Entscheidend für die künftige Weltordnung: Der Kampf Biden gegen Trump
Von Glenn Diesen
Die Welt beobachtet aufmerksam die sich anbahnenden US-Präsidentschaftswahlen, weil deren Ausgang erhebliche Auswirkungen auf das globale Ordnungssystem haben wird. Der amtierende Präsident Joe Biden und der ehemalige Präsident Donald Trump haben sehr unterschiedliche Ansichten darüber, wie die Weltordnung gestaltet werden sollte und wie die Vereinigten Staaten auf ihren relativen Niedergang reagieren sollten.
Biden will die Unipolarität mit ideologisch getriebenen Wirtschafts- und Militärallianzen wiederherstellen, die Loyalität der Verbündeten stärken und die Rivalen der USA an den Rand drängen. Trump hingegen verfolgt einen pragmatischeren Ansatz. Seiner Meinung nach ist das System der Allianzen zu kostspielig und schränkt zudem den diplomatischen Handlungsspielraum ein.
Seit dem Zweiten Weltkrieg genossen die USA eine privilegierte Stellung in den Schlüsselinstitutionen des globalen Systems. Das Bretton-Woods-Format und die NATO sicherten eine wirtschaftliche und militärische Dominanz im Westen, und nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion versuchten die USA, ihre liberale Hegemonie rund um den Globus auszudehnen. Sie entwickelten in der Folge eine Strategie, die auf globaler Überlegenheit und einer erweiterten NATO basierte. Washington ging davon aus, dass die Dominanz der USA die internationale Anarchie und Großmachtrivalität abmildern würde und dass liberale Handelsabkommen die Position der USA an der Spitze der globalen Wertschöpfungskette stärken würden. Die Ersetzung des Völkerrechts durch eine "regelbasierte internationale Ordnung" – faktisch souveräne Ungleichheit – sollte die amerikanische Hegemonie fördern und die Rolle liberaler demokratischer Werte stärken.
Allerdings erwies sich die Unipolarität als vorübergehendes Phänomen, da sie auf die Abwesenheit von Rivalen angewiesen ist und Werte zu machtpolitischen Instrumenten herabgesetzt werden. Die USA haben vorhersehbar ihre Ressourcen und die Legitimität ihrer Hegemonie ausgeschöpft. Konkurrierende Mächte haben kollektiv Washingtons hegemoniale Ambitionen durch die Diversifizierung der Wirtschaftsbeziehungen, die Durchführung militärischer Vergeltungseinsätze und die Entwicklung neuer Institutionen ausgeglichen.
Der Kalte Krieg war eine einzigartige Periode in der Geschichte. Die kommunistischen Gegner des Westens waren weitgehend von den internationalen Märkten abgekoppelt. Eine mögliche militärische Konfrontation mit ihnen stärkte die Bündnissolidarität im Westen in einem Maße, dass sie die wirtschaftlichen Rivalitäten zwischen den kapitalistischen Verbündeten abschwächte. Nach dem Kalten Krieg sammelten die ehemaligen Gegner des Westens, China und Russland, jedoch Erfahrungen in der Gestaltung wirtschaftlicher Prozesse, wodurch die Unterwerfung unter das von den USA geführte Wirtschaftssystem für sie an Wert verlor.
Auch das Bündnissystem hat begonnen, Risse zu zeigen. Zuvor waren die USA bereit, die europäische Sicherheit im Austausch für politischen Einfluss innerhalb der EU zu subventionieren. Aber Washington verlagerte seinen strategischen Fokus auf Asien und verlangte in der Folge von seinen europäischen Verbündeten, geoökonomische Loyalität zu zeigen und keine unabhängigen Wirtschaftsbeziehungen mit den Rivalen China und Russland zu unterhalten. Unterdessen versuchten die Europäer, über die Europäische Union Verhandlungsmechanismen zu nutzen, um Autonomie und eine gleichberechtigte Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten zu etablieren.
Heute ist klar, dass der unipolare Moment zu Ende gegangen ist. Das US-Militär, erschöpft von gescheiterten Kriegen gegen schwache Gegner, bereitet sich auf einen Konflikt gegen Russland und China sowie auf einen regionalen Krieg im Nahen Osten vor. Die "regelbasierte internationale Ordnung" wird von den anderen Großmächten offen abgelehnt. Der wirtschaftliche Zwang der USA zur Verhinderung der Entstehung neuer Machtzentren fördert lediglich die Abkopplung von US-Technologie, Industrie, Transportkorridoren, Banken, Zahlungssystemen – und dem Dollar. Die US-Wirtschaft kämpft mit erdrückender Verschuldung und Inflation, während der sozioökonomische Niedergang die Polarisierung in der Politik und allgemeine Instabilität schürt. Vor diesem Hintergrund könnten die US-Wähler ihre Stimme für einen Präsidenten abgeben, der nach neuen Lösungen für das globale Ordnungssystem suchen wird.
