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Russland wird zur Schaffung eines Druckpunkts in der Nähe der USA gezwungen

Washington will bald Langstreckenraketen in Deutschland stationieren. Diese werden bereits in Europa stationierte Marschflugkörper deutlich übertreffen und für Russland eine ernsthafte Gefahr darstellen. Experten zufolge wird Moskau gezwungen, neue Waffen zu entwickeln und sie in US-Nähe zu stationieren.
Russland wird zur Schaffung eines Druckpunkts in der Nähe der USA gezwungen© Mark Wilson/Getty Images

Von Aljona Sadoroschnaja

Die USA werden ab 2026 mit der Stationierung von Langstreckenraketen auf deutschem Boden beginnen. Dies geht aus einer gemeinsamen Erklärung der beiden Länder hervor, die auf der Webseite des Weißen Hauses veröffentlicht wurde. Darüber hinaus kündigten Washington und Berlin die "episodische" Stationierung von Mittelstreckenraketen an.

Auf der Liste der geplanten Waffenstationierungen stehen die SM-6-Rakete (eine see-, luft- und landgestützte Mehrzweckrakete), der Tomahawk-Marschflugkörper und eine in der Entwicklung befindliche Hyperschallwaffe, "die eine deutlich größere Reichweite hat als die derzeitige bodengestützte Feuerkraft in Europa".

Bundeskanzler Olaf Scholz hat die Entscheidung der USA bereits begrüßt und sie als richtig bezeichnet. Auf die Frage, ob Berlin durch die Entscheidung nicht in einen neuen Rüstungswettlauf mit Moskau hineingezogen werde, sagte er, Russland habe eine "unglaubliche Aufrüstung", auch im Bereich der Europa bedrohenden Systeme, betrieben, und die Stationierung von US-Raketen werde unter anderem dazu beitragen, Moskau abzuschrecken.

Neue Raketenbedrohungen gegen Russland werden auch von anderen NATO-Ländern ausgehen. Nach Angaben von Reuters haben Frankreich, Deutschland, Italien und Polen vereinbart, gemeinsam Langstrecken-Marschflugkörper zu entwickeln. Der Presse zufolge werden die neuen Waffen eine Reichweite von über 1.000 Kilometern haben und Ziele auf russischem Gebiet erreichen können.

Es sei daran erinnert, dass der russische Präsident Wladimir Putin Anfang Juli bestätigte, dass Moskau bereit sei, im Falle der Stationierung von US-amerikanischen Mittelstrecken- und Kurzstreckenraketen in einer beliebigen Region der Welt in gleicher Weise zu reagieren. Er erklärte auch, dass Russland bereit sei, mit der Produktion von Raketen der entsprechenden Klasse zu beginnen.

Dazu sei angemerkt, dass Washington bereits im April eine neue Stufe der Raketeneskalation eingeleitet hat. Die Zeitung Wsgljad berichtete ausführlich über die Stationierung von Typhon-Raketensystemen auf den Philippinen, die nicht nur Tomahawk-Marschflugkörper, sondern auch Standard-Mehrzweckraketen vom Typ SM-6 abfeuern können. Darüber hinaus hieß es, dass die Vereinigten Staaten beabsichtigen, Mittelstrecken- und Kurzstreckenraketen auf Guam zu stationieren. Russlands stellvertretender Außenminister Sergei Rjabkow wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass das Vorgehen der USA unumkehrbar sein könnte, da sich die US-Amerikaner "das Potenzial aneignen und es im Rahmen des Konzepts der sogenannten doppelten Abschreckung nutzen wollen".

Rjabkow schloss nicht aus, dass Russland das zuvor angekündigte Moratorium für die Stationierung von Mittelstrecken- und Kurzstreckenraketen überdenken könnte. Der stellvertretende Minister äußerte jedoch die Hoffnung, dass sich die Situation doch "ohne weiteren Kapazitätsaufbau" entwickelt, den die Vereinigten Staaten seiner Meinung nach in den letzten Jahren beharrlich betrieben haben. Andernfalls werde Moskau mit "doppelten Gegenmaßnahmen" reagieren.

