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Warum kaufen China und Europa immer mehr russisches Gas?

Gazprom meldet einen neuen Rekord bei den Gaslieferungen nach China. Nicht nur China, sondern auch Europa kaufen in diesem Jahr mehr russisches Gas. Warum gibt es eine so große Nachfrage nach russischem Gas und was könnte die russischen Gasexporte bremsen?
Warum kaufen China und Europa immer mehr russisches Gas?© Getty Images / Smederevac

Von Olga Samofalowa

Gazprom hat am 27. Juli laut eigenen Angaben einen Rekord bei den täglichen Gaslieferungen nach China über die Power of Siberia-Pipeline aufgestellt. Die Lieferungen überstiegen die täglichen vertraglichen Verpflichtungen.

Russland wird im Jahr 2024 eine Rekordmenge an Gas nach China exportieren – etwa 40 Milliarden Kubikmeter – und damit der größte Lieferant des Landes werden, sagte kürzlich Igor Setschin, Exekutivsekretär der Präsidentenkommission für die Strategie zur Entwicklung des Brennstoff- und Energiesektors und Chef von Rosneft.

Wir sprechen hier sowohl über Pipeline-Lieferungen als auch über Flüssiggas (LNG). Wie der stellvertretende Ministerpräsident Alexander Nowak erklärte, ist zum Beispiel geplant, in diesem Jahr rund 30 Milliarden Kubikmeter Gas über die Power of Siberia-Pipeline nach China zu liefern.

Weitere zehn Milliarden Kubikmeter sollen in Form von Flüssiggas (LNG) geliefert werden. In der ersten Jahreshälfte erreichten die russischen LNG-Exporte nach China bereits fünf Milliarden Kubikmeter (3,6 Millionen Tonnen). 

Warum nehmen die russischen Gaslieferungen nach China zu? Erstens sollen die Lieferungen über die Power of Siberia-Pipeline bis zum Jahr 2025 jährlich um etwa acht Milliarden Kubikmeter steigen, wenn die Pipeline ihre Auslegungskapazität von 38 Milliarden Kubikmetern pro Jahr erreicht. Im Jahr 2023 lieferte Russland 22,7 Milliarden Kubikmeter durch die Pipeline nach China, 2024 werden es 30 Milliarden Kubikmeter sein, im Jahr 2025 dann 38 Milliarden Kubikmeter. Es ist aber möglich, dass der Plan am Ende des Jahres übertroffen wird, wie es bereits im vergangenen Jahr der Fall war.

Zweitens ist es für China günstiger, Gas über die Power of Siberia-Pipeline zu beziehen als LNG. Igor Juschkow, ein Experte der Finanzuniversität der Regierung der Russischen Föderation und des Nationalen Energiesicherheitsfonds, sagt:

"Der ölgebundene Vertrag für die Power of Siberia-Pipeline ist jetzt günstiger als LNG-Lieferungen, die zu Spotpreisen erfolgen. In der ersten Jahreshälfte lagen die Spotmarktpreise in Asien bei etwa 400 US-Dollar pro 1.000 Kubikmeter. Bei Ölpreisen um 80 bis 85 US-Dollar pro Barrel über die Power of Siberia-Pipeline sind die Preise dagegen niedriger. Deshalb nimmt China gerne mehr Pipelinegas ab. Im Jahr 2022 zum Beispiel war die Situation anders: China nahm sogar weniger ab, als es vertraglich im Rahmen der Power of Siberia-Pipeline verpflichtet war. Denn in jenem Jahr waren die Spotpreise für Gas sehr niedrig."

Was das russische Flüssiggas anbelangt, so ist es angesichts des derzeitigen Preisverhältnisses in Europa und Asien, das praktisch gleich ist, und der günstigen Eisverhältnisse recht wahrscheinlich, dass das Flüssiggas des Joint Ventures Yamal LNG über den östlichen Teil der Nördlichen Seeroute direkt auf die asiatischen Märkte gelangen wird, so der Experte. Solange es die Eisverhältnisse zulassen, wird Nowatek seinen Vertrag mit China über die Bereitstellung von 1,9 Millionen Tonnen LNG erfüllen. Weitere LNG-Lieferungen für China kommen vom Förderprojekt Sachalin-2 (1,5 Millionen Tonnen) und der Anlage Gazprom LNG Portowaja (0,2 Millionen Tonnen).

Das Potenzial für künftige Gaslieferungen nach China betrage laut Setschin mehr als 100 Milliarden Kubikmeter. Artur Bedschanow, Senior Personal Broker bei BKS Investment World, meint:

"Bis zum Ende des Jahrzehnts dürfte das Gesamtvolumen der Lieferungen nach China im Rahmen bestehender Verträge auf 48 Milliarden Kubikmeter zu guten Preisen (wenn auch niedriger als in Europa) ansteigen, einschließlich der Lieferungen von zehn Milliarden Kubikmetern über die Fernost-Route, die im Jahr 2027 beginnen werden. Die derzeit diskutierte Vereinbarung über die Lieferung von 50 Milliarden Kubikmetern pro Jahr über die Power of Siberia-2-Pipeline könnte die verlorenen Exportmengen von Gazprom nach Europa um etwa 40 Prozent ausgleichen."

