Putin spricht vor der Föderationsversammlung: "Die Wahrheit ist auf unserer Seite"
Der Konflikt in der Ukraine sei durch die westliche Politik der doppelten Standards und das Streben nach "grenzenloser Macht" entfacht worden. Dies erklärte Russlands Präsident Wladimir Putin in seiner jährlichen Botschaft an die Föderationsversammlung. Zu Beginn seiner Rede bezeichnete Putin die gegenwärtige Zeit als eine Periode "kardinaler, unumkehrbarer Änderungen auf der ganzen Welt". Die mit dem russischen Militäreinsatz in der Ukraine begonnenen historischen Ereignisse würden die Zukunft Russlands prägen, fügte er hinzu.
Hinsichtlich der russischen Militäroperation erinnerte Putin daran, dass die Entscheidung über ihren Beginn nach einem Scheitern langjähriger Bemühungen um Verhandlungen getroffen worden war. Er verwies auf die eigenen Geständnisse westlicher Politiker, wonach sie nicht an einer friedlichen Lösung des Konflikts im Donbass interessiert gewesen waren, sondern die Ukraine systematisch auf einen Krieg vorbereitet hatten. Diese Politik der Doppelmoral sei eine "Schande", von der sich der Westen nicht reinwaschen könne, so Putin weiter. Die Wurzeln dieser Politik lägen im Kolonialismus, und sie sei jüngst unter anderem gegen Jugoslawien, den Irak, Libyen und Syrien angewandt worden.
"Tatsächlich haben sich die westlichen Eliten sich in ein Symbol des totalen prinzipienlosen Lügens verwandelt. Wir verteidigen fest nicht nur unsere eigenen Interessen, sondern auch unsere Position, wonach es in der modernen Welt keine Teilung zwischen so genannten 'zivilisierten' und restlichen Ländern geben soll."
Putin betonte, dass Russlands Projekt eines Vertrags über Sicherheitsgarantien, der im Dezember 2021 den USA und der NATO vorgelegt worden war, in allen prinzipiellen Fragen abgelehnt worden war. Gleichzeitig habe sich eine ukrainische "blutige Strafaktion" gegen den Donbass sowie weitere Angriffe gegen die Krim abgezeichnet. Russlands Präsident hob hervor:
"Es waren sie, die den Krieg entfacht haben. Wir nutzten und nutzten indes Gewalt, um ihn zu beenden. […] Wir schützen das Leben der Menschen, unser eigenes Haus. Und das Ziel des Westens ist grenzenlose Macht."
Als Beleg für seine Thesen verwies Putin auf die Daten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Danach hatten die G7-Staaten zur militärischen Unterstützung der Ukraine bereits 150 Milliarden US-Dollar ausgegeben, wohingegen für Entwicklungshilfe an die ärmsten Länder der Welt in den Jahren 2020/21 lediglich etwa 60 Milliarden US-Dollar bereitgestellt worden waren. Weitere große Geldmittel seien außerdem in die Organisation von Umstürzen auf der ganzen Welt geflossen, wodurch nach Schätzungen von US-Experten seit 2001 fast 900.000 Menschen ums Leben kamen und über 38 Millionen zu Flüchtlingen wurden. Zur Sicherung eigener Hegemonie im In- und Ausland spielen die menschlichen Opfer für den Westen keine Rollen, schlussfolgerte Putin.
Speziell das seit dem Jahr 2014 realisierte ukrainische politische Projekt sei auf der Grundlage von "Russophobie und äußerst aggressiven Nationalismus" zum Zweck einer Schwächung Russlands aufgebaut worden. Putin zog dabei Parallelen zur westlichen Unterstützung des Nationalsozialismus und führte die jüngste Umbenennung einer der ukrainischen Brigaden nach der Wehrmachtsdivision "Edelweiß" an. Er fügte hinzu:
"In den Streitkräften und der Nationalgarde der Ukraine sind Abzeichen von 'Totenkopf', 'Galizien' und anderen SS-Verbänden, deren Arme ellenbogenhoch mit Blut befleckt sind, besonders beliebt. Ukrainische Panzerfahrzeuge werden mit Kennzeichen der nazideutschen Wehrmacht verziert. Die Neonazis verbergen nicht, als wessen Erben sie sich sehen."