Was das neue Abkommen zwischen den USA und Deutschland anbelangt, so zielt es darauf ab, die Sicherheit Russlands zu beeinträchtigen, "ohne Rücksicht darauf, ob sich dadurch die Chancen für künftige Rüstungskontrollverhandlungen erhöhen oder ob sie ins Leere laufen und ins Bodenlose fallen werden". Gegenüber RIA Nowosti betonte Rjabkow, die Entscheidung zur Stationierung von Langstreckenraketen sei "nur ein Glied im Eskalationskurs, eines der Elemente der Einschüchterung, die heute fast der Hauptbestandteil der NATO- und US-Linie gegenüber Russland ist".

Es sei daran erinnert, dass der im Jahr 1987 von der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten unterzeichnete Washingtoner Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme (INF-Vertrag) den beiden Ländern die Herstellung, den Einsatz und die Lagerung von landgestützten ballistischen Raketen und Marschflugkörpern mittlerer (1.000 bis 5.500 Kilometer) und kürzerer (500 bis 1.000 Kilometer) Reichweite verbietet und für konventionelle und nuklear bestückte Raketen gilt.

Im Frühjahr des Jahres 1991 wurde der Vertrag vollständig umgesetzt. Die sowjetische Seite beseitigte 1.752 landgestützte ballistische Raketen und Marschflugkörper, die Vereinigten Staaten 859. Im Februar des Jahres 2019 kündigten die Vereinigten Staaten die Aussetzung des Vertrags an, und im August desselben Jahres traten sie offiziell aus dem Vertrag aus.

Dmitri Stefanowitsch, Mitbegründer des Watfor-Projekts und Forscher am Zentrum für internationale Sicherheit des Instituts für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen an der Russischen Akademie der Wissenschaften, erklärte gegenüber der Zeitung Wsgljad:

"Die von den US-Amerikanern angekündigte Stationierung von Langstreckenraketen in Deutschland steht in direktem Zusammenhang mit dem INF-Vertrag, aus dem sich die USA zuvor zurückgezogen hatten. Und in diesem Sinne ist es schon amüsant zu sehen, wie das Pentagon auf jede erdenkliche Weise versucht, Assoziationen mit dem Vertrag zu vermeiden."

Nach Ansicht des Experten gibt es dafür zwei Gründe:

"Erstens wird der Vertrag im US-Paradigma mit nuklearfähigen Raketen in Verbindung gebracht, obwohl in dem Dokument nichts dergleichen festgelegt wurde und es um die Waffenklasse selbst ging. Und zweitens möchte Washington nicht, dass man sich an die starken sozialgesellschaftlichen Bewegungen erinnert, die sich in den 80er Jahren in Europa gegen die Stationierung von Mittelstreckenraketen zur Wehr setzten."

In diesem Zusammenhang verweist Stefanowitsch auch auf frühere Verlautbarungen der russischen Seite über die Pläne der USA zur Stationierung entsprechender Waffen.

"In Europa tauchten aber immer wieder Abschussvorrichtungen verschiedener Art auf. Und soweit bekannt, hat Russland auch weiter an der Produktion von Mittelstreckenraketen gearbeitet."

Seiner Auffassung nach werde Moskau seine Bemühungen in dieser Richtung verstärken können, "es sieht nicht nach einer unlösbaren Aufgabe aus".

Wassili Kaschin, Direktor des Zentrums für umfassende europäische und internationale Studien (CCEIS) an der Nationalen Forschungsuniversität Higher School of Economics, weist ebenfalls auf den Zusammenhang zwischen der Entscheidung der USA, Waffen an Deutschland zu liefern, und dem Ausstieg der US-Amerikaner aus dem INF-Vertrag hin:

"Der Prozess der Auflösung des Vertrags ist seit der Obama-Regierung schrittweise vorangeschritten. Und er wurde durch angebliche russische Vertragsverletzungen gerechtfertigt.

Der wirkliche Grund war jedoch das Vorgehen Chinas, das eine große Gruppe von Kurz- und Mittelstreckenraketen aufgebaut hat. Daraufhin haben die Vereinigten Staaten offen gesagt, dass sie eine Antwort darauf brauchen, der Vertrag für sie aber ein Hindernis darstellt."

Kaschin weist auch darauf hin, dass Washington lange Zeit nicht seine Absicht zur Stationierung von Kurz- und Mittelstreckenraketen in Europa zum Ausdruck gebracht hat.

