Unheil für die westliche Hegemonie: Die BRICS-Staaten wollen nur, was ihnen gehört
Von Ullekh N. P.
Der bekannte Kolumnist Pankaj Mishra bezeichnet BRIC als ein "beiläufiges Akronym", das 2001 von dem Goldman-Sachs-Ökonomen Jim O'Neill geprägt wurde, um auf die Investitionsmöglichkeiten in Brasilien, Russland, Indien und China aufmerksam zu machen. Es wurde jedoch viel bedeutender, als Russland 2009 die Gründung des gleichnamigen globalen Gremiums initiierte.
Ein Jahr später schloss sich Südafrika an, wodurch die BRICS entstanden. Das ganze Unterfangen war als Gegengewicht zu den vom Westen besessenen Vereinten Nationen, der Weltbank, dem IWF und anderen multilateralen Organisationen gedacht, die – in den Worten hochkarätiger Denker und Ökonomen – eine neokoloniale Politik mit dem US-Dollar als Leitwährung verfolgen.
Die BRICS-Staaten, die entweder alte Monarchien abgesetzt oder sich von kolonialer Unterdrückung befreit hatten, sehnten sich seit langem nach einer Entkolonialisierung. Aber die USA und ihre Verbündeten nutzten jeden Vorwand, um diesen überfälligen Prozess zu verzögern. In der Zwischenzeit gab es Bestrebungen wie die Bewegung der Blockfreien Staaten (Non-Aligned Movement, NAM), die den Willen zahlreicher Länder zum Ausdruck brachten, sich aus den Fängen US-amerikanisch geprägter globaler Institutionen zu befreien. Und zwar insbesondere der Finanzinstitutionen, die von den USA und einigen ehemaligen Kolonialmächten eifrig als Instrumente zur Kontrolle der Ressourcen anderer Länder eingesetzt wurden.
Jeder Versuch, die Hegemonie dieser globalen Machtstrukturen infrage zu stellen, galt als Blasphemie, und die westlichen Mainstream-Medien denunzierten jede Alternative zur aktuellen Wirtschaftsordnung umgehend als Rohrkrepierer oder Blindgänger. Gleichzeitig schwiegen sie zu den Bestrebungen der Länder, die sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit aller Kraft gegen die Kolonial- und Expansionsmächte gewehrt hatten, um die Weltgeschichte neu zu schreiben.
Die Aufnahme von sechs neuen Mitgliedern in die BRICS auf dem kürzlich beendeten Gipfel in Johannesburg hat internationale Aufmerksamkeit erregt, aber der Höhepunkt des Diskurses war bisher der Pessimismus, was einen möglichen Erfolg der Gruppierung anbetrifft. In der Tat haben die BRICS (oder jetzt dank ihrer Erweiterung BRICS+) keine alternativen Institutionen genannt, die sie aufbauen wollen. Und es handelt sich ebenso wenig um eine ideologisch ausgerichtete Gruppe wie die G7. Auch hat diese Gruppierung, die sich seit 2014 jährlich unter dem Vorsitz ihrer Mitgliedsländer trifft, keine gemeinsamen außenpolitischen Ziele formuliert. Tatsächlich haben sie scheinbar nicht viel gemeinsam, außer dass sie sich darüber ärgern, vom Westen und seinen Satelliteninstitutionen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ungerecht behandelt worden zu sein.
Was die BRICS haben, ist eine 2015 gegründete Bank namens New Development Bank (NDB), früher bekannt als BRICS Development Bank – mit dem Ziel, "Ressourcen für Infrastruktur- und nachhaltige Entwicklungsprojekte in Schwellen- und Entwicklungsländern zu mobilisieren." Sie befindet sich jedoch noch in einem frühen Stadium.
Was also haben sie sonst noch zu bieten, fragen sich westliche Kommentatoren, von denen einige den Gipfel als "halbwegs fadenscheinig" und "bedeutungslos" bezeichnen.
Das ist ganz einfach: Diese Länder wollen sich bestimmte Vorteile nicht vorenthalten lassen, die ihnen im Zeitalter der Globalisierung zustehen. Die Zeiten sind im Wandel, wie Bob Dylan sang. All jene Kommentatoren, die den Schwerpunkt von BRICS+ allein im Handel sehen, sollten sich die politische Zersplitterung in der Welt vor Augen führen. Wo jedes Land – von Asien über Lateinamerika bis Afrika – seine eigenen Interessen verteidigt, anstatt sich loyal an Blöcke zu binden, ohne weitere Fragen.
Äthiopien – ein neues BRICS-Mitglied, das wie die anderen fünf neuen Mitglieder am 1. Januar 2024 der Gruppe beitreten wird – ist eine der am schnellsten wachsenden afrikanischen Volkswirtschaften. Durch die Aufnahme von Saudi-Arabien, Iran und den Vereinigten Arabischen Emiraten wird sich der Anteil der BRICS an der weltweiten Ölproduktion auf 43 Prozent mehr als verdoppeln. Argentinien – wenngleich politisch unbeständig – hat in letzter Zeit einen Boom im Bergbau erlebt, insbesondere bei dem begehrten kritischen Metall Lithium. Für das klamme Ägypten ist dieser Zusammenschluss eine Gelegenheit, neue Investitionen für die Entwicklung anzuziehen, ohne dass Dollar-Transaktionen den Druck auf seine Fremdwährung erhöhen. Laut Reuters haben bereits über 40 Länder ihr Interesse an einem Beitritt zu BRICS bekundet.
