Der Westen bereitet sich auf die Verlagerung des Konflikts mit Russland auf das Meer vor
Von Gleb Prostakow
Die Dynamik des Ölmarktes, die in die Endphase gehenden US-Wahlen und der Verlauf der militärischen Sonderoperation bilden die grundlegenden Parameter des rasanten Tempospiels, das um Russland gespielt wird. Die aktuellen Ölpreise, die sich auf einem Zweimonatshoch befinden, sind für Russland im Moment sehr hilfreich. Trotz der hohen Inflationsrate, die die Zentralbank zu einer straffen Geldpolitik zwingt, wird der Haushalt mit Petrodollars gefüllt und der Rubel bleibt relativ stabil.
Diese Gelassenheit in der russischen Wirtschaft gefällt den US-Amerikanern nicht sonderlich. Die von den G7-Staaten festgelegte Preisobergrenze von 60 US-Dollar pro Barrel russischen Öls wurde längst durchbrochen. Die aktuellen Notierungen der Sorte Brent liegen derzeit bei 88 US-Dollar, während der Abschlag der russischen Sorte zu diesen Werten auf nur noch 10 bis 13 Prozent gesunken ist. Allerdings werden neue Sanktionen gegen den russischen Ölsektor entgegen allen Absichten der USA durch einen wichtigen Umstand erschwert: Sämtliche Beschränkungen dürften sich nicht auf die tatsächliche Ausfuhr von russischem Öl auswirken – nur auf dessen Preis.
Tatsache ist, dass ein Exportstopp die Ölpreise weiter in die Höhe treiben wird, auch auf dem US-Inlandsmarkt. Das will die Biden-Regierung natürlich nicht zulassen. Die US-Amerikaner verfügen über keine zusätzlichen Ölmengen, um die sinkenden Mengen auszugleichen. Daher hat Washington zum Beispiel die Kiewer Behörden dringend gebeten, von Angriffen auf russische Raffinerien abzusehen. Die Angst, gegen sich selbst zu spielen, bindet den US-Amerikanern in vielerlei Hinsicht die Hände. Andererseits führt die Einsicht, dass eine militärische Niederlage Russlands immer unwahrscheinlicher wird, dazu, dass immer mehr Wert auf die Fortsetzung der wirtschaftlichen Strangulation und neue Formen der Eskalation gegen das Land gelegt wird.
Unter diesen Umständen bleiben den US-Amerikanern nur wenige Optionen. Eines der wahrscheinlichsten Eskalationsszenarien ist die Verlagerung der Konfrontation vom Land auf die See. Derzeit entfallen rund 40 Prozent der Ölexporte Russlands auf den Seeweg über die baltischen Häfen des Landes. Der hohe Anteil der russischen Westhäfen am Ölexport des Landes ist unter anderem auf die erheblichen Risiken des Öltransports über Noworossijsk zurückzuführen, das in der Nähe der militärischen Konfliktzone liegt und regelmäßig angegriffen wird.
Ein Teil des Öls geht über die Ostsee und den Atlantik in die EU und nach Indien. Ein anderer Teil, der nordwärts fließt, wird über den Nördlichen Seeweg nach China transportiert. Die Richtung der Ölströme in das Gebiet Leningrad wird auch von der Geografie diktiert – nämlich von der Lage der Ölfelder und der vorhandenen Infrastruktur für ihre Lieferung und Verarbeitung in den Häfen. Auf die eine oder andere Weise könnten neue Sanktionen einen erheblichen Teil der russischen Ölexporte und damit auch der Haushaltseinnahmen beeinträchtigen.