"Doch irgendwann tauchte diese Art von Waffensystemen auf der Insel Bornholm auf, nun kommt sie nach Deutschland. In Asien ist im Grunde das Gleiche geplant."

Was die in Deutschland direkt zu stationierenden Waffen betrifft, so könnten sie nach Ansicht von Stefanowitsch ernsthafte Risiken für Russland darstellen:

"Wir wissen noch nicht genau, welche Modifikation der SM-6-Rakete die US-Amerikaner stationieren wollen, aber offenbar soll sie als eine Art ballistische Kurzstreckenrakete eingesetzt werden.

Dann läge die Reichweite in der Größenordnung von 500 bis 700 Kilometern. Es gibt allerdings eine Modifikation mit einem leistungsstarken Zusatztriebwerk, mit dem sie viel weiter und schneller fliegen kann. Beim Tomahawk ist jedoch alles ganz klar – in normaler Ausrüstung deckt er von einer bodengestützten Abschussvorrichtung aus eine Entfernung von 1.600 Kilometern ab, was eine Bedrohung für fast den gesamten europäischen Teil Russlands darstellt, einschließlich der Krim und der beiden neuen Militärbezirke."

Wichtig sei, so der Experte, dass die Vereinigten Staaten auf allen Ebenen betonen, dass es sich bei den zu stationierenden Waffensystemen ausschließlich um nicht-nukleare handelt. Stefanowitsch erklärte:

"Im Großen und Ganzen ist die Geschichte unerfreulich, aber andererseits steht die Aufgabe, massive Angriffe mit Marschflugkörpern abzuwehren, schon seit langem an. Es wird also zu einem weiteren Ausbau der Feuerkraft kommen, und wir sollten auch mit der Entstehung neuer Verteidigungsstaffeln und tatsächlich mit Kurz- und Mittelstreckenraketen rechnen.

Nun, wir sollten die Erklärungen der obersten russischen Militärführung nicht vergessen, dass wir, wenn Raketen in der Nähe unserer Grenzen auftauchen, symmetrisch einen zusätzlichen Druckpunkt in der Nähe der Vereinigten Staaten schaffen werden."

Er schließt nicht aus, dass etwas Ähnliches bereits durchgeführt wurde, auch während des jüngsten Besuchs einer russischen Fregatte und eines U-Boots auf Kuba.

Kaschin fügte hinzu, dass Tomahawk-Marschflugkörper eine Reichweite von bis zu 2.500 Kilometern haben können. Er führte weiter aus:

"Was die Hyperschallwaffen betrifft, so haben die US-Amerikaner sie noch nicht. Die Vereinigten Staaten sind bei der Entwicklung dieser Waffe im Vergleich zu Russland oder China stark im Rückstand. Aber wenn die USA sie entwickeln sollten, werden wir es mit dem Hyperschall-Raketensystem Dark Eagle zu tun haben, das eine Reichweite von über 3.000 Kilometern hat.

Da die letzten Beschränkungen faktisch aufgehoben wurden, hat Russland das moralische und juristische Recht, mit den gleichen Maßnahmen zu antworten. Und generell kann aus heutiger Sicht und aufgrund der Erfahrungen der Sonderoperation als erwiesen angesehen werden, dass dieser Vertrag, den die US-Amerikaner zunichtegemacht haben, auch uns geschadet hat.

Derzeit sind wir im Rahmen der militärischen Sonderoperation auf see- und luftbasierte Träger angewiesen, um militärische Ziele in der Ukraine mit großer Reichweite anzugreifen. Diese Mittel sind viel schwächer als landgestützte Raketen, da die NATO über Geheimdienstinformationen verfügt und weiß, wenn beispielsweise unsere Bomber in die Luft gehen."

Gleichzeitig seien bodengestützte Waffenkomplexe um eine Größenordnung billiger und ihr Einsatz sei viel schwieriger zu entdecken, was die Überraschung eines Angriffs und seine Wirksamkeit erhöhe, meinte Kaschin. Der Analyst schloss:

"Russland muss nun seine Ressourcen umverteilen und den Schwerpunkt auf die Produktion entsprechender Raketen legen und von nun an solche zweifelhaften Verträge vermeiden."

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 11. Juli 2024 zuerst auf der Webseite der Zeitung Wsgljad erschienen.

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