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George Friedman: Deutsch-russische Wirtschaftskooperation ist größte Bedrohung für die USA

George Friedman legte bereits 2015 seine Empfehlungen für die geopolitischen Grundprinzipien der USA hinsichtlich Russlands, Europas und der Ukraine offen. Er war Direktor des US-amerikanischen Analyse-Instituts STRATFOR und ist Autor mehrerer geopolitischer Bücher. Zudem äußert er sich auch häufig als politischer und militärischer Berater in US-Medien.
George Friedman: Deutsch-russische Wirtschaftskooperation ist größte Bedrohung für die USAQuelle: AFP © PEDRO PARDO / AFP

Von Maria Müller

In einem Gastbeitrag auf der Veranstaltung einer weiteren großen US-Denkfabrik – TheChicago Council on Global Affairs – sprach George Friedman als bewährter politischer und militärischer Berater im Februar 2015mit schonungsloser Offenheit über die geostrategischen Interessen der USA in der Ukraine und deren offensive politische und militärische Umsetzung gegen Russland. Er stellte klar, dass für die Vereinigten Staaten eine russisch-deutsches Wirtschaftskooperation die "größte Bedrohung" darstellt. Dieses Konzept sei die wichtigste historische Basis der geostrategischen Vorstellungen seines Landes.

Angesichts des Krieges in der Ukraine sind seine Worte heute aktueller denn je, vor allem auch, weil sie die langjährige Vorbereitung eines Angriffs auf Russland wie selbstverständlich offensichtlich machen. Selten hat man so ungeschminkte Worte zu diesem Thema gehört. Die wichtigsten Teile seiner Rede sind hier im Youtube-Video mit deutschem Untertiteln zu sehen.

Ganz offensichtlich haben die Vereinigten Staaten eine europäische Wirtschaftsmacht – und erst recht eine gemeinsame eurasische Wirtschaftsunion mit Russland – schon immer als existenzielle Bedrohung interpretiert. Die Möglichkeiten für die USA, selbst erfolgreich daran teilzuhaben, übersteigt schon immer das vom Konkurrenzprinzip dominierte Denken jenseits des Atlantiks. Friedman sagte damals unter anderem:

"Das Hauptanliegen der Außenpolitik ist seit dem letzten Jahrhundert, während des Ersten Weltkriegs, des Zweiten Weltkriegs und des Kalten Krieges, von den Beziehungen zwischen Deutschland und Russland bestimmt. Vereint sind sie die einzige Kraft, die uns bedrohen kann. Unser Hauptinteresse bestand darin sicherzustellen, dass dieser Fall nicht eintritt. (...) Das Wichtigste für die USA ist, dass sich das deutsche Kapital und deutsche Technologien und die russischen Rohstoffe und russischen Arbeitskräfte nicht zu einer einzigartigen Kombination verbinden, einer Kombination, die die Vereinigten Staaten seit einem Jahrhundert zu verhindern versuchen."

Daraus spricht nebenbei auch ein historisches Klischee mit rassistischem Selbstverständnis: die wirtschaftlichen, technischen und kulturellen Kapazitäten Russlands auf "Rohstoffe" und "Arbeitskräfte" zu reduzieren. Trotz der enormen globalen Veränderungen und der rasanten produktiven Entwicklung Russlands hat sich diese Wahrnehmung der US-Strategen nicht grundsätzlich verändert. Der Sabotageakt gegen die Pipelines Nord Stream 1 und 2 ist ein deutliches Beispiel, die Panzer-Intrigen, um Deutschland gegen Russland zu exponieren, sind ein weiteres.

Laut den Ausführungen dieses geopolitischen Analytikers erkennt man in den USA die wirtschaftlichen Ungleichgewichte und eigenen Schwächen als Probleme, die es mit militärischen Mitteln zu lösen gelte. Konkurrenten werden am besten in Kriege gegeneinander verwickelt – ganz nach den klassischen Vorbildern von Imperien in der Antike und der Neuzeit. Die US Army versetzt solchen Gegnern als weitere Option auch – nach den Worten Friedmans –  "begrenzte Schläge, um sie zu schwächen," oder um sie "nur aus dem Gleichgewicht zu bringen".

Der Analytiker bestätigte außerdem, dass den USA die Sicherheitsinteressen Russlands – speziell seit dem Ende des Kalten Krieges – bekannt sind, und dass sie diese Sicherheitskriterien ganz bewusst schrittweise unterwanderten. Er erläuterte während seines Vortrags dem Publikum wörtlich:

"… Für die Russen stellt sich nun die Frage, ob sie die Ukraine zumindest als Pufferzone zwischen Russland und dem Westen haben wollen, die wenigstens neutral bleibt, oder ob der Westen (die NATO) so weit in die Ukraine vordringt, dass er nur noch 100 Kilometer von Stalingrad und 500 Kilometer von Moskau entfernt ist. Für Russland stellt der Status der Ukraine eine existenzielle Frage dar, die es nicht ignorieren kann. (…) Die russischen Karten [gemeint sind offenbar die Sicherheitsbedürfnisse] waren schon immer auf dem Tisch. Das Mindeste, was Russland braucht, ist eine neutrale Ukraine, nicht prowestlich. Für die USA gilt, dass sie Russland aufhalten wollen, wenn es weiterhin an der Ukraine festhält. Damit begründen sie das [Konzept vom] Intermarium, das Gebiet zwischen dem Schwarzen Meer und der Ostsee. Die USA sind bereit, mit diesem Konzept einer Grenzzone eine Verbindung Russlands und Deutschlands zu verhindern. Mit Eingreiftruppen in Rumänien, Bulgarien, Polen und den baltischen Ländern. Das wurde von [Józef] Piłsudski [ Staatschef Polens von 1918 bis 1922] ausgearbeitet. Für die Vereinigten Staaten ist das eine Lösung."