Die russischen Gaslieferungen nehmen aber auch in Europa zu. So importierte die EU im Mai 2024 rund 30 Prozent mehr Erdgas als im September 2022 (Daten der Beratungsgesellschaft ICIS). Gas aus Russland wird über drei Kanäle nach Europa geliefert – über die Turkish-Stream-Pipeline, die ukrainische Pipeline und auf dem Seeweg in Form von LNG. Juschkow erklärt:

"Die Lieferungen nach Europa nehmen auch im Hinblick auf Pipelinegas zu, da es günstiger geworden ist, Gas von Gazprom zu beziehen als auf dem Spotmarkt. Im vergangenen Jahr beispielsweise waren die Gaspreise von Gazprom nicht zu jedem Zeitpunkt niedriger als auf dem Spotmarkt. Denn die Spotpreise fielen das ganze Jahr über – von 600 US-Dollar zu Beginn des Jahres auf 300 bis 350 US-Dollar am Ende des Jahres. Die Verträge mit Gazprom sind ebenfalls an den Spotmarkt gekoppelt, allerdings mit einer Verzögerung von mehreren Monaten, sodass der Preis langsamer gesunken ist als bei LNG."

Seiner Prognose zufolge lieferte Russland im Jahr 2023 etwa 27 Milliarden Kubikmeter Gas nach Europa, während die Lieferungen im Jahr 2024 um drei bis sechs Kubikmeter auf 30 bis 33 Milliarden Kubikmeter steigen könnten.

Russisches LNG wird vor allem dann nach Europa geliefert, wenn der östliche Teil der Nördlichen Seeroute wegen Eisgangs geschlossen ist (bis Juni/Juli) und wenn die LNG-Preise in Europa und Asien entweder gleich hoch oder sogar höher sind als in Asien. Denn der Transportweg nach Europa ist kürzer als der nach Asien über den Suezkanal oder um Afrika herum (wenn die Nördliche Seeroute wetterbedingt geschlossen ist).

Gleichzeitig besteht nach wie vor die Gefahr eines Verbots russischer Gaslieferungen nach Europa. Sanktionen sind bisher nicht verhängt worden, aber Europa hat bereits über ein mögliches Verbot von LNG-Lieferungen diskutiert. Allerdings haben die Europäer aus naheliegenden Gründen noch nichts einstimmig beschlossen. Sie wollen keine Preissteigerungen, Engpässe oder gar eine Energiekrise.

Juschkow glaubt, dass ein Verbot von russischem LNG nicht auf europäische, sondern auf US-amerikanische Sanktionen zurückzuführen sein könnte. Die USA haben bereits Sanktionen gegen das neue Projekt Arctic LNG-2 verhängt und die Lieferungen aus diesem Projekt gestoppt. In gleicher Weise könnte Washington auch Sanktionen gegen die bestehenden Projekte Yamal LNG, Kriogas-Wysozk LNG und Gazprom LNG Portowaja verhängen. Juschkow fügt hinzu:

"Die USA brauchen kein russisches Flüssiggas. Allerdings werden sie bis 2026 Sanktionen gegen Russland verhängen. Momentan erwarte ich nicht, dass die russischen Gaslieferungen blockiert werden, es sei denn, es gibt keine Fortschritte bei der friedlichen Beilegung der Situation in der Ukraine – dann gibt es keinen Grund, Sanktionen zu verhängen. Denn in den Jahren 2026 bis 2030 wird es eine neue Welle der Inbetriebnahme neuer Verflüssigungsanlagen in den USA, Katar und Australien geben, und dann wird es möglich sein, Konkurrenten für Europa schmerzloser vom Markt zu verdrängen."

Möglicherweise bereitet sich Russland jedoch bereits darauf vor, um weicher zu landen, wenn es so weit ist. Zumindest sind inoffizielle Informationen in den westlichen Medien aufgetaucht, wonach Unbekannte angeblich LNG-Tanker auf dem Weltmarkt aufkaufen und eine LNG-Schattenflotte im Interesse Russlands aufbauen. Juschkow schätzt:

"Der Aufbau einer LNG-Schattenflotte, die Russland treu ergeben ist, könnte als Vorbereitung auf die mögliche Verhängung von Sanktionen gegen Yamal LNG Realität werden. Wenn die USA damit beginnen, dieses Projekt vom Markt zu verdrängen, werden Tanker benötigt, um das LNG zu den asiatischen Märkten zu bringen. Um LNG durch den Suezkanal zu transportieren, benötigt man 40 Tanker für die ersten beiden Transportabschnitte und 55 Tanker für alle drei Abschnitte. Und wenn die Route rund um Afrika führt, werden 75 bis 80 Tanker benötigt.

Wenn Yamal LNG unter Sanktionen fällt, werden die Tanker der Eisbrecherklasse Arc7 die Erzeugnisse von Yamal LNG und Arctic LNG-2, das bereits unter Sanktionen steht, zu Umschlagplätzen in der Region Murmansk und Kamtschatka bringen. Und von dort aus wird die Schattenflotte, über die gerade berichtet wird, das LNG übernehmen und auf die asiatischen Märkte ausliefern."

Doch was mit dem Gastransit durch die Ukraine nach dem Auslaufen des Transitabkommens im Dezember 2024 geschehen wird, darauf hat noch niemand eine Antwort, und vieles wird davon abhängen, wer zum neuen US-Präsidenten gewählt wird. Juschkow schließt:

"Wenn aber niemand etwas unternimmt, keine Entscheidungen trifft, kann der Transit bestehen bleiben. Viele Leute denken, dass es notwendig ist, einen neuen Transitvertrag zu unterzeichnen, um den Transit zu erhalten, aber in Wirklichkeit ist das nicht nötig. Denn die Ukraine hat die europäische Gesetzgebung umgesetzt, nach der sie verpflichtet ist, Auktionen zur Reservierung von Transitkapazitäten ohne Transitverträge durchzuführen. Gazprom kann bei den Auktionen so viel Kapazität abnehmen, wie es Aufträge in Europa gibt."

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist zuerst am 30. Juli 2024 auf der Webseite der Zeitung Wsgljad erschienen.

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