Das bedeutet, das Verlangen von Ländern aus allen Kontinenten, auf den BRICS-Zug aufzuspringen, entspringt der Erkenntnis, dass die Macht der USA schwindet. Westliche Kolumnisten, die endlos auf den Differenzen innerhalb der bestehenden fünf Mitglieder beharren, sollten sich vor Augen führen, wie im Laufe der Geschichte neue wirtschaftliche Interessen dazu beigetragen haben, langjährige Fehden zu lösen. Man denke nur an die unwahrscheinliche Annäherung zwischen den erbitterten Feinden Iran und Saudi-Arabien, die China herbeigeführt hat! Auch für den indischen Premierminister Narendra Modi und den chinesischen Präsidenten Xi Jinping könnten solche neuen Prioritäten eine historische Chance bieten, als Staatsmänner in die Annalen der Weltgeschichte einzugehen, die dem Frieden eine Chance gaben.
Vor kurzem sprach ich mit Richard D. Wolff, einem bekannten US-amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler, öffentlichen Intellektuellen und Radiomoderator. Der emeritierte Professor für Wirtschaftswissenschaften an der University of Massachusetts in Amherst und Gastprofessor im Graduiertenprogramm für internationale Angelegenheiten an der New School sagte mir in einem Interview, dass die kurzfristigen Auswirkungen der Aufnahme der neuen Mitglieder in die BRICS "darin bestehen, dass das Wissen und das Bewusstsein in der Welt darüber, dass es jetzt eine neue Weltwirtschaft gibt, die nicht mehr von den USA und ihren Verbündeten (G7) dominiert wird, stark erweitert wird."
Er wies darauf hin, dass Letztere nun die globale Wirtschaftsmacht mit China und seinen BRICS-Verbündeten teilen müssten. Seine Prophezeiung lautet wie folgt:
"Jedes Land des Globalen Südens hat jetzt zwei Optionen – nicht nur eine –, wenn es darum geht, sich Entwicklungskredite, Zuschüsse, Investitionen und Handelspartner zu sichern. Die beiden (der Westen und die BRICS) werden miteinander konkurrieren, um sich Verträge und Geschäfte zu sichern. Diese Veränderung ist von großer Tragweite, da sie den seit 1945 bestehenden globalen wirtschaftlichen Status quo verändert."
Längerfristig, so Wolff, markiert der Aufstieg der BRICS den weiteren Niedergang des US-Imperiums und damit des US-Kapitalismus, der maßgeblich von diesem Imperium abhängt. "Der abnehmende globale wirtschaftliche Fußabdruck der USA, der Rückgang des US-Dollars als Reservehaltung der Zentralbank, der Rückgang des Dollars als globale Handels-, Investitions- und Kreditwährung – all dies sind Anzeichen und Symptome für die reduzierte Rolle der USA", erklärt er.
Wolff teilt die Ansicht mehrerer anderer Wirtschaftswissenschaftler, die behaupten, dass die USA jetzt das erleben, was das Britische Weltreich und der britische Kapitalismus im Jahrhundert vor 1945 erlitten haben. Die Folgen des Niedergangs der USA zeigen sich bereits im Inland in einer seltsamen und gefährlichen Spaltung der Gesellschaft, der bizarren Politik Trumps und dem Wiederaufleben der weißen Vorherrschaft, meint er.
Ich sage es noch einmal: Niemand bestreitet, dass es innerhalb der BRICS Meinungsverschiedenheiten gibt. Indien strebt seinerseits eine stärkere Multipolarität in der Welt an, will aber nicht, dass das Forum zu sehr gegen den Westen gerichtet ist und zu einer Plattform für die Versuche Chinas wird, den anderen stets eine Nasenlänge voraus zu sein. Neu-Delhi wünscht sich eine stärkere wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen nicht-westlichen Ländern. Es ist jedoch nicht erfreut über die Aussicht, dass BRICS+ sich für eine China-first-Politik einsetzt, die Indiens militärische und handelspolitische Zusammenarbeit mit dem Westen beeinträchtigt. Indien möchte, dass die BRICS+ eine nicht-westliche Einheit sind, aber nicht wütend gegen den Westen. Für Indien ist diese Unterscheidung äußerst wichtig.
Aber selbst die neokonservativsten Kommentatoren, die sich zu den Spaltungen innerhalb der G7 ausschweigen, können nicht leugnen, dass die besten Tage der US-Wirtschaft vorbei sind und sich die Weltordnung nach Osten verschiebt. In Momenten wie diesen wird es immer verzweifelte Maßnahmen seitens des bestehenden Hegemons geben, um den unvermeidlichen Wandel abzuwehren, vielleicht durch Konfrontation oder durch Kooperation. Viele Ökonomen hoffen, dass die Länder des globalen Südens, die lange Zeit verunglimpft wurden, einen besseren Grund als jetzt haben werden, um zusammenzuhalten. In diesem Zusammenhang erwirbt sich BRICS+ einen Heiligenschein.
Übersetzt aus dem Englischen.
Ullekh N. P. ist ein in Neu-Delhi lebender Schriftsteller, Journalist und politischer Kommentator. Er ist Chefredakteur der Wochenzeitung "Open" und Autor von drei Sachbüchern – War Room: The People, Tactics and Technology Behind Narendra Modi's 2014 Win; The Untold Vajpayee: Politician and Paradox; und Kannur: Inside India's Bloodiest Revenge Politics.
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