Bidens globales Ordnungssystem: Ideologie und Blockpolitik
Biden will die globale Dominanz der USA wiederherstellen, indem das Ordnungssystem des Kalten Krieges wiederbelebt wird, das die Welt in abhängige Verbündete und geschwächte Gegner spaltete. Dabei wird Europa gegen Russland, die arabischen Staaten gegen Iran und Indien gegen China ausgespielt. Integrative internationale Institutionen des globalen Ordnungssystems werden geschwächt und durch konfrontative Wirtschafts- und Militärallianzen ersetzt.
Bidens Politik wird durch eine vereinfachende Argumentation legitimiert, mit der die Komplexität der Welt auf einen ideologischen Kampf zwischen liberalen Demokratien und autoritären Staaten reduziert wird. Diese ideologisch getriebene Rhetorik bedeutet, von der "freien Welt" geoökonomische Loyalität zu fordern und gleichzeitig eine übermäßig aggressive und undiplomatische Sprache anzuwenden. Ein Beispiel dafür ist, dass Wladimir Putin und Xi Jinping als "Diktatoren" verunglimpft werden.
Multilateralismus ist für Biden insofern willkommen, solange er die Führungsrolle der USA stärkt. Biden steht den Vereinten Nationen und der EU weniger feindselig gegenüber als sein Vorgänger Trump. Unter seiner Regierung sind die USA der Weltgesundheitsorganisation und dem Pariser Klimaabkommen wieder beigetreten. Auf der anderen Seite hat Biden das Atomabkommen mit Iran nicht wieder aufgegriffen und den wirtschaftlichen Druck auf China nicht verringert. Jene Institutionen, die die relative Macht der USA in die Schranken weisen könnten – der Internationale Strafgerichtshof und der Internationale Gerichtshof –, werden weder von Biden noch von Trump goutiert.
Die sich verschlechternde sozioökonomische und politische Lage in den USA wird sich auch auf Bidens Ansatz zum globalen Ordnungssystem auswirken. Biden wird weiterhin zögern, neue ehrgeizige Handelsabkommen abzuschließen, aus dem simplen Grund, weil die Verlierer der Globalisierung und der neoliberalen Wirtschaftspolitik in den USA in das Lager der populistischen Opposition übergehen werden. Er wird auch keine Freihandelsabkommen in Bereichen befürworten, in denen China einen technologischen und industriellen Vorsprung hat. Seine Versuche, europäische Staaten von russischer Energie und chinesischer Technologie abzuschneiden, werden die Welt noch weiter in konkurrierende Wirtschaftsblöcke fragmentieren. Westeuropa wird weiter geschwächt und abhängiger von den USA werden, bis zu dem Punkt, an dem es jeglichen Anspruch auf "strategische Autonomie" und "europäische Souveränität" aufgeben muss. Biden hat auch seine Bereitschaft gezeigt, die Industrien verbündeter Länder durch Initiativen wie den US Inflation Reduction Act (US-Gesetz zur Verringerung der Inflation) zu sabotieren.
Trumps globales Ordnungssystem: "Amerika zuerst" und Großmacht-Pragmatismus
Trump beabsichtigt, die Größe der USA wiederherzustellen, indem er die finanzielle Beteiligung bei Bündnissystemen und bei der Aufrechterhaltung der Hegemonie senkt. Er lehnt Bündnisse, die gegen strategische Rivalen gerichtet sind, ab, wenn sie mit der Übertragung relativer wirtschaftlicher Macht auf die Verbündeten einhergehen. Trump glaubt, dass die NATO ein obsoletes Relikt des Kalten Krieges sei und dass die Westeuropäer mehr zu ihrer eigenen Sicherheit beitragen sollten. Seiner Ansicht nach sollten die USA unter Umständen ihre Präsenz im Nahen Osten reduzieren. Er fordert, dass die Verbündeten die USA auf irgendeine Weise für die Wahrung ihre Sicherheit bezahlen sollten.
