Bevölkerungsschwund und Schuldenberg – Ukrainische Wirtschaft steuert Richtung Katastrophe
Eine Analyse von Alexander Maenner
Angesichts des seit über einem Jahr andauernden Krieges in der Ukraine und der Sanktionen des kollektiven Westens gegen Russland richtet sich die Aufmerksamkeit der internationalen Medien und Experten fast ausschließlich auf die russische Seite. So wurden bereits unzählige Prognosen und Schätzungen bezüglich der militärischen Verluste der Russen oder ihrer finanziellen Einbußen infolge der Wirtschafts- und Handelssanktionen veröffentlicht, und es werden immer mehr.
Im Vergleich dazu werden die realen Zustände in der Ukraine vom Westen bislang eher selten und kaum ausführlich thematisiert. Zumindest sind objektive Analysen über ukrainische Verluste, sowohl die menschlichen als auch die finanziellen, im westlichen Medien-Mainstream nach wie vor kaum auffindbar. Dabei ist die Entwicklung in diesem Krisenland in jüngster Zeit besonders besorgniserregend, vor allem was ihre Bevölkerung angeht.
Denn viele Menschen dort sind nach acht Jahren Bürgerkrieg im Donbass und einem Jahr Krieg mit Russland am Ende ihrer Kräfte: Allein seit 2022 sollen mehr als 150.000 ukrainische Männer und Frauen bei Kampfhandlungen getötet und noch mehr verwundet worden sein. Es gibt in der Ukraine heute vermutlich zig Tausende schwer Kriegsbeschädigte, und viele von ihnen könnten traumatisiert bleiben oder ihr Leben lang auf medizinische Hilfe angewiesen sein.
Mehr als zwölf Millionen Ukrainer haben bis heute ihr Land verlassen, und ob alle oder zumindest die meisten von ihnen jemals zurückkehren, ist mehr als fraglich. Dieses Problem zeigt sich neuerdings vor allem in der Altersstruktur der Bevölkerung, bei der der Anteil der 20- bis 25-Jährigen seit 2021 um mehr als die Hälfte gesunken ist und nun erschreckend deutlich unter dem Niveau der anderen Altersgruppen liegt, was die ohnehin schon stark rückläufige demografische Entwicklung der Ukraine vermutlich noch weiter verschlimmert.
Schwache Wirtschaftsleistung
Von dieser desaströsen Entwicklung ist unmittelbar auch die ukrainische Wirtschaft betroffen, in der ebenfalls katastrophale Zustände herrschen. Wie schlecht es gerade um sie steht, hat kürzlich der ungarische Staatschef Viktor Orbán sehr zutreffend zum Ausdruck gebracht. In einem Interview mit einem ungarischen Radiosender hat er die Ukraine als ein "finanziell nicht existierendes Land" bezeichnet, das vollständig von EU- und US-Geldern abhängig sei. Zudem sei die ukrainische Wirtschaft aufgrund des Krieges völlig zusammengebrochen, so Orbán, weshalb die EU derzeit die Gehälter ukrainischer Beamter sowie Renten und Gesundheitskosten bezahlen würde.
Bevor man alles an dem Krieg festmacht, sollte man allerdings nicht vergessen, dass die Wirtschaft der Ukraine bereits lange vor dem Einmarsch Russlands zu den schwächsten Volkswirtschaften in Europa zählte. Schon nach dem sogenannten "Euromaidan" 2014 war sie um die Hälfte eingebrochen und konnte seitdem vor allem nur dank der Kredite des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank vor dem Bankrott bewahrt werden. Infolge der Kampfhandlungen ist die Wirtschaftsleistung nochmals um mindestens ein Drittel eingebrochen, so dass der ukrainische Bruttoinlandsprodukt 2022 umgerechnet bei etwa 150 Milliarden US-Dollar lag und in diesem Jahr nach Schätzungen noch niedriger ausfallen soll.
