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Russland hat in Syrien gelernt, wie man die Raketen der F-16-Jets bekämpft

Washington und Kiew arbeiten derzeit an den technischen Einzelheiten für die mögliche Lieferung von hochpräzisen JASSM-Marschflugkörpern. Ihre Träger – die F-16-Jets – wären damit schwer erreichbar für die russische Luftabwehr. Experten meinen, die Waffe könnte theoretisch sogar Moskau erreichen. Wie kann Russland darauf reagieren?
Russland hat in Syrien gelernt, wie man die Raketen der F-16-Jets bekämpft© Richard Baker / In Pictures via Getty Images Images

Von Anastasia Kulikowa

Die Regierung von US-Präsident Joe Biden erörtert die Möglichkeiten, Langstrecken-Marschflugkörper des Typs JASSM in die Ukraine zu liefern. Die F-16-Kampfflugzeuge, die zuvor an Kiew geliefert wurden, könnten damit bewaffnet werden, zitiert die Tageszeitung Politico Beamte des Weißen Hauses. Eine endgültige Entscheidung sei jedoch noch nicht getroffen.

Bidens Regierung erklärte, dass sich das Weiße Haus und das Pentagon vor einer Entscheidung unter anderem sicher sein müssen, dass die Marschflugkörper auch von Flugzeugen sowjetischer Bauart eingesetzt werden können, die Kiew zur Verfügung stehen. Das Pentagon arbeite mit der Ukraine an diesen technischen Fragen.

Die JASSM-Marschflugkörper werden seit 2001 von Lockheed Martin hergestellt. Die kaum wahrnehmbare Rakete fliegt mithilfe von GPS-Lenkung und einem internen Navigationssystem entlang einer vorgegebenen Route. Das Gewicht des Gefechtskopfes liegt bei 450 Kilogramm. Die Reichweite beträgt je nach Modifikation zwischen 370 und 980 Kilometern vom Startpunkt aus.

Als Träger können B-1-, B-2- und B-52H-Bomber sowie F-16- und F/A-18-Jagdflugzeuge eingesetzt werden. Nach Angaben von Missile Threat wurde der JASSM-Marschflugkörper mit Blick auf das russische Luftabwehrsystem S-300 und dessen neuere Modifikationen entwickelt. Außerdem kann die Waffe den WDL-Datenkanal nutzen, der es ihr ermöglicht, ihren Kurs zu korrigieren.

Gleichzeitig zitierte der auf Raketentechnik spezialisierte Telegram-Kanal "Der Blick eines Mannes in Lampasas" im Mai die Meinung eines russischen Su-34-Besatzungskommandanten über die Risiken, die JASSM für Russland darstellen könnten. Er betonte:

"Dieses Ding wird viel ernstzunehmender sein als die Storm Shadow Marschflugkörper. Eine F-16 kann zwei solcher Raketen tragen. Stellen Sie sich vor, Kiew wird heimlich mit hundert dieser JASSM beliefert, und eine von einem Dutzend F-16 abgefeuerte Salve wird auf die Krim-Brücke abgefeuert. Das wäre eine ernsthafte Bewährungsprobe für unsere Luftverteidigung."

Nach Ansicht des Militärexperten Alexei Leonkow seien die Informationen über die mögliche Lieferung von Langstreckenraketen an die Ukraine nicht zufällig an die Massenmedien durchgesickert. Die USA nützten diese Methode, um "rote Linien" zu testen und Moskaus Reaktion zu beobachten. Allerdings schließt der Experte nicht aus, dass Washington den ukrainischen Streitkräften bereits "still und leise" eine kleine Anzahl dieser Marschflugkörper geliefert habe. Leonkow meint:

"Die JASSM sind vollständig mit den F-16 kompatibel. Bei der Übergabe dieser Kampfflugzeuge an die Ukraine wurde davon ausgegangen, dass die ukrainischen Streitkräfte nicht nur Storm Shadow und SCALP, sondern auch neue Raketen einsetzen würden. Ich denke, dass ein westlicher Pilot an das Steuer eines solchen Kampfflugzeugs gesetzt werden wird. Die Besonderheiten des Einsatzes dieser Waffen setzen nämlich eine gewisse Erfahrung voraus, und ukrainische Militärangehörige, die in einem Schnellkurs zu F-16-Piloten ausgebildet wurden, werden diese Aufgabe nicht erfüllen können."

