Strategische Entscheidung: Warum Russland seine Ölförderung drosselt
Von Dmitri Lekuch
Das Interessante an dem jetzt umgesetzten Szenario ist nicht einmal die Tatsache, dass Russland seine Ölproduktion im März freiwillig und vorhersehbar um 500.000 Barrel pro Tag drosseln wird. Diese Entscheidung ist auch eine Folge der logistischen Probleme, die infolge der Neuausrichtung der Lieferwege von West nach Ost selbst im Idealfall unvermeidlich sind.
Dessen waren sich alle bewusst, sowohl im Inland als auch im Ausland, wie auch der nur vorübergehenden Natur dieser Probleme. Die Frage war nur, welcher Zeitrahmen genau für die Neuausrichtung anzusetzen ist und wie er sich auf die nationalen und globalen Märkte und das globale Kräftegleichgewicht auswirken wird.
Es geht auch nicht so sehr um die Frage, wie die Börsen auf den Rückgang der russischen Produktion reagiert haben, da ist alles klar. Die Börsianer sind Meister des kurz- und mittelfristigen Geschachers, keine Strategen. So waren sie natürlich auf die aktuelle Volatilität gut vorbereitet. Deshalb stiegen die Rohölpreise gleich am ersten Tag um durchschnittlich zwei US-Dollar. Nach Einschätzungen von Finanzanalysten aus Übersee könnte dies nach einer kurzen Phase der Volatilität zu einem Anstieg der Weltmarktpreise um mindestens drei bis fünf US-Dollar pro Barrel führen.
Es sei denn, es kommt zu einer Preisrallye. Diese könnte durchaus zu Preisen von über 100 US-Dollar pro Barrel in der Spitze führen.
Das alles sind jedoch nur kurzfristige Folgen der von dem für die Energiewirtschaft zuständigen russischen Vize-Regierungschef Alexander Nowak angekündigten Kürzung der Fördermenge. Die strategischen Folgen könnten sich als viel kritischer und grundlegender erweisen. Sie werden sich naturgemäß nicht sofort, sondern erst nach einiger – nicht allzu langen – Zeit zeigen. Da sich alle Trends in der Weltwirtschaft vor dem Hintergrund der sich verschärfenden Systemkrise inzwischen recht deutlich aktualisieren und sich die Prozesse auch auf der visuellen Ebene beschleunigen, ist bereits in diesem Jahr mit ersten systemischen Konsequenzen zu rechnen.
Seriöse US-Analysten blicken da auf das dritte oder vierte Quartal des Jahres. Aber das ist nicht das letzte Wort. Der erste Ort, auf den wir jetzt schauen müssen, ist die arabische Halbinsel, von deren ölreichen Monarchien an diesem strategischen Scheideweg sehr vieles abhängt. Vieles, sicher nicht alles. Die Arabische Halbinsel hat schon angedeutet, wohin die Reise gehen wird. Und zwar deutlich genug, sodass keine Zweifel mehr daran bleiben, ob das "russische Szenario" mit den Scheichs abgesprochen war. Wahrscheinlicher ist, dass es sich um ein Manöver Russlands innerhalb eines gemeinsamen Szenarios handelt, das im Rahmen einer nicht bekannten Vereinbarung ausgearbeitet wurde.
Aber betrachten wir die Zusammenhänge der Reihe nach.
Am vergangenen Freitag erklärte der stellvertretende russische Ministerpräsident Alexander Nowak, dass Moskau die Ölproduktion im März freiwillig um 500.000 Barrel am Tag drosseln werde, wobei er darauf hinwies, dass die Produktionskürzung nur Öl, nicht aber Gaskondensat betreffen werde. Die Produktionskürzung basiert erstmals auf dem tatsächlichen Produktionsniveau und nicht auf der Quote, die Russland mit der OPEC vereinbart hat. Eine ungenannte Quelle aus der Branche ließ sogar durchblicken, dass Russland die konkrete Entscheidung im Alleingang getroffen hat und es keine Konsultation mit der OPEC+ gegeben hat.
Kurz darauf wurde der Informationsraum jedoch zuerst von Reuters gesprengt, das offiziell meldete, dass die OPEC+ nicht die Absicht habe, die Produktion aufgrund der Entscheidung Russlands zu erhöhen. Und das, obwohl es zur Kompensation des Defizits nicht einmal der OPEC bedurft hätte. Saudi Arabien hätte im Alleingang die Menge, um die Russland die Förderung kürzt, mit Leichtigkeit kompensieren können. Eine halbe Million Barrel zusätzlich pro Tag sind nichts, was die saudische Ölförderung ins Schwitzen bringen könnte. Und doch nutzte Riad die Gelegenheit nicht. Das Verfahren scheint wichtiger zu sein als ein kurzfristiger ökonomischer Vorteil.
