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Die USA bitten Russland, das Jüngste Gericht zu vertagen

In der US-Zeitschrift "The American Conservative" sind gleich zwei Artikel erschienen, die dringend für Friedensverhandlungen auf Grundlage von Wladimir Putins jüngsten Vorschlägen plädieren. Ist dies das Zeichen eines im Westen einsetzenden Umdenkens?
Die USA bitten Russland, das Jüngste Gericht zu vertagenQuelle: Sputnik © RIA Nowosti

Von Kirill Strelnikow

Jetzt wissen wir genau, wie lange es dauert, bis eine Giraffe die Botschaft versteht: Eine Woche ist vergangen, seit der Kollektive Westen Putins Friedensvorschläge erhalten hat, und plötzlich erweist sich, dass der Plan der Lösung des Ukraine-Konflikts, den sie zuerst prompt und reflexartig abgelehnt haben, durchaus der Beginn eines Friedensprozesses sein kann. Und dass Putins wenige Vorbedingungen eisenhart begründet sind.

Eine der bekanntesten US-Publikationen, The American Conservative, die Stimme der verbliebenen Realisten und Pragmatiker im Westen, veröffentlichte gestern zwei programmatische Artikel, die sich sowohl an die westliche Elite als auch an die russische Führung richten.

Der erste Artikel mit dem bezeichnenden Titel "The Biden Administration Has No Definition of Victory in Ukraine ‒ That is just one of the reasons to start negotiations" ("Die Biden-Administration hat keine Vorstellung von einem Sieg in der Ukraine ‒ und das ist einer der Gründe für die Aufnahme von Verhandlungen") räumt überraschend offen ein, dass einer der Hauptgründe für den Beginn des Konflikts in der Ukraine die anhaltende Missachtung russischer Interessen durch den Westen ist. Die Missachtung russischer Interessen und der zahlreichen Warnungen nicht nur aus Moskau, dass ein NATO-Beitritt der Ukraine für Russland von Anfang an "absolut inakzeptabel" war.

Der Artikel zitiert NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg:

"Im Herbst 2021 schickte uns Putin einen Vertragsentwurf über die Nichterweiterung der NATO. Natürlich haben wir ihn nicht unterschrieben. Und er begann einen Krieg, um zu verhindern, dass (ein neues und feindliches Mitglied der) NATO an Russlands Grenzen auftaucht."

Der zweite Artikel mit dem Titel "Putin's Peace Proposal: Deal or No Deal?" kommt zu dem Schluss, dass die Ablehnung von Putins Friedensplan durch die Ukraine und den Westen ein schwerer Fehler war. Ein Fehler, der dringend korrigiert werden muss, wenn es dafür nicht zu spät ist.

Die öffentlichen Argumente "für dringende Friedensgespräche" sind in beiden Artikeln fast identisch:

Kiews hartnäckig verkündete Ziele (auf Geheiß seiner derzeitigen Handlanger) wie die Rückgabe der Krim und des Donbass, die Entmachtung Putins und ein Regimewechsel in Russland sind "längst verworfene Phantasien". Russland hat allen Widrigkeiten zum Trotz eine starke Wirtschaft, eine maßgebliche Führung, chinesische Unterstützung, eine riesige Bevölkerung und Armee, und sein militärisch-industrieller Komplex arbeitet "mit voller Kraft".

Die von Selenskij versprochene neue Offensive sei vor dem Hintergrund eines personellen Desasters "unrealistisch". Die Ukraine sei für die USA und Europa nie wichtig gewesen, aber der militärische Konflikt bereite dem Westen ernste Probleme: "Wer in Donezk, Lugansk, Cherson und Saporoschje regiert, geht uns absolut nichts an."
Die Zeit spiele gegen die Ukraine und den Westen, und es sei notwendig, das Maximum dessen herauszuholen, was im Moment möglich ist, denn dann werden die Bedingungen schlechter sein: "Es ist unwahrscheinlich, dass Kiew nächstes Jahr in einer besseren Verhandlungsposition sein wird als jetzt."

