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Sicherheitsarchitektur für Eurasien: Putins Friedensvorschlag – und Scholz' Ablehnung

Russlands Präsident Putin hat eine Einladung ausgesprochen. Die Länder auf dem eurasischen Kontinent sollen gemeinsam eine neue Sicherheitsarchitektur entwickeln, die dauerhaften Frieden ermöglicht. In Deutschland wurde der Vorschlag auf die Ukraine verkürzt und sofort abgelehnt.
Sicherheitsarchitektur für Eurasien: Putins Friedensvorschlag  – und Scholz' AblehnungQuelle: Sputnik © Valeriy Sharifulin

Von Gert Ewen Ungar

Bei einem Treffen mit Diplomaten des russischen Außenministeriums hat Russlands Präsident Wladimir Putin einen weitreichenden Vorschlag nicht nur zur Lösung des Ukraine-Konflikts, sondern zur Entwicklung einer gemeinsamen Sicherheitsarchitektur für alle Staaten auf dem eurasischen Kontinent vorgelegt. Grundlage seines Vorschlags ist das Prinzip der kollektiven Sicherheit sowie das Prinzip der Souveränität der Staaten. 

In Deutschland wird der sehr umfassende Vorschlag Putins auf den Teil verkürzt, wo er sich zur Ukraine äußert. Denn in seinen Vorschlag zur Erschaffung einer neuen, stabilen Sicherheitsarchitektur für Eurasien hat Putin einen Vorschlag zur Beendigung des Ukraine-Konflikts eingebettet. Dieser wurde vom Westen, auch von Deutschland unmittelbar abgelehnt. Bundeskanzler Scholz sagte, er halte die Vorschläge Putins für nicht ernst gemeint. Die schnelle Absage ist irritierend, denn Putin sprach eine Einladung zur dauerhaften Kooperation und Gestaltung aus. 

Die zum Ende des Kalten Krieges entwickelte Sicherheitsarchitektur in Europa ist zerstört. Klarer Ausdruck dessen ist der Ukraine-Krieg, den es ohne die Versuche, die Kräfteverhältnisse in Europa zu verschieben, nicht geben würde. Die Ukraine hatte sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und ihrer staatlichen Unabhängigkeit eine Verfassung gegeben, die sie zur Neutralität verpflichtete. Im Jahr 2008 wurden der Ukraine die Türen zu einem NATO-Beitritt geöffnet, 2014 gab die Ukraine ihre Verpflichtung zur Neutralität auf und nahm die Aufnahme in die NATO als Staatsziel in ihre Verfassung auf. Ohne diese Verschiebungen in der Tektonik der europäischen Sicherheitsarchitektur ist der Ukraine-Konflikt nicht denkbar. 

Eurasien braucht eine neue Sicherheitsarchitektur

Es geht also darum, die den Konflikt auslösende Ursache zu eliminieren. Putins Vorschlag beinhaltet daher folgerichtig, dass die Ukraine darauf verzichtet, der NATO beizutreten und zu ihrem neutralen Status zurückkehrt.

Aber Putins Vorschlag geht noch weiter. Der russische Präsident stellt in Aussicht, auf dem eurasischen Kontinent auf der Grundlage des Prinzips kollektiver Sicherheit ein balanciertes System zu etablieren, das allen Staaten Sicherheit bietet und kein Land ausschließt. Kollektive Sicherheit bedeutet, dass es Sicherheit immer nur für alle gleichzeitig gibt, oder es gibt eben keine Sicherheit. Um dies zu erreichen, bedarf es Diplomatie, Gesprächen und Mechanismen zur Schlichtung sowie zur Kompromissfindung. Putin lädt ein, im Rahmen bestehender Organisationen Mechanismen zu entwickeln, die es den Ländern der EU, der Ukraine, Russland, China, Indien, den Ländern Zentralasiens dauerhaft ermöglichen, in Frieden und Kooperation miteinander zu existieren. Es ist eine ganz große Vision. Sie wurde von Scholz allzu schnell abgetan. 

Um sie umzusetzen, ist es notwendig, dass sich die Staaten nicht nur der Anwendung von Gewalt enthalten und ihre Streitigkeiten ausschließlich auf diplomatischem Weg beilegen. Notwendig ist zudem, dass darauf verzichten, sich in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten einzumischen, sagt Putin. Das würde dem Westen und allen voran der EU und Deutschland abverlangen, ihren Hegemonialanspruch aufzugeben und die Souveränität der Nationalstaaten anzuerkennen. Deutschland und die EU sehen sich im Recht, anderen Ländern Vorschriften zu machen und mischen sich aktiv über ein weit verzweigtes System der Einflussnahme in die inneren Angelegenheiten anderer Länder ein. Ziel ist es dabei, dort Regierungen zu installieren, die den eigenen, westlichen Machtinteressen dienen. Diese Praktik müsste beendet werden.

Auch dafür, welche Folgen die Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder haben kann, ist die Ukraine ein gutes Beispiel. Der Ukraine-Konflikt geht unter anderem auf Einmischung durch westliche Akteure zurück. Der Maidan-Putsch wurde von Außen nicht zuletzt von Deutschland befeuert. Die Bevölkerung im Osten des Landes teilte die Ziele des Maidan-Putsches nicht und es brach unmittelbar nach der Machtergreifung der Maidan-Putschisten ein Bürgerkrieg aus.

