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"Mögliche Revolution": Militärs diskutieren die größte Neuerung im Zuge der Militäroperation

Der Einsatz von Drohnen im Ukraine-Konflikt hat die Vorstellung von Kampfhandlungen verändert. Das Konzept des Kriegsnebels ist verschwunden, und viele Ideen, die noch vor fünf Jahren als modern galten, haben ihre Aktualität verloren. Wie lange wird sich die neue Realität halten?
"Mögliche Revolution": Militärs diskutieren die größte Neuerung im Zuge der MilitäroperationQuelle: Sputnik © Pawel Lissizyn

Von Dawid Narmanija

Eine Million Stück

Das erste Anzeichen, das eine Indiz dafür gab, in welche Richtung sich die Ingenieurskunst entwickelt, war die Popularität der türkischen Drohnen vom Typ Bayraktar. Lange vor Javelin-Panzerabwehrraketen und HIMARS-Mehrfachraketenwerfern wurden sie zu "Wunderwaffen" verklärt, die Russland besiegen könnten.

Doch das trat nicht ein. Die Effektivität der Bayraktar-Drohnen verblasste nach wenigen Monaten, als sie sich komplett schutzlos gegenüber der russischen Luftabwehr erwiesen. Schon im Frühling 2023 berichteten westliche Medien, dass Kiew fast alle Drohnen dieses Typs verloren habe. Doch es war ein Anfang.

Die Bayraktars zeigten, dass große teure Drohnen – ob sie für Aufklärung oder für Angriffe eingesetzt werden – wegen ihrer Wärme- und Radiosignaturen eine leichte Beute für eine gestaffelte Luftabwehr sind. Ihre hohen Kosten ließen indessen keinerlei massenhaften Einsatz zu, der die Verteidigung hätte überlasten können. Nun schlug die Stunde der billigeren und unauffälligeren Geräte.

Gewöhnliche kommerzielle Quadrocopter brachten die Luftaufklärung auf ein ganz neues Niveau. Offiziere erhielten die Möglichkeit, das Schlachtfeld im Online-Modus zu beobachten, und Bewegungen in Gebieten, die früher als tiefes Hinterland galten, wurden nunmehr buchstäblich vor den Augen des Gegners ausgeführt.

Dieser Trend fordert in der Perspektive die Satellitenaufklärung, zumindest in frontnahen Gebieten, heraus. Bei weitem nicht jedes Land ist in der Lage, einen Aufklärungssatelliten in den Orbit zu bringen, der dazu auch noch nur bei wolkenlosem Wetter nützlich ist. Eine Gruppe von Quadrocoptern abzuschießen ist indessen nicht nur für einen ganzen Staat, sondern auch für kleine paramilitärische Verbände möglich.

FPV-Drohnen kamen in Mode. Ihre "First-Person"-Steuerung ermöglicht es, schwach geschützte Stellen von Panzern anzugreifen – das Heck, das Turmdach oder den Motorraum. Das setzte mobilen Verbänden und überhaupt den traditionellen Vorstellungen vom Bewegungskrieg ein Ende. Dabei ist das Risiko für den Drohnenpiloten minimal.

Aus der Notwendigkeit heraus, sich vor solchen "Vögelchen" zu schützen, wurde eine weitere Branche des militärischen Ingenieurwesens geboren. Soziale Netzwerke sind voll von Videos mit russischen "Zarengrills" – Panzern mit aufgeschweißten metallischen Netzen, die den Großteil der Explosion absorbieren.

Im Hinblick auf das "Preis-Leistungs-Verhältnis" übertrafen die FPV-Drohnen andere Waffengattungen bei weitem. Und die Drohnen sind fast schon die einzige Waffenart der ukrainischen Streitkräfte, bei der sie nach Expertenangaben der russischen Armee zumindest nicht nachstehen. Kiew verkündete im Dezember des vergangenen Jahres die Absicht, im Jahr 2024 eine Million Drohnen herzustellen. Zwei Monate später nahm eine "Drohnenkoalition" ihre Arbeit auf, der sich etwa 20 Geldgeberstaaten des Kiewer Regimes anschlossen. Dazu gehören Großbritannien, die Niederlande, Deutschland, Schweden und die baltischen Staaten.

