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Was genau bedeutet der "Spionage-Ballon" in den Beziehungen zwischen den USA und China?

Der Handel zwischen den USA und China hat zugenommen, während die militärischen Spannungen eskalieren. Was genau ist los und wohin soll das alles führen? Und warum taucht hier, wie bestellt, ein "chinesischer Spionage-Ballon" am amerikanischen Himmel auf?
Was genau bedeutet der "Spionage-Ballon" in den Beziehungen zwischen den USA und China?Quelle: Legion-media.ru

Von Fjodor Lukjanow

Wir leben in interessanten Zeiten. In Zeiten, in denen alle über eine weitere politische Eskalation zwischen Washington und Peking debattieren und in denen ein Ballon über amerikanischem Territorium zur Absage des Besuchs von US-Außenminister Antony Blinken in Peking führt. Währenddessen meldet das amerikanische Amt für Statistik einen Handelsumsatz in Rekordhöhe zwischen den beiden Ländern. Im Jahr 2022 überstieg die Bilanz die Marke von 690 Milliarden US-Dollar.

Es ist wohl an der Zeit, sich an Paradoxien zu gewöhnen. Um zeitgenössische Prozesse zu beschreiben, werden häufig Ableitungen des Begriffs "Hybrid" verwendet – etwas, das aus der Begriffswelt der Kreuzung verschiedener Rassen, Sorten oder Arten stammt. Warum sollte also nicht die normale Wirtschaftslogik mit widersprüchlichen – hybriden – Motiven geopolitischer Rivalität kombiniert werden? Die Frage ist jedoch: Wie lange kann diese Koexistenz Fortbestand haben?

Die Beziehung zwischen den USA und China ist eines der interessantesten Phänomene des letzten halben Jahrhunderts. Im vergangenen Jahr jährte sich die Wende von Richard Nixon und Henry Kissinger zum fünfzigsten Mal, als die Vereinigten Staaten das kommunistische China diplomatisch anerkannten, das zuvor ein Symbol des roten Radikalismus galt. In Peking hatte es keinerlei Reformen gegeben, abgesehen von der immer noch tobenden Kulturrevolution. In einem Washington, dem die heutige Besessenheit von "Werten" fremd war, dachte man: Wenn das maoistische China sich gegen Breschnews UdSSR stellt, warum sich dann nicht mit China zusammenschließen? Es wäre übertrieben zu behaupten, dass die chinesisch-amerikanische Normalisierung den Ausgang des Kalten Krieges zugunsten der USA entschieden hat, aber sicherlich hat sie die Position der Sowjetunion im globalen Wettbewerb erheblich erschwert.

Die Konvergenz der geopolitischen Interessen zu dieser Zeit wurde jedoch nicht durch wirtschaftliche Interaktion ergänzt –, Washington und Peking befanden sich in unterschiedlichen Universen. Erst nach Maos Tod geschah das chinesische Wirtschaftswunder –, das damals zweitwichtigste sozialistische Land der Welt begann mit einer Markttransformation.

Die politische Verständigung zwischen den USA und China erwies sich als vorteilhaft –, die USA wurden für das asiatische Land zum fürsorglichen und sanften Pfadfinder durch den kapitalistischen Dschungel. Die wirtschaftliche Zusammenarbeit, die um die Wende der 1980er-Jahre begann, wurde zu Beginn des 21. Jahrhunderts zu einer finanziellen und industriellen Symbiose. Noch wichtiger ist, dass dies zum Rückgrat der Weltwirtschaft wurde, als es sich am Ende des Jahrhunderts zu bilden begann.

Nachdem Chinas Aufstieg sich ungebremst fortgesetzt hatte, wurde die Frage eines möglichen Konflikts mit den USA zwar allgegenwärtig, aber nicht erstrangig. Einerseits glaubten die Amerikaner nicht, dass die beeindruckenden Wachstumsraten China in absehbarer Zeit zu einem gleichberechtigten Mitspieler machen würden. Andererseits wurde die amerikanische intellektuelle Diskussion lange Zeit – fast bis in die 2010er-Jahre – von der Ansicht dominiert, dass sich das chinesische politische System mit fortschreitender kapitalistischer Transformation und wachsender Mittelschicht einer "westlichen Inspiration" zuwenden und sich an ihr ausrichten würde.