Für Deutschland am schwersten umzusetzen, allerdings zwingend erforderlich, ist die Änderung des Blicks auf internationale Beziehungen. Deutsche Politik sieht in den Beziehungen zu anderen Ländern vor allem ein Verhältnis der Konkurrenz. Diese Sicht, in der der Wille zur Konfrontation sowie zur Machtausweitung bereits angelegt ist, müsste durch den Willen zum Frieden, zur Kooperation sowie dem deutlich sichtbaren Willen, die Souveränität anderer Staaten bedingungslos zu respektieren, abgelöst werden. Derzeit ist deutsche Politik von diesen Prinzipien des Völkerrechts jedoch sehr weit entfernt. 

Putins Vision: dauerhafter Frieden auf dem eurasischen Kontinent

Was Putin vorschlägt, ist die Umsetzung der UN-Charta für den eurasischen Kontinent. Er ist mit seiner Vision nicht allein. Sein Vorschlag geht im Kern auf einen chinesischen Vorschlag zur Beendigung des Ukraine-Konflikts aus dem vergangenen Jahr zurück.

Dass dieses weitere Angebot aus Russland so unmittelbar und vehement abgelehnt wurde, ist ein schwerer Fehler. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte hinsichtlich des Vorschlags zur Befriedung des Ukraine-Konflikts, würde sich die Ukraine aus den von Russland beanspruchten Gebieten zurückziehen, zur Neutralität zurückkehren und ihre militärischen Fähigkeiten begrenzen, hätte Russland seine Kriegsziele erreicht. Das geht nach westlicher Auffassung nicht, also wird bis zum bitteren Ende weiter gekämpft.

Stoltenberg sagt damit aber auch, Kriegsziel Russlands ist nicht die Einnahme der gesamten Ukraine und auch nicht der Durchmarsch auf Länder der EU. Russlands Kriegsziel ist nicht imperialistisch. Moskau zielt darauf ab, seine Sicherheitsinteressen militärisch durchsetzen, nachdem das zuvor auf diplomatischem Wege nicht funktioniert hatte. Bei der von Scholz, Pistorius, Baerbock und Habeck erhobenen Behauptung, Russland verfolge imperialistische Ziele, handelt es sich um eine Verschwörungserzählung, machen die Ausführungen ausgerechnet Stoltenbergs deutlich. 

Putins Vorschlag ist eine Einladung zur gemeinsamen Gestaltung des eurasischen Kontinents. Wenn dieser Vorschlag erneut zurückgewiesen wird, geht nicht nur der Krieg in der Ukraine unvermindert weiter, sondern die zur Kooperation unwilligen Länder werden absehbar in eine Situation kommen, wo ihnen die Bedingungen durch die geschaffenen Tatsachen außerhalb ihrer Einfluss-Sphäre diktiert werden. Denn der Vorschlag Putins ist natürlich für alle Länder Eurasiens interessant: ein gemeinsames System der Sicherheit zu schaffen, in dem sich Frieden und wachsender Wohlstand für alle beteiligten Nationen realisieren.

Deutschland will die Fehler von Versailles wiederholen

Im Gegensatz dazu will Deutschland die am eigenen Leib erfahrenen Fehler des Versailler Friedensvertrags wiederholen. Deutschland hegt erneut eine Vernichtungsabsicht gegenüber Russland, will der Ukraine zu einer Position verhelfen, aus der Kiew Moskau die Bedingungen diktieren kann. Diese sehen unter anderem vor, über Reparationszahlungen eine Schuldenknechtschaft zu installieren.

Genau dieser Wunsch, den Gegner auch im Frieden dauerhaft niederhalten zu wollen, hat zwei Jahrzehnte nach Ende des Ersten Weltkriegs zum Zweiten Weltkrieg geführt. Der Frieden, den Deutschland will, ist nicht von Dauer. Ihm wohnt der nächste Krieg inne, lehrt keine Geschichte so sehr, wie ausgerechnet die deutsche. Dass sich daher deutsche Politik für Selenskijs Friedensplan einsetzt, zeigt, wie wenig die deutschen Eliten von ihrer eigenen Geschichte verstanden haben. 

Putin schlägt dagegen Versöhnung in Eurasien vor. Sein Vorschlag hat im Gegensatz zu den Zielen von Scholz tatsächlich das Potenzial, einen dauerhaften Frieden nicht nur in der Ukraine, sondern auf dem ganzen Kontinent etablieren zu können. Es ist daher umso bedauerlicher, dass er in einer Zeit kriegswütender Raserei sofort zurückgewiesen wurde. Deutschland gereicht das nur zum Nachteil.

Putin hat aber in seiner Rede auch deutlich gemacht, sollte die Umsetzung mit dieser aktuellen Politikergeneration nicht möglich sein, dann klappt es hoffentlich mit der nächsten. Die jetzige wird schließlich absehbar abgelöst. Denn auch wenn Scholz und Co. nun für alle Welt ganz offensichtlich an Frieden in Europa und Eurasien nicht interessiert sind, die Menschen, die auf diesem Kontinent leben, sind es.

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