Die unmittelbar danach verkündete Entscheidung der Saudis, die Exportpreise für Öl in den asiatisch-pazifischen Raum zu erhöhen, wohin die russischen Ölproduzenten ihre nicht gerade einfache Logistik eilig verlagern, scheint da ganz und gar nicht mehr eine zufällige zu sein.
Was können wir dazu sagen? Wir haben bereits mehrfach darüber geschrieben: Es beginnt eine große energiepolitische Neuaufteilung der Welt. Nur dass diese weniger in dem Aufstieg des Petro-Yuan noch in Aktivitäten indischer Raffinerien oder in westlichen Intrigen besteht. Die Umverteilung der Weltmärkte wurde von den Erzeugerländern initiiert, denen die derzeitige Situation nicht gefällt, bei der Spekulanten im fernen New York die Preise für ihre Produkte theoretisch sogar in den negativen Bereich treiben können. Dies kann für Produzenten schlichtweg mathematisch nicht hinnehmbar sein. Nicht hinnehmbar selbst für so hohe Ziele wie den "Schutz der Demokratie" und aller 80 Geschlechter zusammen. Zumal Araber auch eine sehr spezifische Einstellung zur "Demokratie" und zur Geschlechtervielfalt haben, selbst wir scheinen im Vergleich mit ihnen mehr als tolerant zu sein. Mittelalterliche konservative Traditionalisten.
Aber gleichzeitig verstehen und bewerten sie ihre eigenen Interessen viel klarer und rationaler als frühere Generationen eingeborener Völker, die sich auf so vermeintlich lukrative Geschäfte mit der westlichen Geschäftswelt einließen wie den Verkauf der Insel Manhattan gegen schöne und glänzende Glasperlen und veraltete Waffen.
Wie auch immer. Wir erleben ein großes strategisches Spiel, und wir werden in naher Zukunft mehr als einmal darüber sprechen. Es wird sicherlich genug Anlässe dafür geben. Warten wir ab, wie sich die Figuren auf dem Spielbrett aufstellen, sobald China in drei bis sechs Monaten aus dem selbst verordneten COVID-Winterschlaf erwacht, dessen es selbst längst überdrüssig geworden ist, und wie schnell es auf das frühere Produktions- und Konsumtionsniveau zurückkehren kann. Ist es erst mal so weit, wird vielen selbst ein Börsenpreis von 100 Dollar pro Barrel Rohöl als günstig erscheinen.
Wird das Preisbildungszentrum dann überhaupt noch bei den Börsen in New York und Rotterdam angesiedelt sein? Oder wird es nach Hongkong wandern? Oder wird Riad die Preisgestaltung selbst in die Hand nehmen und Änderungen bestenfalls über geschlossene Kanäle mit Moskau vereinbaren? Das sind die wichtigen Fragen der kommenden Monate.
Was unsere Erdöl fördernde Branche betrifft, so sind Produktionskürzungen unter den derzeitigen Umständen zwar unangenehm, aber keineswegs fatal. Sowohl für die Branche selbst als auch, nebenbei bemerkt, für den Staatshaushalt. Der Inlandsverbrauch wird von dieser Kürzung nicht betroffen sein und die fehlenden Exporteinnahmen sollten theoretisch durch baldige Preissteigerungen ausgeglichen werden.
Gleichzeitig hoffe ich, dass der Appetit einiger Käufer aus befreundeten Ländern auf Preisnachlässe etwas gedämpft wird. Freundschaft ist sicherlich wichtig, aber bei manchen Themen wird der Tabak getrennt gekauft, wie ein russisches Sprichwort sagt. Übrigens hat Präsident Putin sich vor nicht allzu langer Zeit ähnlich geäußert.
Das Wichtigste aber bleibt, wer die strategischen Weichenstellungen in einer Welt trifft, deren Wirtschaft – und das bestreitet niemand – immer noch vom Öl bestimmt wird. Also ist prinzipiell, wer die Produktion und Veredelung, aber auch die entscheidenden Parameter des Handels mit Öl und Ölprodukten kontrolliert. Zum Beispiel eben in Fragen der Preisgestaltung.
Das ist auch der Hintergrund dessen, was sich vor unseren Augen abspielt. Die Boni sind hier nur ein angenehmer Nebeneffekt.
Übersetzt aus dem Russischen.
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