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Warum Russland die Teilnahme am New-START-Vertrag aussetzt

Russlands Präsident Wladimir Putin hat die Aussetzung der Teilnahme am New-START-Vertrag bekannt gegeben. Das Außenministerium begründet diesen Schritt mit der feindseligen Politik der USA und der NATO gegenüber Russland im Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt.
Warum Russland die Teilnahme am New-START-Vertrag aussetztQuelle: Sputnik © Maxim Blinow

Eine Analyse von Alexei Latyschew und Wladimir Dujun

Russland setzt seine Teilnahme am Vertrag zur Verringerung strategischer Waffen (New-START-Vertrag) aus. Dies gab dPräsident Wladimir Putin im Rahmen seiner Botschaft an die Föderationsversammlung bekannt. Er sagte:

"Ich bin gezwungen, heute zu verkünden, dass Russland seine Teilnahme am Vertrag zur Verringerung der strategischen Nuklearwaffen aussetzen wird. Ich wiederhole: Russland zieht sich nicht aus dem Vertrag zurück, nein, es setzt seine Teilnahme aus."

Die Entscheidung über die Aussetzung der Teilnahme am New-START muss vom russischen Parlament bestätigt werden. Wie der Sprecher der Staatsduma Wjatscheslaw Wolodin berichtete, legte Wladimir Putin ein entsprechendes Dokument den Abgeordneten bereits zur Prüfung vor.

Zur Erklärung für die Notwendigkeit einer solchen Maßnahme verwies Putin in seiner Rede darauf, dass die NATO Anfang Februar Russland aufforderte, zur Erfüllung des Vertrags zurückzukehren, was eine Zulassung von Inspektionen nuklearer Verteidigungsobjekte einschließt.

Dem Präsidenten zufolge erscheinen solche Forderungen absurd, denn gleichzeitig half der Westen Kiew, Stützpunkte der russischen strategischen Luftstreitkräfte anzugreifen. Die dabei verwendeten Drohnen wurden unter Mitwirkung von Spezialisten der NATO ausgerüstet und modernisiert, berichtete der russische Staatschef.

Er erinnerte auch an mehrmalige Forderungen westlicher Politiker, Russland eine "strategische Niederlage" zuzufügen. Nach Ansicht des Präsidenten widerspricht all das den dem New-START-Vertrag zu Grunde liegenden Prinzipien der "Unteilbarkeit der Sicherheit" und des "direkten Zusammenhangs zwischen Angelegenheiten von strategischen Angriffs- und Verteidigungswaffen".

Außerdem geben die USA selbst Russland keine Möglichkeit, vollwertige Inspektionen im Rahmen dieses Vertrags durchzuführen, bemerkte der Präsident.

Putin fügte hinzu, dass unter allen NATO-Mitgliedern, die über Atomwaffen verfügen, der New-START-Vertrag nur mit den USA geschlossen wurde. Indessen werden die Arsenale Großbritanniens und Frankreichs modernisiert und gegen Russland gerichtet. In diesem Zusammenhang erklärte der Präsident, dass Russland einen Beitritt dieser Staaten zum New-START-Vertrag begrüßen würde. Er sagte:

"Mit ihrer kollektiven Erklärung stellte die NATO de facto eine Forderung, Mitglied des Vertrags über strategische Angriffswaffen zu werden. Damit sind wir einverstanden, bitte. Mehr noch, wir finden, dass eine solche Fragestellung überfällig ist, denn unter den Mitgliedern der NATO sind die USA ja nicht die einzige Nuklearmacht, auch Großbritannien und Frankreich haben Atomarsenale."

Wie Wladimir Putin berichtete, verfügt Russland über Informationen, dass Washington neue Typen von Atommunition entwickele und eine Rückkehr zu Atomwaffentests erwäge. Er schlussfolgerte:

"In dieser Lage müssen das Verteidigungsministerium und 'Rosatom' eine Bereitschaft zu Tests von russischen Nuklearwaffen gewährleisten. Natürlich werden wir sie nicht als Erste durchführen, doch wenn die USA sie durchführen, werden wir es auch tun. Niemand soll sich Illusionen hingeben, dass die globale strategische Parität zerstört werden kann."

Gewährleistung der nuklearen Parität

Die Erklärung Wladimir Putins zum New-START-Vertrag kommentierte in einem Interview an RT der Pressesprecher des russischen Präsidenten Dmitri Peskow. Ihm zufolge hat Russland seine Teilnahme am Vertrag ausgesetzt, um sich in der Einhaltung der nuklearen Parität zu überzeugen. Er sagte:

"Russland zieht sich aus dem Vertrag nicht zurück, was der Präsident betonte. Dies ist eine Aussetzung. Das ist sehr wichtig, denn das, worauf die USA und andere Länder im Hinblick auf Inspektionen bestehen, lässt sich unter Bedingungen der jetzigen Konfrontation nicht umsetzen."