Westliche Machthaber ignorierten all dies zugunsten einer Instrumentalisierung dieser Kämpfer gegen Russland, erklärte Putin:
"Hauptsache, sie kämpfen gegen uns, gegen unser Land, also kann man alle nutzen – und wie wir sahen, passierte es tatsächlich –, ob Terroristen, ob Neonazis, ob, mit Verlaub, den Teufel selbst: Man kann sie nutzen, solange sie ihren Willen ausführen und als eine Waffe gegen Russland dienen."
Dabei führe Russland keinen Krieg gegen das ukrainische Volk, betonte Russlands Präsident. Die Ukrainer seien stattdessen selbst Geiseln des Kiewer Regimes und seiner westlichen Herren, das Land de facto besetzt und ausgeplündert, die verarmte Bevölkerung zu "Verbrauchsmaterial" im Kampf gegen Russland instrumentalisiert. Auf die westlichen Waffenlieferungen an Kiew und den Kampfverlauf ging Putin zwar nicht detailliert ein, erklärte aber:
"Ein Umstand muss allen klar sein: Je weiterreichende westliche Waffensysteme in die Ukraine kommen, desto weiter von unseren Grenzen werden wir die Bedrohung verschieben müssen. Das ist natürlich."
Im Bestreben, Russland eine strategische Niederlage zuzufügen, versuche der Westen, den lokalen Konflikt auf eine globale Ebene zu überführen, und intensiviere hiermit auch den Informationskrieg, wobei insbesondere "Verräter" benutzt werden, fuhr der Präsident fort. Putin warnte vor strafrechtlichen Konsequenzen für Verbrechen gegen die russische Gesellschaft und territoriale Integrität, fügte aber hinzu:
"Wir werden uns niemals auf das Niveau des Kiewer Regimes und der westlichen Eliten begeben, die eine Hexenjagd betrieben und betreiben. Wir werden keine Rechnungen mit denjenigen begleichen, die einen Schritt zur Seite machten und von der Heimat abtraten."
Danach verwies Putin auf die mehrheitliche Unterstützung der Spezialoperation durch die russische Bevölkerung. Nach einem Dank an die Teilnehmer des Militäreinsatzes und die Bewohner der neuen Regionen schlug der Präsident vor, eine Stiftung zur Hilfe für Veteranen der Spezialoperation und Hinterbliebene von Gefallenen einzurichten. Ferner gab er bekannt, dass der Plan des Aufbaus der russischen Streitkräfte für die Jahre 2021 bis 2025 bewilligt wurde, wonach deren Ausrüstung mit moderner Technik vorangetrieben werden soll:
"Zum Beispiel sind die strategischen Atomstreitkräfte zu über 91 Prozent mit neuesten Systemen ausgestattet. Nun müssen wir unter Berücksichtigung der gemachten Erfahrungen ein gleich hohes qualitatives Niveau für alle Waffengattungen erreichen."
Anschließend berichtete Putin über die Lage und die Entwicklungsperspektiven der russischen Wirtschaft. Trotz Voraussagen eines Wirtschaftsrückgangs um 20 bis 25 Prozent habe die tatsächliche Verminderung des BIP im Jahr 2022 lediglich 2,1 Prozent betragen. Dabei war die Wirtschaft nur im zweiten Quartal geschrumpft, wohingegen sie im dritten und vierten Quartal wieder zu wachsen begonnen hatte. Dabei ändere sich auch die Wirtschaftsstruktur und gehe von Rohstoffexporten zu Produktion von Waren mit hohem Mehrwert und einer zunehmenden Stärkung des inländischen Markts über. Die Inflation werde in Russland zum Ende des Jahres den angestrebten Wert von vier Prozent erreichen, wohingegen sie in einigen europäischen Ländern bis zu 17 Prozent betrage.
Putin verwies auf einen Umbau von Logistik, den Aufbau von Wirtschaftsverbindungen mit "verantwortlichen, verlässlichen Partnern" und den steigenden Anteil der Landeswährung Rubel im internationalen Zahlungsverkehr. Er sagte eine Fortsetzung dieser Trends voraus. Unter den neuen Handelsrouten, die sich im Aufbau befinden, nannte Putin die Verbindung zu Kasachstan, der Mongolei und China mit weiterem Anschluss an die Märkte Südostasiens. Weitere Beachtung erhalte der Nord-Süd-Korridor, der über die Wolga und das Kaspische Meer Russland mit Indien, Iran, Pakistan und den Nahoststaaten verbinden werde.