Die Lieferung von JASSM an die Ukraine und der Einsatz dieser Marschflugkörper durch den Feind werde für Russland gewisse Risiken mit sich bringen. Der Militärexperte erklärt:

"Als Ziele kommen sowohl die Gebiete Saporoschje, Cherson, Lugansk, Donezk und die Krim als auch die Hauptstadtregion infrage. Zumal Kiew mit Drohnenflügen in die russische Hauptstadt mögliche Flugrouten für die Raketen ausarbeiten könnte."

Gleichzeitig sei es nicht sinnvoll, sich auf das von Washington ausgesprochene Verbot des Einsatzes US-amerikanischer Langstreckenwaffen auf russischem Territorium zu verlassen, betont Leonkow. "Die Äußerungen des Weißen Hauses zu diesem Thema sind keinen Pfifferling wert." Außerdem seien den russischen Streitkräften die JASSM-Marschflugkörper aus den Erfahrungen der Militäroperationen in Syrien bekannt.

"Im Jahr 2018 haben B-1B-Bomber Damaskus mit diesen Raketen von jordanischem Territorium aus getroffen. Damals wurde der Angriff von russischen Buk- und Tor-Boden-Luft-Raketensystemen abgewehrt", erinnert der Experte. Er glaubt, dass das russische Militär in der Lage ist, einen solchen Angriff zu bewältigen, aber die oberste Priorität hat die Zerstörung der Trägerflugzeuge selbst.

"Das Wichtigste ist nicht die Vernichtung der Raketen selbst, sondern das Aufspüren der Standorte ihrer Träger, das heißt der F-16-Kampfjets. Die ukrainischen Flugplätze werden regelmäßig von unseren Langstreckenwaffen 'aufgemischt', und diese Arbeit wird fortgesetzt", so Leonkow abschließend.

Die mögliche Übergabe von JASSM-Marschflugkörpern an Kiew wird eine Verstärkung der Arbeit der russischen Aufklärung erforderlich machen, meint Wladimir Popow, ein Luftfahrtgeneral und ausgezeichneter Militärpilot Russlands. "Es ist zweckmäßig, Marschflugkörper zu zerstören, sobald sie in den Lagern und Arsenalen auftauchen. Dafür braucht man Aufklärung", betont er.

Gleichzeitig verfügen die russischen Streitkräfte auch über Mittel zur Bekämpfung von Langstreckenwaffen in der Luft, insbesondere die Luftabwehrsysteme S-300 und S-400, fügt Popow hinzu.

"Die JASSM werden in der Regel aus geringer Höhe abgefeuert. Die Rakete fliegt auf einer speziellen Flugbahn: Zuerst beschleunigt sie, erhält dynamische Energie, taucht dann unter das Radarblatt und wird unsichtbar, und kurz vor dem Angriff fliegt sie aufwärts. Sie kann aber wirksam abgefangen werden", so der Luftwaffengeneral.

Das Hauptziel der russischen Streitkräfte sollten jedoch die F-16-Trägerflugzeuge sowie die modernisierten Su-24 sein, meint er und fügt hinzu:

"Die Schwierigkeit besteht darin, dass eine Rakete mit einer Reichweite von mehr als 400 oder 900 Kilometern es den ukrainischen Streitkräften ermöglicht, das Flugzeug nicht in große Gefahr zu bringen und nicht in die Tötungszone der russischen Luftabwehr zu fliegen – andernfalls würden wir das Kampfflugzeug auf Autoeskorte nehmen und es zerstören."

"Daher werden die F-16 wahrscheinlich im Gebiet Odessa nahe der rumänischen Grenze operieren, wo unsere konventionellen Raketen zwar ankommen, aber nicht schnell genug. Dies ermöglicht es den ukrainischen Streitkräften, die Maschinen entweder in die Luft zu bringen oder sie zu verstecken, um sie aus der Gefahrenzone zu bringen. Aber die russischen Streitkräfte werden auch dieses Problem lösen können. Wir haben Abfangjäger mit großer Reichweite, Hyperschallraketen vom Typ Kinschal und Ch-101-Raketen", fasst Popow zusammen.

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 17. August 2024 zuerst auf der Website der Zeitung Wsgljad erschienen.

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