Ende Juni und Anfang Juli wurde die seit Mitte letzten Jahres diskutierte Idee, die Bewegung der russischen Tankerflotte durch die dänischen Meerengen zu beschränken, wieder aufgegriffen. Der dänische Außenminister Lars Løkke Rasmussen sagte, dass die Frage zusammen mit anderen Ländern untersucht werde. Dabei handelt es sich wahrscheinlich um Schweden, Deutschland, Norwegen und Finnland, die wie Dänemark über Hoheitsgewässer in der Ostsee verfügen. Eine Schlüsselrolle kommt Kopenhagen zu, das die drei wichtigsten Meerengen am Ausgang der Ostsee – den Kleinen Belt, den Großen Belt und den Öresund – sowie die beiden Meerengen am Eingang zur Nordsee – das Kattegat und das Skagerrak – kontrolliert, die den "Flaschenhals" für den gesamten Seeverkehr in der Region darstellen.
Ein Verbot der Durchfahrt durch die Meerenge könnte Tanker betreffen, die Öl transportieren und deren Lieferverträge die Preisobergrenze nicht einhalten. Im Grunde genommen müsste Dänemark die Rolle der jemenitischen Huthi übernehmen, nur dass sie in nördlichen Gewässern als Piraten auftreten würden. Diese Idee birgt zwei Hauptprobleme. Das erste ist die internationale Legitimierung einer solchen Lösung. Es ist klar, dass das Seerecht nicht zulässt, die Durchfahrt von Handelsschiffen zu verhindern: Weder das Übereinkommen von Montreux noch das ältere Übereinkommen von Kopenhagen, das die Erhebung von Zöllen auf Schiffe, die die dänischen Meerengen passieren, abschaffte, sehen dies vor. Aber wie im Fall der eingefrorenen russischen Vermögenswerte kann das Recht des Gesetzes durch das Recht der Gewalt ersetzt werden.
Daraus ergibt sich das zweite Problem: die Fähigkeit, die von den westlichen Ländern getroffenen Entscheidungen physisch durchzusetzen. Vor einem Jahr machte die Eskalationsspirale unmöglich, zu so drastischen Maßnahmen wie der physischen Beschränkung des internationalen Schiffsverkehrs für Russland allein zu greifen. Doch damals hoffte der kollektive Westen noch auf ein erfolgreiches Vorgehen der ukrainischen Streitkräfte an der Front, Schweden war noch nicht der NATO beigetreten und die Aussichten auf Joe Bidens Wiederwahl waren nicht so düster wie heute.
Die beschleunigte Modernisierung der russischen Marine, insbesondere die Ausrüstung fortschrittlicher Schiffe mit Zirkon-Raketensystemen, könnte auch den Westen zu einer Eskalation auf See drängen. Nach der Logik Washingtons und Brüssels gilt: Wenn wir jetzt nicht handeln, dann werden wir niemals mehr eine solche Gelegenheit bekommen.
Die Blockade russischer Tanker würde natürlich eine russische Reaktion hervorrufen. Die Eskorte von Öltankern durch Kriegsschiffe wird den Einsatz in diesem Spiel maximal erhöhen. Schließlich kann ein Angriff durch ein Kriegsschiff gemäß den Regeln des Krieges als eine Kriegserklärung betrachtet werden. Und zweifellos wird Russland, wenn es gezwungen würde, Maßnahmen zum Schutz seiner Handelsschiffe zu ergreifen, als der "Aggressor" dargestellt werden.
Die Wahrscheinlichkeit dieses Szenarios ist umso größer, je düsterer die Aussichten der Demokraten in den Vereinigten Staaten werden. Ein Krieg mit Russland – nicht an Land, sondern auf See, wo sich die USA, das Vereinigte Königreich und andere Seemächte viel sicherer fühlen als bei Konflikten an Land – könnte von den Demokraten ernsthaft als Gelegenheit in Betracht gezogen werden, Wahlen als solche zu vermeiden, indem sie sie unter dem Vorwand des Kriegsrechts absagen. Schließlich hat Wladimir Selenskij dies in der Ukraine getan, warum also sollte Biden nicht dem Vorbild seines Schützlings folgen?
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 13. Juli 2024 zuerst auf der Webseite der Zeitung Wsgljad erschienen.
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