Ein weiteres Ziel sei eine "De-Offshoreisierung" der russischen Wirtschaft, erklärte der Präsident:
"Unternehmen, vor allem in Schlüsselsektoren und -branchen, müssen unter russischer Rechtshoheit betrieben werden."
Um seinen Appell zu untermauern, verwies Putin auf die Erfahrungen der 1990er-Jahre, als die aus der Privatisierung sowjetischer Unternehmen geschlagenen Kapitale hauptsächlich ins Ausland gebracht und für Anschaffung von Luxusartikeln statt Produktionserweiterung verbraucht worden waren. Die jüngste Beschlagnahmung dieser Vermögenswerte im Rahmen der antirussischen Sanktionen habe bewiesen, dass der Westen kein "sicherer Hafen" für Kapital war. Putin erklärte:
"Russisches Kapital, das Geld, das hier erwirtschaftet wurde, muss für das Land, für seine Entwicklung arbeiten. Heute haben wir riesige Perspektiven beim Aufbau der Infrastruktur, der verarbeitenden Industrie, Binnentourismus und vielen anderen Branchen."
Unter weiteren innenpolitische Zielen nannte Putin Projekte zur Verbesserung von Bildung und Fundamentalforschung, steuerpolitische Maßnahmen zur Unterstützung von Familien sowie die Verbesserung des Umweltschutzes. Er kündigte eine Erhöhung des Mindestlohns um insgesamt 18,5 Prozent an. Der Präsident berichtete, dass in den Jahren 2019 und 2024 über 1.300 neuer Schulen gebaut werden sollen, von denen 850 bereits geöffnet wurden und voraussichtlich 400 im laufenden Jahr gebaut werden. Weiterhin solle die Luftqualität in den größten Städten verbessert, die Wiederverwertung von Abfällen sowie die Belebung der größten Gewässer vorangetrieben werden.
Abschließend gab Putin bekannt, dass Russland seine Teilnahme am New-START-Vertrag aussetze. Er führte aus:
"Ich bin gezwungen, heute zu verkünden, dass Russland seine Teilnahme am Vertrag zur Verringerung der strategischen Nuklearwaffen aussetzen wird. Ich wiederhole: Russland zieht sich nicht aus dem Vertrag zurück, nein, es setzt seine Teilnahme aus."
Die NATO habe eine strategische Niederlage Russlands öffentlich als Ziel verkündet, erklärte der Präsident. Vor diesem Hintergrund seien Forderungen nach der Zulassung von Inspektionen russischer nuklearer Verteidigungsobjekte absurd und "ein Gipfel an Heuchelei und Zynismus, oder an Dummheit". Laut Putin betreiben die USA systematisch eine Zerstörung der Weltordnung, die nach 1945 mit den Verträgen von Jalta und Potsdam geschaffen worden war, ohne Rücksicht auf andere Staaten zu nehmen. Er räumte ein:
"Natürlich hat sich die Weltlage nach 1945 verändert. Neue Einfluss- und Entwicklungszentren haben sich gebildet und entwickeln sich schnell. Das ist ein natürlicher, objektiver Prozess, der nicht ignoriert werden kann. Doch es ist nicht zulässig, dass die USA die Weltordnung ausschließlich zu ihren eigenen Gunsten, im eigenen egoistischen Interesse anpassten."
Putin zufolge denkt Washington über Atomwaffentests nach. Sollte es tatsächlich dazu kommen, würde auch Moskau solche Tests durchführen. Das russische Verteidigungsministerium und die russische Atomenergie-Gesellschaft Rosatom sollten darauf vorbereitet sein, sollten die USA diesen Schritt wagen. Der Präsident fügte hinzu:
"Wir werden sicherlich nicht die Ersten sein, die das tun, aber wenn die USA einen Test durchführen, werden wir es auch tun."
Zusammenfassend dankte Putin der russischen Bevölkerung für die moralische und materielle Unterstützung der Soldaten an der Front und erklärte, dass Russland alle Herausforderungen meistern werde. Seine Rede schloss er mit den Worten:
"Wir sind uns unserer Kräfte sicher. Die Wahrheit ist auf unserer Seite!"
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