[Siehe Landkarte im Video] 

Rechts auf der Landkarte sieht man in gelber Schrift: USA bauen einen Gürtel aus antirussischen Staaten auf, um Deutschland und Russland voneinander abzuschneiden oder zu schwächen.

Friedman fährt in seiner Rede fort:

"… Doch wie weit sind die USA bereit zu gehen, wenn Russland nach der Ukraine weitermacht? Letzte Woche, oder vor wenigen Tagen, [Anm.: Februar 2015] besuchte der Oberbefehlshaber der amerikanischen Bodentruppen in Europa, General Ben Hodges, die Ukraine. Er kündigte dort an, dass die US-Militärberater demnächst offiziell in die Ukraine kommen sollen. In der Tat hat er dort Medaillen für ukrainische Kämpfer verteilt, obwohl das amerikanische Militärprotokoll es verbietet, dass die Medaillen an Ausländer verliehen werden. Aber er tat es, weil er zeigen wollte, dass die ukrainische Armee seine Armee ist. Dann ging er wieder. Und die Vereinigten Staaten liefern den baltischen Staaten, Rumänien, Polen und Bulgarien Panzer, Artillerie und andere militärische Ausrüstung. Das ist ein sehr interessanter Punkt. Gestern kündigten die Vereinigten Staaten an, dass sie Waffen an die Ukraine liefern werden. Das wurde am gleichen Abend dementiert, aber sie tun es, die Waffen werden geliefert. Und bei all diesen Aktionen operieren die Vereinigten Staaten außerhalb des NATO-Rahmens,weil NATO-Entscheidungen von allen NATO-Mitgliedern einstimmig getroffen werden müssen und jedes Land dagegen ein Veto einlegen kann."

Regelrecht kaltschnäuzig stellt Friedman dann fest:

"… Russland glaubt, dass die Vereinigten Staaten beabsichtigen, die Russische Föderation zu zerschlagen. Ich glaube nicht, dass wir sie töten wollen, wir wollen sie nur etwas verletzen, ihnen nur ein bisschen Schaden zufügen", so laut der Sicht des Geostrategen im Jahre 2015.

Kein Land könne sich ewig im Frieden befinden, fährt der Redner fort, nicht einmal die Vereinigten Staaten. Die USA hätten immer Kriege geführt. Europa werde zwar nicht "zu großen Kriegen" zurückkehren, sondern zur "Normalität der Geschichte". Es werde "seine Kriege und seine Friedenszeiten haben", es werde auch Verluste erleben. Es werde nicht "100 Millionen Tote" geben wie im letzten Krieg, aber die Idee, ein "auserwählter Kontinent" zu sein, werde "zu dieser Entwicklung" beitragen. 

Als Konfliktherde in Europa benennt Friedman Jugoslawien und jetzt die Ukraine. Was die Beziehung Europas zu den Vereinigten Staaten betrifft, so hätten die USA keine Beziehungen zu "Europa". Sie hätten Beziehungen zu Rumänien und zu Frankreich, aber: "es gibt kein Europa, mit dem die USA Beziehungen haben, wir haben andere Interessen in der Außenpolitik". So wollen die USA auf den inneren Widersprüchen Europas spielen und sie für sich ausnutzen: 

"Wenn Sie Ukrainer wären, würden Sie nach dem Einzigen suchen, der Ihnen helfen kann, und das sind die Vereinigten Staaten. Wie auch immer, wir kehren zum alten Spiel zurück und wenn Sie einen Polen, einen Ungarn oder einen Rumänen fragen, leben die in einer ganz anderen Welt als die Deutschen und in einer anderen Welt als die Spanier. Es herrscht Uneinigkeit in Europa. Aber was die Ukrainer bevorzugen, das werde ich ihnen sagen: sie werden versuchen, die USA möglichst nicht zu verärgern."

Die Vereinigten Staaten haben ein grundlegendes Interesse. Sie kontrollieren alle Weltmeere. Keine andere Macht hat das getan. Aus diesem Grund intervenieren die USA weltweit bei den Völkern, können aber selbst nicht angegriffen werden, räumt Friedman ein:

"Das ist eine schöne Sache. Die Kontrolle über die Ozeane und den Weltraum zu behalten, ist die Grundlage unserer Macht."