Verglichen damit ist die Wirtschaft Finnlands – eines Landes mit gerade einmal 5,5 Millionen Einwohnern – in etwa doppelt so groß. Aber im Gegensatz zu den Finnen fehlen den Ukrainern die wichtigsten Elemente für einen wirtschaftlichen Aufschwung: eine industrielle Basis, die in der Ukraine weitgehend veraltet oder zerstört ist, und eine starke Produktion, die aber schon vor langer Zeit massiv einbrach. Darüber hinaus fehlen dem Land Millionen von Arbeitskräften. Diesbezüglich sind auch die Kriegsverluste, der Flüchtlingsstrom ins Ausland sowie der demographische Wandel aus wirtschaftlicher Sicht so fatal, weil der Ukraine nun auch noch Millionen von einfachen Bürgern fehlen, die bereit wären, in den Wiederaufbau und damit in die Zukunft des Landes zu investieren.
Hinzu kommen die vielen Milliarden-Kredite aus dem Ausland, die (bald) zurückgezahlt werden müssen, da die bereits erwähnte Weltbank und der IWF sowie die anderen ausländischen Gläubiger nicht gewillt sind, der massiv verschuldeten Ukraine ihre Schulden zu erlassen. Jedoch wurde Kiew derzeit teilweise noch ein Aufschub für die Schuldenrückzahlung bis 2024 beziehungsweise 2027 gewährt.
Extrem hohe Staatsverschuldung
Dabei sind gerade die Schulden eines der größten Probleme der einstigen Sowjetrepublik. So ist zum Beispiel die Auslandsverschuldung laut ukrainischen Medienangaben 2022 auf einen Rekordwert von umgerechnet etwa 132 Milliarden Dollar angewachsen, wobei die gesamte Staatsverschuldung in diesem Zeitraum von rund 50 Prozent der Wirtschaftsleistung im Vorkriegsjahr 2021 auf heute fast 80 Prozent anstieg. Dem ukrainischen Finanzministerium zufolge sind seit Februar des vergangenen Jahres fast 13 Milliarden Dollar aus dem Ausland für die Haushaltsfinanzierung aufgewendet worden.
Für 2023 prognostizieren Experten, dass die Gesamtverschuldung der Ukraine am Jahresende die Marke von 150 Milliarden Dollar erreichen könnte, weil immer neue Kredite im Rahmen der sogenannten westlichen "Unterstützung" – in erster Linie in den USA und den EU-Ländern – aufgenommen werden. Damit wäre auch die psychologische Marke von 100 Prozent der Verschuldung im Verhältnis zum BIP des Landes erreicht, was im Grunde bedeutet, dass der Umfang der Schulden dem Gesamtvolumen aller in der Ukraine produzierten Waren und Dienstleistungen entsprechen würde.
Die Regierung in Kiew geht ebenfalls von neuen Schulden aus und hat in ihrem diesjährigen Haushalt daher eine Erhöhung des Schuldenobergrenze auf fast 173 Milliarden Dollar gebilligt, was nach ihrer Prognose etwa 102 Prozent des von ihr erhofften BIP von etwa 169 Milliarden Dollar ausmachen würde. Außerdem erwartet man in diesem Jahr dennoch ein Haushaltsdefizit von 38 Milliarden Dollar.
Doch so oder so steht es wohl außer Frage, dass dieses Schuldenproblem schon sehr ernst ist. Und es wird sich zum Leidwesen der ukrainischen Bevölkerung sogar noch verschlimmern, solange der Krieg weitergeht und die Ukraine vor allem wegen ihrer hohen Militärausgaben immer tiefer in das Schuldenloch rutscht. Die Fortsetzung oder gar die Ausweitung der Kämpfe verringert zudem die Chancen, dass die ukrainische Wirtschaft sich möglicherweise irgendwann mal erholt. Ihre Wiederbelebung wäre nämlich selbst dann extrem schwierig gewesen, wenn der Krieg heute beendet worden wäre und der Staat sich nicht mehr weiter verschulden würde.
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