The Times: Wer regiert wirklich in der Ukraine?
Mehrere ukrainische Regierungsmitarbeiter haben sich gegenüber der Londoner Times über die wachsende Macht von Wladimir Selenskijs Stabschef Andrei Jermak beklagt, der ihnen zufolge de facto die Ukraine regiere.
Der 52-Jährige wurde schon früher als "Selenskijs rechte Hand" und "der wirkliche Strippenzieher in der Ukraine" beschrieben. Regierungsinsider in Kiew, die mit der britischen Tageszeitung sprachen, sagten nun, er sei längst bereits noch mehr.
"Jermaks Macht hat die aller gewählten Amtsträger in der Ukraine außer dem Präsidenten hinter sich gelassen", schrieb der Autor Maxim Tucker für The Times in dem am Freitag veröffentlichten Artikel: "Einige Quellen in einer Reihe von Interviews gingen so weit, ihn den 'De-facto-Staatschef' oder den 'Vizepräsidenten der Ukraine' zu nennen."
Tucker erklärte, er habe mit "führenden Quellen in der Regierung, dem Militär, den Strafverfolgungsbehörden und der Diplomatie" gesprochen, wovon viele auf Anonymität bestanden. Er beschrieb Jermak als Selenskijs "größten Makel" und als Beweggrund für sein Verhalten den "Machthunger".
"Die Sorgen nehmen zu, dass Selenskij sich zunehmend auf eine Handvoll schmeichlerischer heimischer Stimmen verlässt", merkte Tucker an, wobei die Zahl der Personen mit direktem Zugang zu ihm abnehme, je größer Jermaks Mannschaft werde.
Selenskijs "großer Fehler war, Jermak, der klar machttrunken ist, soviel Macht zu verleihen", sagte Darja Kalenjuk, die Geschäftsführerin des ukrainischen Antikorruptionszentrums ist.
Höhere Offiziere haben Jermak zudem vorgeworfen, die Entlassung von General Waleri Saluschny im Februar arrangiert zu haben, weil er in ihm einen Rivalen sah. Ein Sprecher des Präsidentenbüros bestritt dies und sagte, Saluschny sei nicht gefeuert, sondern befördert worden, nämlich zum Botschafter in Großbritannien, "was ein hohes Maß an Vertrauen bezeugt".
Selenskij "ist derjenige, der alle Schlüsselentscheidungen trifft", beteuerte der Sprecher.
Jermak ist ein ehemaliger Filmproduzent, den Selenskij – als ein Schauspieler, der dann Politiker wurde – 2019 in die Regierung holte. Erst jüngst ist Jermak ins Rampenlicht getreten, und zwar als Teilnehmer des sogenannten "Demokratiegipfels" in Dänemark neben dem ehemaligen NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen, der wiederum als bezahlter Berater für die ukrainische Regierung arbeitet.
Es waren Jermak und Rasmussen und deren "Internationale Arbeitsgruppe zu Sicherheitsthemen und der euroatlantischen Integration der Ukraine", die als erste vorschlugen, alle Beschränkungen zum Einsatz der an Kiew gelieferten westlichen Waffen aufzuheben, was der ehemalige britische Premierminister Boris Johnson schnell aufgriff und weiter verbreitete. Von dort aus verbreitete sich diese Forderung in die Hauptstädte der NATO-Länder, bis scheinbar zuletzt im Weißen Haus von Washington, D.C. dem Ansinnen zugestimmt wurde.
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