Laut dem Pressesprecher des Präsidenten müsse Moskau das nukleare Potential Großbritanniens und Frankreichs berücksichtigen. Peskow fügte hinzu:

"Das Hauptziel unseres Präsidenten und unseres Landes besteht darin, sich in einer Gewährleistung der Fortsetzung dieser nuklearen Parität zu überzeugen."

Die NATO hat bereits auf Putins Erklärung über die Aussetzung der Teilnahme am New-START-Vertrag reagiert. Der Generalsekretär der Allianz Jens Stoltenberg kritisierte diese Entscheidung und rief Moskau auf, sie zu revidieren. Er behauptete:

"Die heutige Entscheidung zum New-START-Vertrag zerstört die ganze Architektur der Waffenkontrolle. Ich fordere Russland mit Nachdruck auf, seine Entscheidung zu revidieren und die bestehenden Vertragsbestimmungen einzuhalten."

Der Rat für nationale Sicherheit der USA erklärte seinerseits, dass Washingtons Vertreter zu einem Treffen mit russischen Kollegen bereit seien, um über das Thema des New-START-Vertrags und der strategischen Stabilität zu verhandeln.

"Konsolidierung auf antirussischer Grundlage"

Der New-START-Vertrag war von den Präsidenten Russlands und der USA im Jahr 2010 unterzeichnet worden. Das Abkommen war für eine Frist von zehn Jahren ausgelegt und sah die Möglichkeit vor, es um weitere fünf Jahre zu verlängern.

Das Dokument schrieb eine Verringerung der Anzahl der nuklearen Sprengköpfen auf 1.550 Stück, und der Anzahl von Interkontinentalraketen, ballistischen Raketen auf U-Booten und schweren Bombern auf 700 Stück.

Die USA hatten eine Verlängerung des New-START-Vertrags lange verweigert, trotz mehrmaliger russischer Vorschläge, Verhandlungen darüber zu beginnen. Daher gelang es, den Vertrag erst wenige Wochen vor seinem Ablauf, im Februar 2021, zu verlängern.

Allerdings hatte Russland in den letzten Jahren an der Erfüllung der Vertragsverpflichtungen durch die USA viel zu bemängeln.

Unter anderem bemerkte Russlands Außenministerium in seiner Erklärung vom 21. Februar 2023, dass die feinselige Politik der USA und ihr Kurs auf eine "böswillige Eskalation des Konflikts in und um die Ukraine" für Russland eine Sicherheitslage erschaffen haben, die sich von derjenigen zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses prinzipiell unterscheidet. Das Ministerium erklärte:

"Heute streben die USA offen danach, Russland eine 'strategische Niederlage' zuzufügen und die von Washington angetriebene Anspannung geht weit über die Rahmen der ukrainischen Krise hinaus: die USA und der von ihnen angeführte Westen versuchen, unserem Land auf jeder Ebene, in jedem Bereich und in jeder Region der Welt zu schaden."

Eine solche Politik widerspricht den dem New-START-Vertrag zu Grunde gelegten Prinzipien einer unteilbaren Sicherheit und einer Aufbau von Beziehungen auf Grundlage gegenseitigen Vertrauens und Zusammenarbeit, erklärte das Außenministerium.

Darüber hinaus wird die Sicherheitslage durch die Tatsache beeinträchtigt, dass "die Konsolidierung der westlichen Staaten auf antirussischer Grundlage Aspekte ihrer Nuklearpolitik immer stärker beeinflusst". So haben die NATO-Mitglieder das Block offen zu einer "nuklearen Allianz" erklärt. Sie legen bei Konzepten der gesamten Allianz das Augenmerk zunehmend auf Atomwaffen und sprechen davon, die der NATO "zugeschriebenen" Atomarsenale zu verstärken und ihre Kampfbereitschaft zu erhöhen.

Nach Meinung des russischen Außenministeriums müssen unter diesen Bedingungen die Atomarsenale der USA, Großbritanniens und Frankreichs in ihrer Gesamtheit betrachtet werden und dieser Faktor im Prozess der Beschränkung und Verringerung von Atomwaffen berücksichtigt werden.