Das wichtigste Argument lautet indes: Versuche, den Westen und die NATO noch tiefer in den Konflikt zu verwickeln, sind ein direkter Weg in ein nukleares Armageddon, das niemand will. Es liege im Interesse Europas und der Vereinigten Staaten, den Krieg so schnell wie möglich zu beenden, was bedeutet, dass "Verhandlungen (mit Russland) kategorisch notwendig sind".

In der Tat wird Russland aufgefordert, die Umsetzung von "Plan B" mit noch härteren Konsequenzen hinauszuzögern und die kategorische Weigerung der derzeitigen westlichen Führer, zu verhandeln, zu ignorieren, weil im November ein neuer Präsident im Weißen Haus und neue Staatschefs mit einer realistischeren Position in Europa antreten könnten.

Amüsanterweise wurde ein ähnlicher Gedanke vom derzeitigen französischen Premierminister Gabriel Attal formuliert, der sagte, dass, sollte die rechtsgerichtete Partei Rassemblement National nach den Parlamentswahlen an die Macht kommen, dies sowohl innenpolitisch als auch international zu großen Veränderungen führen werde. Einschließlich der "Einstellung eines Großteils der Hilfe für die Ukraine". Florian Philippot, ein französischer Politiker und Architekt des Erfolgs von Marine Le Pen, schloss sich ihm an und schrieb, dass die westlichen Länder ihre Finanzhilfe für Kiew einstellen sollten und dass die Ukraine selbst "so bald wie möglich auf der Grundlage der vor zwei Jahren in Istanbul getroffenen Vereinbarungen an den Verhandlungstisch mit Russland zurückkehren sollte".

Die neuen Politiker in anderen westlichen Ländern, die auf der Welle der "Lame-Duck-Epidemie", von der die Regierungschefs Deutschlands, Frankreichs, Kanadas und Japans befallen wurden, vielleicht bald die "Verweigerer" ablösen und Verhandlungen mit Russland aufnehmen, haben eine ähnliche Position.

Die zaghaften Rufe einiger westlicher Kräfte nach Verhandlungen und die Aufforderung, "einen kühlen Kopf zu bewahren", wurden von Russland sicherlich vernommen. Wir sehen, wie der Westen langsam aber sicher zurückweicht. Hier und da gibt es Berichte, dass Putins Friedensplan ein echter Segen ist: "Moskaus Friedensvorschlag hat versteckte Möglichkeiten. Selbst eine 'geschrumpfte' Ukraine könnte mit westlicher Hilfe zu einer blühenden Nation werden, wie Südkorea nach 1953 oder Westdeutschland nach 1945."

Es könnte sich jedoch herausstellen, dass Putins mehr als vernünftige und realistische Vorschläge nur eine begrenzte Haltbarkeit haben und es keine Rückkehr zu dem einst hochmütig verworfenen Friedensplan geben wird, sondern dass neue Bedingungen "vor Ort" festgelegt werden. Russland kann und wird nicht warten, bis die Generation der "Falken" im Westen durch eine Generation von Tauben, Kanarienvögeln oder Papageien ersetzt wird.

Russlands Führung schafft erfolgreich und konsequent eine neue Weltordnung und eine neue wirtschaftliche und politische Realität (siehe die Ergebnisse der Besuche von Präsident Wladimir Putin in Nordkorea und Vietnam, die Warteschlange derjenigen, die den BRICS beitreten wollen, und so weiter) und stärkt gleichzeitig das Land, seine Armee und seine Wirtschaft: Laut dem US-Kongressabgeordneten Michael Waltz "verkauft Russland mehr Öl und Gas in Asien und Europa, in der ganzen Welt, als jemals zuvor. Die Welt verändert sich unwiderruflich vor unseren Augen ‒ und nicht zu Gunsten des Kollektiven Westens."

Und während die Giraffe langsam begreift, dass sie die saftige Kokosnuss hätte nehmen sollen, die ihr gestern angeboten wurde, bekommt sie morgen vielleicht nur eine zerfetzte Feige angeboten.

Übersetzt aus dem Russischen. Der Originalartikel ist am 21. Juni 2024 auf ria.ru erschienen.

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