"Sie vernichten alles von innen": Verstärkte Spannungen im ukrainischen Militär
Von Sachar Andrejew
"Masepinkas" gegen "Tabletten"
Die Wirren äußern sich im Aussehen der ukrainischen Militärangehörigen. Im Jahr 2015 haben die Streitkräfte der Ukraine eine neue Uniform erhalten, deren markantestes Element die sogenannten "Masepinkas" wurden – Offizierskäppis, die nach ihrem Aussehen den Kopfbedeckungen der nationalistischen Ukrainischen Aufständischen Armee (UPA) ähnelten. Die Dienstvorschriften lassen auch eine traditionellere Variante zu, die sogenannten "Tabletten". Damit erhielten Militärs die Möglichkeit, in ihrer Uniform ihre Einstellung zur nationalistischen Ideologie auszudrücken. Und viele verzichten auf "Masepinkas".
Die verdeckten Spannungen scheinen sich in jüngster Zeit verstärkt zu haben und drohen, zu einem offenen Konflikt heranzuwachsen. Davon schreibt Igor Luzenko – ein ukrainischer Militärangehöriger, ehemaliger Aktivist des Euromaidan, Abgeordneter der Werchowna Rada und Kämpfer des neonazistischen Bataillons Asow.
Zwei Generationen von Kommandeuren stehen sich gegenüber. Auf der einen Seite sind die Vertreter der sowjetischen Schule. Auf der anderen – Nationalisten, die in den Jahren 2014 und 2022 hervordrangen.
Luzenkos Meinung zufolge hätten sich die alten Kader in den Kämpfen nicht bewährt, wurden allerdings weder bestraft noch entlassen. Mehr noch, diese Kommandeure würden weiterhin den Ton angeben.
"Unter der Losung 'Ich glaube an die Streitkräfte der Ukraine' setzten sie die Vernichtung ebendieser Streitkräfte der Ukraine fort. Das sind Menschen, denen es egal ist, ob sie für Putin oder gegen Putin, für die NATO oder gegen die NATO kämpfen, sie haben keine Überzeugungen. Ihre Stärken liegen nur in Selbstdarstellung, Lügen gegenüber den Vorgesetzten und Unterdrückung der Untergebenen", behauptet Luzenko.
Während "die Jungen" gemäß seinen Behauptungen "kämpfen und siegen" wollen, möchten "die Alten" um jeden Preis ihre Posten behalten und ihre Untergebenen befehligen. Die Rede sei dabei weniger vom Alter, als vielmehr von der Weltanschauung, so Luzenko.
Asow gegen die Generäle
Die Klagen der "Jungen" führten zu einer spektakulären Entlassung. Ende Juni hat Wladimir Selenskij den Kommandeur der Vereinigten Kräfte der Streitkräfte der Ukraine, Juri Sodol, entlassen. Der Entlassung ging ein massiver medialer Angriff auf den General voraus.
Zunächst wurde Sodol von der Rada-Abgeordneten Marjana Besuglaja kritisiert. Ihr zufolge hätten seine Aktionen den russischen Durchbruch nach Torezk ermöglicht. Während sich die ukrainischen Kämpfer zurückzogen, hätte der General selbst in Odessa gesoffen.
"Es scheint, dass General Sodol nicht nur verbrecherische Fahrlässigkeit demonstriert, sondern auch eine Absicht, und für den Feind arbeitet", schrieb die Abgeordnete auf ihrem Telegram-Kanal.
Der Stabschef der Asow-Brigade Bogdan Krotewitsch ging noch weiter und reichte gegen Sodol eine Klage beim Staatlichen Ermittlungsbüro der Ukraine ein. Er beschuldigte Sodol, "mehr Soldaten als jeder russische General" getötet zu haben.
Das von der Washington Post angeführte Dokument beinhaltet eine lange Liste an Vorwürfen: von Fehlern bei der Verteidigung von Mariupol bis zu unbegründeten Befehlen. Angeblich hätte Sodol dem Asow-Regiment befohlen, ohne die notwendige Menge an Artilleriemunition in die Offensive zu gehen. Dadurch seien tausende ukrainische Kämpfer ums Leben gekommen und die Ukraine habe Gebietsverluste erlitten, so Krotewitsch.
Sodol bekleidete seinen Posten nur vier Monate lang. Er wurde vom neuen Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte, Alexandr Syrski, eingesetzt. Letzterer erntete ebenfalls Kritik.
"Ist Syrski ein Komplize oder kontrolliert er die Lage nicht?", schrieb Besuglaja. Es lohnt sich zu erinnern, dass vor einem halben Jahr ihre Kritik der Entlassung des Oberbefehlshabers Waleri Saluschny vorausging.
"Freie" gegen "Sklaven"
Der ehemalige Berater des ukrainischen Präsidialamts Alexei Arestowitsch ist sich sicher: Die Spaltung im ukrainischen Militär wurde dadurch verursacht, dass die Kommandeure das Leben ihrer Untergebenen nicht schätzen.
"Nach dem Durchbruch der russischen Truppen bei Torezk werden in naher Zukunft weitere kommen. An einem der Schlüsselabschnitte der Front haben sich sechs benachbarte Bataillone geweigert, die Kampfmission auszuführen. Denken Sie, dass es ein Einzelfall ist? Denken Sie, dass es nicht zunehmen wird?", sagte er in einem seiner Interviews.
Arestowitsch fügte hinzu: Lieferungen aus dem Westen werden nicht helfen, weil "die Wurzel des Problems eine falsche Einstellung zu Menschen ist – und die Menschen zahlen mit fehlender Loyalität heim."
Eine idealistische Alternative zu dieser Herangehensweise zeichnen die ukrainischen Nationalisten. Nach Meinung des bereits erwähnten Luzenko seien "sowjetische" Offiziere an allem schuld. Sie seien Träger einer Kultur, für die "Nötigung und Repressalien, die Tyrannei eines einzigen Führers und Rechtlosigkeit von allen anderen" charakteristisch seien. Für die neue Generation sei der Krieg dagegen "die Sache der persönlichen Wahl". Während sich die alten Kommandeure zu Freiwilligen wie zu "rechtlosen Sklaven" verhalten, behandeln sie die jungen Kommandeure wie "Freiwillige mit Würde".
Das Problem besteht nur darin, dass "Freiwillige mit Würde" aus irgendeinem Grund auf Straßen entführt werden müssen, und dass immer mehr ukrainische Männer die "persönliche Wahl" treffen, über die Theiß (Grenzfluss zwischen Rumänien und der Ukraine) zu fliehen.
Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen am 1. Juli bei RIA Nowosti.
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