Außerdem haben die USA durch ihren Austritt aus dem ABM-Vertrag im Jahr 2002 die im START-Vertrag festgeschriebenen Bestimmungen über den Zusammenhang zwischen strategischen Angriffswaffen und strategischen Verteidigungswaffen ignoriert.

Ferner verstößt Washington in beträchtlichem Maße die Bestimmungen des START-Vertrags über die quantitative Beschränkung von Atomwaffen.

Nach Ansicht der russischen Diplomaten haben all diese Faktoren Russland schlussendlich gezwungen, die Teilnahme am New-START-Vertrag auszusetzen. Dabei werde Russland während der Vertragslaufzeit die vorgeschriebenen quantitative Beschränkungen in Bezug auf Atomwaffen einhalten. Darüber hinaus wird sich Moskau auch weiterhin am Austausch von Benachrichtigungen über Abschüsse von Interkontinentalraketen mit Washington beteiligen.

Die Erklärung des Außenministeriums betont, dass Russlands Entscheidung über die Aussetzung der Teilnahme am New-START-Vertrag revidiert werden kann. Hierzu müssten die USA "politischen Willen zeigen, gewissenhafte Anstrengungen zum Ziel einer gemeinsamen Deeskalation unternehmen und Bedingungen für eine Erneuerung des vollwertigen Funktionierens des Vertrags und damit einer allseitigen Gewährleistung seiner Lebensfähigkeit schaffen."

"Möglichkeit, alles abzuwägen"

Nach Meinung von Analytikern war Moskau gezwungen, die Teilnahme am New-START-Vertrag auszusetzen, weil die USA und der Westen de facto einen vollwertigen Krieg gegen Russland entfachten. Der Militärexperte Juri Knutow erklärte gegenüber RT:

"Die westlichen Staaten führen heute einen Krieg gegen Russland. Außerdem muss man berücksichtigen, dass Großbritannien, Frankreich und die USA in letzter Zeit eine Einheitsfront gegen Russland bilden. Das heißt, dass gegen unser Land das Nuklearpotential von gleich drei Ländern gerichtet ist. Ihr gesamtes Arsenal übersteigt das russische. Dabei haben Großbritannien und Frankreich eine Modernisierung ihrer Nukleartriade angekündigt. Unter solchen Bedindungen ist ruft die Möglichkeit eines Eindringens von US-Spionen auf unsere Nuklearobjekte unter dem Vorwand von Inspektionen berechtigte Sorgen unsererseits hervor."

Nach Meinung des Professors der Diplomatischen Akademie des Außenministeriums Wladimir Winokurow stellt Russlands Vorschlag, Großbritannien und Frankreich in den New-START-Vertrag einzubinden, eine Art Antwort auf ähnliche Forderungen der USA in Bezug auf China dar.

Dabei sei die russische Position laut Knutow besser begründet, denn Peking steht mit Moskau in keinem militärischen Bündnisverhältnis, wohingegen Paris und London Washingtons NATO-Verbündete und entsprechenden Bündnisverpflichtungen unterworfen sind.

Dennoch glauben die Analytiker, dass Frankreich und Großbritannien Russlands Vorschlag mit großer Wahrscheinlichkeit ignorieren werden. Winokurow erklärte gegenüber RT:

"Der New-START-Vertrag muss unbedingt Großbritannien und Frankreich umfassen. Das ist unsere Antwort auf die Forderungen der USA, China bei Verhandlungen einzubinden. Dennoch werden sich Paris und London wohl weigern. Wie China können diese Länder darauf verweisen, dass ihre Arsenale kleiner sind, als die von Russland und den USA."

Die Frage des New-START-Vertrags wird vor dem Ende des Ukraine-Konflikts kaum gelöst werden, glauben Experten. Winokurow sagte:

"Heute kann es keinen Dialog zwischen Russland und den USA geben, denn Washington hat kein Interesse daran. Deswegen kann kurzfristig, solange Russlands Ziele bei der Militäroperation nicht erreicht sind, keine Rede von Verhandlungen zum New-START-Vertrag sein. Und die Schuld daran liegt ausschließlich auf US-amerikanischer Seite."

Eine ähnliche Ansicht äußerte Juri Knutow:

"Die USA haben die Möglichkeit, alles abzuwägen. Sie gingen lange davon aus, dass sie alles tun können, was sie belieben. Das ist eine koloniale Herangehensweise. Sie ist falsch, und Putin gab heute zu verstehen, dass man mit Russland nicht in einer solchen Sprache sprechen kann. Doch vor einer Regulierung der Situation in der Ukraine wird es wahrscheinlich keine Verhandlungen geben. Die Lage wird eingefroren bleiben."

Übersetzt aus dem Russischen.

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