Mit anderen Worten, man erwartete als Resultat so etwas wie Japan – zwar mit eigenen Besonderheiten, aber allgemein empfänglich und loyal zu den politischen Strukturen der USA. Die Tatsache, dass amerikanische Truppen in Japan und Südkorea stationiert waren, als jedes dieser Länder "transformiert" wurde und dass der gesamte Prozess unter externer Kontrolle stattfand, wurde zwar als wichtig, aber nicht als entscheidend angesehen. Im Falle von China glaubte man, es würde genauso funktionieren wie im Falle von Japan und Südkorea, nur würde es etwas länger dauern.

In den vergangenen zehn Jahren wurde jedoch eine Stopp-Linie in den Sand gezogen. Der Aufstieg von Xi Jinping an die Partei- und Staatsspitze hat eindeutig gezeigt, dass China – aus Sicht Washingtons – in die falsche Richtung driftet. Donald Trump hat den unverhohlen antichinesischen Kurs legitimiert, den Barack Obama implizit bereits in seiner Amtszeit eingeschlagen hatte. Und jetzt ist zum ersten Mal seit vierzig Jahren eine politische Unvereinbarkeit mit wirtschaftlicher Interdependenz in Konflikt geraten.

Alle aktuellen strategischen Planungen in den Vereinigten Staaten basieren auf einer bevorstehenden Konfrontation mit China in den kommenden Jahren oder vielleicht in den kommenden Jahrzehnten. Darüber herrscht in den USA überparteilicher Konsens, und diese Szenarien werden offen und unumwunden diskutiert. Taiwan, das die USA, wenn man Biden glauben darf, um jeden Preis vor einer Übernahme durch das Festland schützen will, wird als Vorwand für eine direkte Konfrontation genommen.

Bemerkenswert ist, dass die Anerkennung des maoistischen China tatsächlich mit einem Abkommen über Taiwan begann: Washington würde die Einheit des Landes unter Peking nicht infrage stellen, und China würde keine Schritte unternehmen, um die Vereinigung in die Praxis umzusetzen. Beide Seiten bekennen sich zu dieser Jahrzehnte alten "zweideutigen Zurückhaltung". Doch nun platzen die Rahmenbedingungen aus allen Nähten, und man kann durchaus sagen, dass es die Amerikaner waren, die als erste diese Zauberformel aufgegeben haben.

Gleichzeitig belegen die USA die chinesische Wirtschaft mit Sanktionen, die auf chinesische Waren und Unternehmen abzielen. Einige dieser Maßnahmen sind kommerzieller und protektionistischer Natur, die meisten sind jedoch politisch und strategisch. Ziel ist es, die technologische Entwicklung Chinas zu bremsen und im Idealfall zu blockieren. Dies geht einher mit Bemühungen, die gesamte Region zu militarisieren und die bewaffnete Präsenz der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten dort auszuweiten.

Doch vor diesem Hintergrund wächst der Handel zwischen beiden Ländern, und die Vorteile der Zusammenarbeit bleiben stark. Und es scheint sogar Ende vergangenen Jahres eine Aufweichung der Verhärtungen gegeben zu haben, was manche Beobachter als Rückbesinnung auf den Pragmatismus interpretieren. Der Besuch von Antony Blinken in Peking hätte dies festigen sollen. Aber dann kam der "Spionage-Ballon" angeflogen. Ein scheinbar triviales Ereignis, aber ernsthaft genug, um den Besuch in Peking zum Scheitern zu bringen.

Aber was genau bedeutete dieser Spionage-Ballon –, war er ein Warnsignal oder ein Unfall? Und welchen Platz nimmt er in einem hybriden Zeitalter ein?

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Aus dem Englischen

Fjodor Lukjanow ist Chefredakteur von Russia in Global Affairs, Vorsitzender des Präsidiums des Rates für Außen- und Verteidigungspolitik und Forschungsdirektor des Valdai International Discussion Club.

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