Darüber hinaus beschloss Kiew eine separate Truppengattung aufzustellen – die Kräfte der unbemannten Systeme. Entlang der Frontlinie ziehen Gruppen von Drohnenpiloten umher.

Eine Überspezialisierung?

Die USA reagierten umgehend. Im Mai wurde dem Kongress ein Gesetzentwurf über die Aufstellung eines Korps der unbemannten Luftfahrt bei den US-Streitkräften vorgelegt. Die Rede ist von Drohnen mit einer Masse von weniger als 300 Kilogramm. Größere Maschinen sollen der Luftwaffe unterstellt werden.

"Berücksichtigt man die sich rapide ändernde Art der Kriegsführung, reichen kleine Sonderverbände und Experimente auf der Ebene einzelner Einheiten nicht mehr aus. Die Armee benötigt ein professionelles Drohnenkorps als einen Teil der Truppengattung für unbemannte Systeme", schrieb der Oberstleutnant Robert Solano in einem Artikel für die Zeitschrift Breaking Defense.

Doch diese Herangehensweise hat auch Gegner. Insbesondere hält der stellvertretende US-Heeresminister Gabe Camarillo die Einstufung von Drohnen als eigene Waffengattung für übereilt.

"Alle Truppengattungen müssen auf diversen Ebenen, angefangen vom Trupp, über eigene Drohnen und Mittel zu deren Bekämpfung verfügen. Es lohnt sich nicht, eine separate Struktur aufzubauen. Man sollte mit unterschiedlichen Elementen von unterschiedlichen Verbänden ständig experimentieren, sie kombinieren, um zu verstehen, wie diese Waffe am effektivsten einzusetzen ist", sagt er.

Bidens Administration stimmte dieser Ansicht zu. Begründet wurde dies mit dem Argument, dass das Drohnenkorps sich als zu eng spezialisiert und "nicht flexibel genug" erweisen werde, meldet das Portal Defense Scoop.

Anders formuliert, stießen die Regierungen auf ein Dilemma: Einerseits wäre eine zentralisierte Analyse der gesammelten Erfahrungen und eine Erleichterung der bürokratischen Bürde möglich. Andererseits wird es für Drohnenpiloten schwieriger, sich an die Aufgaben anderer Verbände anzupassen.

Die Drohnenskeptiker

Bei weitem nicht alle teilen im Westen den Enthusiasmus über diese "Revolution auf dem Schlachtfeld".

"Die Vorherrschaft von kleinen primitiven Drohnen, die wir jetzt beobachten, ist nur eine kurzzeitige Episode. Heute ist das Schwert, als welches die Drohnen fungieren, stärker als der Schild. Doch der Schild wird verbessert werden", zitiert die Zeitung Defense News den Stabschef des französischen Heeres, Pierre Schill.

Dabei sorgen nach seinen Angaben die FPV-Drohnen im Ukraine-Konflikt für etwa 80 Prozent der getroffenen Ziele, während es vor zwei Jahren noch null Prozent waren. Doch früher oder später werde sich die Lage ändern, weswegen Frankreichs Entscheidung für eine manövrierfähige Armee mit mittleren Panzerfahrzeugen immer noch in Kraft sei.

FPV-Drohnen könnten nicht mit Artilleriegeschossen verglichen werden, fügte Schill hinzu. Zudem veralteten die Quadrocopter sehr schnell: Die Technik und die Arbeitsfrequenzen würden alle paar Monate erneuert. Granaten könnten dagegen jahrzehntelang gelagert werden.

In jedem Fall haben die Drohnen die Vorstellungen von einem modernen Krieg radikal beeinflusst. Der Ukraine-Konflikt wurde für sie zu einem echten Siegeszug. Der Wettbewerb zwischen Drohnenherstellern und -Entwicklern wird voraussichtlich den Ausgang dieses Krieges in vielerlei Hinsicht beeinflussen.

Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen am 27. Juni bei RIA Nowosti.

Mehr zum Thema – Ukrainische Drohnenangriffe: Wie gefährlich sind sie und wie können sie bekämpft werden?

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