Wirtschaftsabkommen wie das Nordamerikanische Freihandelsabkommen und die Transpazifische Partnerschaft hätten die Führungsrolle der USA gestärkt, doch unter Trump wurden sie wegen der Übertragung wirtschaftlicher Vorteile auf Verbündete aufgegeben. Trump lehnt den US-Imperialismus nicht ab, sondern möchte ihn nachhaltiger gestalten, indem er eine höhere Rendite für die USA sicherstellt.
Weniger an Bündnissysteme gebunden und nicht von ideologischen Dogmen belastet, kann Trump gegenüber anderen Großmächten einen pragmatischeren Ansatz verfolgen. Trump ist in der Lage, politische Geschäfte mit Rivalen zu machen, eine freundliche und diplomatische Sprache zu verwenden, wenn er mit Putin und Xi spricht, und vielleicht sogar Nordkorea einen offiziellen Besuch abzustatten. Während Bidens Aufteilung der Welt in liberale Demokratien und autoritäre Staaten Russland zu einem Gegner macht, macht Trumps Weltbild aus Nationalisten/Patrioten und Kosmopoliten/Globalisten Russland zu einem potenziellen Verbündeten. Diese ideologische Sichtweise ergänzt die pragmatische Überlegung, Russland nicht in die Arme Chinas zu treiben, dem Hauptrivalen der USA. Sein globales Ordnungssystem wird in diesem Fall zweckorientiert sein, und das Hauptziel der USA wird darin bestehen, seinen Wettbewerbsvorteil gegenüber China zurückzugewinnen.
Trump neigt grundsätzlich dazu, China übermäßig für die wirtschaftlichen Probleme der USA verantwortlich zu machen. Der wirtschaftliche Druck auf China soll die technologisch-industrielle Dominanz der USA wiederherstellen und Arbeitsplätze im Inland schützen. Solche wirtschaftsnationalistischen Ideen spiegeln die Ideen des amerikanischen Systems des 19. Jahrhunderts wider, in dem die Wirtschaftspolitik eher auf fairem als auf freiem Handel basierte.
Trump scheint das gesamte Sicherheitssystem, wie es in Europa nach dem Kalten Krieg etabliert wurde, als eine kostspielige Subvention zu betrachten, mit der die abnehmende Bedeutung Westeuropas ausgeglichen werden soll. Dieselben Europäer haben Russland verärgert und in die Arme Chinas gedrängt. Trumps unklare Haltung zur NATO hat den US-Kongress sogar dazu veranlasst, einen Gesetzentwurf zu verabschieden, der US-Präsidenten verbietet, einseitig über den Austritt der USA aus der NATO zu entscheiden. Während Trump eine Verbesserung der Beziehungen zu Russland befürwortet, dürfte seine Präsidentschaft dieses Ziel wahrscheinlich nicht erreichen.
Die USA können insofern als irrationaler Akteur angesehen werden, weil sie zulassen, dass innenpolitische Auseinandersetzungen ihre Außenpolitik beeinflussen. Im Jahr 2016 fabrizierten die Wahlkampfmitarbeiter von Hillary Clinton das sogenannte Steele-Dossier und erfanden Russiagate, um Trump als Agenten des Kremls darzustellen. Bei der Präsidentschaftswahl 2020 versuchten Bidens Wahlkampfmitarbeiter, den Laptop-Skandal um seinen Sohn Hunter Biden als russische Desinformationskampagne darzustellen und beschuldigten Russland, Kopfgelder für die Tötung von US-Soldaten in Afghanistan zu zahlen. Diese falschen Anschuldigungen sollten die Öffentlichkeit ablenken und Trump gegenüber Russland als schwach erscheinen lassen. All dies verschlechterte die Beziehungen zu Russland und trug letztlich sogar zum aktuellen Konflikt in der Ukraine bei.
Sowohl Biden als auch Trump versuchen, den relativen Niedergang der USA in der Welt rückgängig zu machen, aber die unterschiedlichen Ansätze beider Protagonisten werden tiefgreifende Auswirkungen auf das globale Ordnungssystem haben. Während Biden versucht, die Größe der USA durch Systeme ideologisch getriebener Allianzen wiederherzustellen, wodurch das globale Ordnungssystem in regionale Blöcke fragmentiert wird, wird Trump versuchen, sich aus den Institutionen des globalen Ordnungssystems zurückzuziehen, weil sie US-Ressourcen beanspruchen und eine pragmatische Politik behindern.
Aus dem Englischen
Glenn Diesen ist Professor an der Universität von Südost-Norwegen und Redakteur des Journals "Russia in Global Affairs". Man kann ihm auf Twitter unter @glenn_diesen folgen.
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