser bekannt als New York, befreit. Die Befreiung des großen Ortes mit mehreren Industriekomplexen und einem Bahnhof nahm nur eineinhalb Monate in Anspruch und hat eine große strategische Bedeutung.
Donbass: Befreiung von New York eröffnet Russlands Armee Weg nach WestenQuelle: Sputnik © Sergei Bobylew

Von Jewgeni Krutikow

Die Donbass-Siedlung mit dem Namen New York ist von protestantischen Mennoniten noch unter der russischen Kaiserin Katharina der Großen gegründet worden. Mit großer Wahrscheinlichkeit hat der Name keinen Bezug zur größten Stadt der USA, sondern verweist auf die Gemeinde Jork in Niedersachsen, aus der ein Teil der Siedler ursprünglich stammte.

Bereits nach dem Zweiten Weltkrieg und der Deportation der einheimischen Deutschen in den Fernen Osten wurde die Siedlung in Nowogorodskoje umbenannt. Den Namen New York erhielt sie unter dem ukrainischen Präsidenten Pjotr Poroschenko zurück, um US-Investitionen anzuziehen.

Die Investitionen kamen nicht, doch das Symbol blieb erhalten. In Donezk kursiert der scherzhafte Vorschlag, eine Gedenkmedaille "Für die Befreiung von New York" herauszugeben. Bisher fand diese Initiative allerdings keine Unterstützung, und die Tendenz, den befreiten Orten sowjetische Namen zurückzugeben, legt nahe, dass es bald kein New York mehr geben wird, sondern nur Nowogorodskoje.

Doch auch wenn Nowogorodskoje befreit wurde, war es New York, das gestürmt wurde. Es kann derweil also gerne New York bleiben, um die wichtigste außenpolitische Schlussfolgerung aus dieser ganzen Geschichte zu betonen:

"Die Einnahme New Yorks durch Russlands Armee ist eine konsequente Folge der Präsidentschaft von Joe Biden."

Die Operation begann am 2. Juli mit einem Vorstoß auf vier Kilometer in die Tiefe des Wohngebiets von New York. Am 20. August wurde endgültig die Phenolfabrik gesäubert – der ortsbildende Betrieb, wo das ukrainische Militär bis zuletzt versuchte, eine Verteidigung zu organisieren, wie es in jedem größeren Ort mit einem Industriegebiet geschehen war.

Die ukrainische Verteidigung im Umland von Donezk (zwischen Nowogorodskoje und der Republikhauptstadt liegen etwa 70 Kilometer) baute auf mehreren "Festungen" auf, zu denen zehn Jahre lang die Industriezentren der Region umgebaut wurden. Kiew hatte vor, sie auch als Stützpunkte für eine Offensive gegen Donezk zu nutzen, was zur Bildung eines spezifischen Systems von Transportknoten führte.

Der Ballungsraum von Dserschinsk (ukrainisch: Torezk), zu dem auch New York gehört, ist die letzte derartige "Festung". Die Entfernungen zwischen den Siedlungen in dieser Zone sind klein, an manchen Stellen sind die Orte zusammengewachsen und es hat sich eine durchgehend bebaute Zone gebildet, in der es schwer ist zu manövrieren.

Zwischen den Vororten von Dserschinsk (Torezk) und New York liegen verlassenen Minen, deren alte Halden und einige überflutete Tagebaugruben. All das wurde von der Front mit mehreren Betonbunkern gedeckt, von denen sich ein Teil gerade auf die Halden und sonstige künstliche Anhöhen stützte.

Dieser Stützpunkt war für die gesamte Infrastruktur des ukrainischen Militärs am Donezker Frontabschnitt besonders wichtig, sogar wichtiger als Awdejewka.

Zunächst war New York und der Dserschinsker Ballungsraum vom ukrainischen Militär als großer Transportknoten genutzt worden. Später übernahm diese Funktion die Stadt Konstantinowka, die an der Eisenbahnlinie nördlich von New York liegt.

Grundsätzlich bestand der ganze Sinn der Verteidigung von New York und des Ballungsraums von Torezk gerade darin, dass diese Stellung einen südlichen Schild für Konstantinowka bildete – den Hauptort für Versorgung, Transit und Aufstellung der gesamten ukrainischen Heeresgruppe von Tschassow Jar bis Krasnoarmeisk (Pokrowsk).

Nun gibt es diesen Schild nicht mehr. Die Straße von Krasnoarmeisk über Konstantinowka nach Artjomowsk ist die Hauptroute zur Versorgung der ukrainischen Truppen in Tschassow Jar. Auf diesem Transportkorridor baut sich die gesamte ukrainische Verteidigung auf einem riesigen Gelände auf. Doch am westlichsten Punkt dieses Raumes stehen Russlands Streitkräfte bereits dicht vor Krasnoarmeisk, und in der Mitte wird Konstantinowka – der wichtigste Verteidigungs- und Versorgungsknoten – bedroht.

Somit wird mit der Befreiung von New York und der anstehenden Befreiung des gesamten Torezker Ballungsraums erstmals seit Langem nicht nur die Möglichkeit eines taktischen Durchbrechens der ukrainischen Front, sondern die Möglichkeit ihres Zusammenbruchs geschaffen.

