Deutsche Geisel in Gaza gefunden – aber der Zeitpunkt wirft Fragen auf
Von Dagmar Henn
Die israelische Armee erklärte am heutigen Freitagabend, sie habe im Gazastreifen die Leichen der Deutsch-Israelin Shani Louk und zweier weiterer Geiseln gefunden. Louk hatte das Festival besucht, das überfallen worden war, und war seitdem verschwunden. Bereits vor Monaten hieß es, ein Fragment eines Schädelknochens sei am Ort des Festivals gefunden und per Genanalyse als Knochen von Louk identifiziert worden. Infolge dieser Verletzung könne sie nicht mehr am Leben sein. Die Vermutung war, dass die Hamas-Kämpfer den Leichnam als Tauschobjekt behalten wollten.
Nun sind nicht nur die Informationen bezüglich dessen, was am 7. Oktober vergangenen Jahres auf besagtem Festival in der Nähe des Gazastreifens passiert ist, umstritten. Es gibt Zeugen und Indizien, die nahelegen, dass die Festivalbesucher ins Kreuzfeuer zwischen den Hamas-Kämpfern und der israelischen Armee gerieten. Es gab nie eine unabhängige Untersuchung der Abläufe. Insofern wäre selbst das Auffinden der Körper noch kein Beleg dafür, wer für den Tod verantwortlich ist.
Nach Angaben der israelischen Zeitung Maariv hatte die israelische Armee bei einem Spezialeinsatz von Pionieren und Fallschirmjägern die drei Toten in einem Tunnel im Norden von Gaza in einem besonderen Behältnis gefunden und bereits gestern in die Gerichtsmedizin gebracht. Heute Mittag seien die Opfer dann identifiziert worden. Die Informationen, die zur Lokalisierung geführt hatten, stammten vom israelischen Inlandsgeheimdienst Shin Bet.
Das ist zumindest etwas mehr, als bisher bekannt war. Aber der Zeitpunkt macht nachdenklich. Denn am Donnerstag begann in Den Haag die nächste Anhörung zur südafrikanischen Klage gegen Israel wegen Genozids, wobei Südafrika explizit einforderte, den israelischen Militäreinsatz gegen Rafah zu untersagen. In deutschen Medien fand sich dazu mehr oder weniger nur die Bemerkung, Israel habe die Vorwürfe zurückgewiesen. Wenn mehr berichtet wird, dann zumeist höchst unausgewogen, wie bei der Tagesschau. Aber selbst diese kargen Meldungen gehen nun unter zwischen den Schlagzeilen, man habe Shani Louks Überreste gefunden.
Ja, Shani Louk war ein unschuldiges Opfer der Ereignisse des 7. Oktober. Sie hatte keine Waffe in der Hand und war auch keine Soldatin. Und es ist nach wie vor so, dass deutsche Medien immer vor allem an Deutschen interessiert sind. Aber ist das ein Grund, über andere, ebenso unschuldige Opfer nicht zu berichten? Im November noch meldete selbst die Tagesschau, es seien noch mehrere Hundert Palästinenser mit deutscher Staatsangehörigkeit im Kriegsgebiet. Ist tatsächlich keiner davon bisher ums Leben gekommen? Hätte es wirklich keinen Anlass gegeben, auch entsprechend empathische Schlagzeilen über die palästinensische Seite zu bringen? Lebenslustige junge Frauen, die ihr Leben in einem Konflikt verlieren, den sie nicht geschaffen haben, gibt es auf beiden Seiten.
Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, der Mann, der nach derzeitigen Angaben 35.000 Tote zu verantworten hat, darunter unzählige zerfetzte, erschlagene, verhungerte Kinder, hat sich natürlich bereits geäußert. Es habe ihm das Herz gebrochen. Man könnte Wetten darauf abschließen, dass auf die Schlagzeilen über das Auffinden des Leichnams weitere Schlagzeilen folgen, die Netanjahu und sein ganzes falsches Pathos zitieren. In Deutschland.
Shani Louks Familie wird natürlich erleichtert sein, endlich Abschied nehmen zu können, gleich, ob die Körper tatsächlich erst gestern oder an einem früheren Tag gefunden wurden. Aber sie haben auch ein Recht auf die Wahrheit, auch über die wirklichen Ereignisse des 7. Oktober. Ohne eine internationale Untersuchung wird diese Wahrheit aber nie das Licht der Welt erblicken.
Die Berichterstattung wie die Politik in Deutschland werden wieder so tun, als könne man nur entweder das Leid der Familie Louk wahrnehmen oder das Leid der Palästinenser. Und sie wird eifrig das eine vor sich hertragen und das andere verschweigen. Aber die Wirklichkeit besteht aus beidem; beide Arten des Leids sind ineinander verwoben seit den Tagen der Nakba, der Katastrophe, der Vertreibung der Palästinenser 1948. Der tragische Tod der Shani Louk sollte nicht dazu dienen, den Genozid zu decken, den Südafrika zu Recht anklagt, oder einen der Hauptverantwortlichen, Benjamin Netanjahu, sympathisch wirken zu lassen. Das wäre respektlos gegenüber den Opfern beider Seiten.
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