Medienbericht: Deutschland gegen Beschlagnahme russischer Gelder – aus Angst vor Reparationen
Berlin habe sich als einer der schärfsten Gegner des von den USA geführten Vorstoßes erwiesen, die eingefrorenen russischen Vermögenswerte zu beschlagnahmen und der Ukraine zugute kommen zu lassen, so ein Bericht des Wall Street Journal.
Hintergrund seien Befürchtungen Deutschlands, dass die Beschlagnahme der Gelder einen Präzedenzfall schaffen und neue Klagen wegen Verbrechen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs nach sich ziehen könnten.
Diese Befürchtungen gefährdeten das Schicksal dieses Vorhabens. "Die USA und Großbritannien sind der Meinung, dass der Erfolg der Initiative entscheidend für einen ukrainischen Sieg ist, aber ohne eine breite europäische Unterstützung gibt es kaum eine Chance auf Fortschritte", so die US-Zeitung.
Die Mittel – es geht um Vermögenswerte in Höhe von rund 300 Milliarden US-Dollar – "würden die angeschlagenen ukrainischen Streitkräfte stärken und den Wiederaufbau des Landes unterstützen".
Zwei Drittel der eingefrorenen Gelder lagern in europäischen Clearinghäusern. Wie das WSJ anmerkt, hat sich Deutschland vor einem Monat dafür ausgesprochen, "Zufallsgewinne" auf die eingefrorenen Guthaben an Kiew zu transferieren. Wobei es sich bei dem Begriff um eine Wortschöpfung von Bundeskanzler Olaf Scholz handelt, um dem nach internationalem Recht illegalen Vorhaben den Anschein von Legitimität zu verleihen. Tatsächlich geht es um Zinsgewinne aus den Vermögenswerten, auf die natürlich die Eigentümer dieser Werte rechtmäßig Anspruch haben.
Was jedoch die vollständige Beschlagnahme der eingefrorenen Gelder betrifft, so zögern laut dem WSJ nicht nur Berlin, sondern auch Paris, Rom und die EZB, die einen Einbruch des internationale Vertrauens in den Euro befürchten. Auch die G7 sind demnach gespalten. "Japan, das selbst Reparationsforderungen von Südkorea und anderen Nachbarn hat, lehnt den Schritt ab."
Forderungen nach weiteren Reparationen aus dem Zweiten Weltkrieg hätten Deutschland jahrzehntelang verfolgt und seien nun wieder aufgetaucht, so das WSJ, das auf entsprechende Forderungen Polens (1,3 Billionen Euro) und Griechenlands (300 Milliarden Euro) verweist. Und auch Italien erhebt Reparationsforderungen, die gegenwärtig vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) verhandelt werden.
Das WSJ zitiert in diesem Zusammenhang den Professor für Zeitgeschichte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Andreas Rödder. Er sagte, dass die italienischen und polnischen Ansprüche gegen Deutschland berechtigt seien – ebenso wie die Weigerung Berlins, sie vollständig zu erfüllen. Die verschiedenen deutschen Regierungen hätten den Fehler gemacht, einen juristisch geprägten Ansatz zu verfolgen, und sich geweigert, einen Kompromiss in Erwägung zu ziehen:
"Deutschland hat es sich in der irrigen Annahme bequem gemacht, dass das Problem gelöst sei, und ist dem Thema jahrzehntelang bewusst ausgewichen. Daher sollte es nicht überrascht sein, dass Polen und Griechenland nun sagen, sie hätten noch eine Rechnung offen."
Bessere Verhandlungsposition gegenüber Russland
Berlin positioniere sich laut der US-Zeitung aber noch aus einem anderen Grund gegen die Beschlagnahmung: "Deutschland argumentiert auch, dass russische Vermögenswerte unberührt bleiben sollten, um sie als Druckmittel in Gesprächen zur Beendigung des Krieges einzusetzen und Russland dazu zu bewegen, einen Teil des von ihm besetzten ukrainischen Territoriums abzutreten."
Der Chef des polnischen Think Tanks PISM, Slawomir Debski, vermutet jedoch ein weiteres Motiv für Berlins ablehnende Haltung: Es wolle deutsche Unternehmen, die noch in Russland tätig sind, vor Vergeltungsmaßnahmen schützen. Laut der Initiative "Leave Russia" ("Verlasst Russland") sind noch über 270 deutsche Unternehmen in Russland tätig.
Nachdem der Kongress den Weg freigemacht hatte, hat US-Präsident Joe Biden vergangene Woche ein Gesetz unterzeichnet, das seine Regierung ermächtigt, russische Staatsgelder unter US-Gerichtsbarkeit zu beschlagnahmen. Es soll sich um eine Summe in Höhe von fünf bis sechs Milliarden US-Dollar handeln.
Moskau spricht von einem Akt der "Piraterie des 21. Jahrhunderts". Der stellvertretende Vorsitzende des Russischen Sicherheitsrates, Dmitri Medwedew, kündigte am Samstag eine "asymmetrische", aber nicht "weniger schmerzhafte" Reaktion an.
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