Wenn sich russische Truppen Konstantinowka nähern und die Straße unter ihre Feuerkontrolle nehmen, wird das ukrainische Militär die Möglichkeit verlieren, seinen Truppenverband in Tschassow Jar zu versorgen. Als einzige Stützpunkte am ganzen Donezker Frontabschnitt würden in diesem Fall die vergleichsweise entfernten Städte Kramatorsk und Slawjansk verbleiben.

Gerade das ist ein "Zusammenbruch der Front", der sich nach der Befreiung von Awdejewka ereignet hatte, allerdings in einem größeren Maßstab.

Die Strategie des russischen Generalstabs besteht allem Anschein nach in mehreren Angriffen an unterschiedlichen Abschnitten, die einander ergänzen und synergetisch einen Dominoeffekt erzeugen.

Parallel zu den Entwicklungen in New York wurde die forcierte Erstürmung von Tschassow Jar durch drei Luftlandedivisionen aufgehalten. Denn die Operation gegen den Torezker Ballungsraum schuf Voraussetzungen, die ukrainische Gruppierung in Tschassow Jar wenn schon nicht zu umzingeln, so doch zumindest teilweise zu isolieren und sie von der Versorgung abzuschneiden.

Zwischen New York und Konstantinowka gibt es keine größeren Stützpunkte, nur noch eine Reihe von Siedlungen in der Nähe von Eisenbahnstationen. Russlands Streitkräfte haben gut gelernt, solche Hindernisse zu überwinden, was die Ereignisse westlich von Otscheretino zeigen. Dort verlief die Offensive ursprünglich entlang der Eisenbahnlinie, zumal die Gleise in diesem Gebiet auf natürlichen Hügeln oder Dämmen verlegt sind, was sie zu einer einzigartigen Feuerstellung auf flachem Gelände macht.

Die Befreiung von New York zeigte, dass das ukrainische Militär nicht mehr in der Lage ist, größere Orte monatelang zu verteidigen. Genauso stellte sich im Frühling nach der Einnahme von Otscheretino plötzlich heraus, dass sich Kiews Truppen auch im freien Feld nicht halten können. Im Westen von Otscheretino beträgt das Vormarschtempo der russischen Truppen bereits seit Monaten mehrere Kilometer pro Tag und ermöglichte, die Hauptziele Krasnoarmeisk (Pokrowsk) und Selidowo zu erreichen.

Freilich ließ das hauptsächlich aus Einfamilienhäusern bestehende New York dem ukrainischen Militär weniger Chancen, sich irgendwo festzusetzen, wie es in Artjomowsk (Bachmut) der Fall war. Dennoch versuchten Kiews Truppen, im zentralen Teil der Stadt zum Gegenangriff überzugehen. Allerdings scheiterte der Versuch, die Phenolfabrik zu befestigen, obwohl im letzten Moment Verstärkungen sogar von den Frontabschnitten Charkow und Sumy nach New York verlegt wurden.

Für alle Frontabschnitte reichen die Reserven offenbar nicht aus, trotz ständiger Beteuerungen, dass das ukrainische Militär angeblich noch irgendwo zwölf Brigaden, darunter sechs "schwere", mit Leopard-Panzern ausgerüstete Brigaden, in petto habe.

Noch während der Planungsphase hatte das ukrainische Militär einen Fehler gemacht. Die "Festung" des Ballungsraums von Dserschinsk war im Jahr 2015 mit der Frontseite nach Gorlowka und Donezk gebaut worden. Kiew konnte nicht vermuten, dass Awdejewka früher fallen würde, und dass Russlands Streitkräfte nach der Befreiung von Awdejewka fast ununterbrochen 100 Kilometer nach Westen vorstoßen würden.

Schließlich kamen russische Truppen an New York von Süden heran, und die wichtigsten Verteidigungsstellungen des ukrainischen Militärs in den Vororten von Dserschinsk (Torezk) wurden zur Hälfte eingekesselt.

Die Befreiung von New York und der Vormarsch im restlichen Teil des Dserschinsker Ballungsraums wurde zum Ergebnis eben jener Strategie von Angriffen aus unterschiedlichen Richtungen, die Russlands Streitkräfte bereits seit etwa einem Jahr einsetzen.

Einer der Hauptvorteile dieser Strategie ist die Koordination von gleich mehreren voneinander entfernten Truppenverbänden. Auch wenn sie unterschiedliche Stäbe und Kommandeure haben mögen, agiert die Front insgesamt als ein einziger Organismus. Für einen auswärtigen Beobachter ist das nicht immer bemerkbar, denn Tschassow Jar, New York, Dserschinsk und Krasnoarmeisk liegen Dutzende oder Hunderte Kilometer voneinander entfernt. Jedes Ereignis, das der Befreiung von New York gleichkommt, zieht die schwierigsten Folgen für die gesamte ukrainische Verteidigungslinie nach sich. Und niemand hat vor, anzuhalten: Voraus liegt Konstantinowka.

Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen am 21. August bei Wsgljad.

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