Der beste Weg, eine feindliche Flotte zu besiegen, bestehe darin zu verhindern, dass sie gebaut wird. Die Briten stellten sicher, dass keine europäische Macht die Flotte aufbauen konnte, indem sie dafür sorgten, dass die Europäer gegeneinander kämpften. Die von Friedman empfohlene Politik ist diejenige, die von Ronald Reagan im Iran-Irak-Krieg (1980 bis 1988) angewendet wurde. Er finanzierte beide Seiten, damit sie gegeneinander kämpfen und nicht gegen die Vereinigten Staaten. Das war "zynisch, es war moralisch nicht vertretbar", aber es habe funktioniert.

Die Vereinigten Staaten sind nicht in der Lage, ganz Eurasien zu besetzen. In dem Moment, wo die Stiefel von US-Soldaten "den Boden berühren", sind sie zahlenmäßig unterlegen. Die USA können eine Armee zerschlagen, sind aber nicht in der Lage, den Irak zu besetzen. Die Vorstellung, dass die US-Armee mit ihren 130.000 Soldaten ein Land mit 25 Millionen Einwohnern besetzen könnte, sei absurd:

"Das Verhältnis der Zahl der Polizeibeamten zur Bevölkerung New Yorks ist größer als das Verhältnis der US-Soldaten zur irakischen Bevölkerung. Deshalb können wir nicht überall militärisch eingreifen, aber wir können zunächst die Mächte unterstützen, die gegeneinander kämpfen, damit sie sich auf sich selbst konzentrieren. Wir können sie politisch, wirtschaftlich, militärisch und mit Beratern unterstützen. Im schlimmsten Fall können wir mit Präventivschlägen ('spoiling attacks') intervenieren, wie in Japan … nein … wie in Vietnam, im Irak und in Afghanistan."  

Die sogenannten Störangriffe sollen den Feind nicht besiegen, sondern ihn "aus dem Gleichgewicht bringen". Das versuchten die USA in jedem dieser Kriege. In Afghanistan zum Beispiel hätten sie wAl-Qaida "aus dem Gleichgewicht gebracht". Das Problem aus Sicht des Redner sei, dass man in Anbetracht der Leichtigkeit, mit der das vorrangige Ziel der Destabilisierung erreicht werden konnte, sich weitergehende, konstruktive Ziele setze: 

"Anstatt zu sagen, wir haben den Job gut gemacht, lasst uns jetzt nach Hause gehen, sagen wir: 'Mann, das war aber leicht. Lasst uns noch hierbleiben und eine Demokratie aufbauen!' Das war der Moment unserer Geistesschwäche."

Die Lehre, die man daraus ziehen müsse, sei, dass die Vereinigten Staaten nicht immer und überall in Eurasien militärisch eingreifen können. Sie sollten punktuell und möglichst selten eingreifen. Eine Militärintervention müsse ein Sonderfall, "die letzte Möglichkeit", sein. Wenn man aber schon US-Truppen entsende, dann müsse die Intervention "eingeschränkt" erfolgen. Die militärische Aufgabenstellung müsse klar definiert sein, und man müsse bei der anfänglichen Zielsetzung bleiben. Jede direkte Intervention müsse "eingeschränkt" erfolgen und dürfe keine "gigantischen Ausmaße" erreichen.

Ein Imperium könne nicht überall intervenieren. Die Briten hätten Indien seinerzeit nicht besetzt. Sie hätten vielmehr die einzelnen Bundesstaaten Indiens gezwungen, gegeneinander zu kämpfen. Sie installierten britische Offiziere in der indischen Armee. Auch die alten Römer hätten keine großen Heere in abgelegene Regionen geschickt, sondern prorömische Könige eingesetzt, "so etwa Pontius Pilatus".

Imperien, die versuchen, das gesamte Imperium allein zu regieren, wie es beim Nazi-Imperium der Fall war, seien zum Scheitern verurteilt:

"Niemand hat so viel Macht. Man muss da sehr klug vorgehen."

Es sei noch nicht das Thema, ob die USA zugeben, ein Imperium zu sein. Das hieße in jedem Fall nicht, dass "wir entspannt nach Hause gehen können und und um nichts mehr kümmern müssen."

Die ungelöste Frage sei, wie Deutschland reagieren wird. Während die Vereinigten Staaten ihren "Sicherheitsgürtel" nicht in der Ukraine, sondern im Westen aufbauen und "die Russen" nach einem Schritt suchen, um "den hässlichen Einfluss in der Ukraine zurückzudrängen", wisse man nicht, wie die deutsche Haltung sein wird.

Deutschland befinde sich in einer "ganz besonderen" Situation. Altkanzler Gerhard Schröder sitzt im Aufsichtsrat von Gazprom. Die Deutschen haben eine "sehr komplexe Beziehung zu den Russen". Sie wissen selbst nicht, was sie tun sollen. Sie müssen ihre Waren exportieren, die Russen können ihnen ihre Waren abnehmen. Andererseits verlieren sie ihre Freihandelszone, die sie brauchen, um andere Dinge aufzubauen.

Wer jetzt sagen kann, was die Deutschen vorhaben, schließt Friedmann, könne vorhersagen, wie die Geschichte in den nächsten 20 Jahren verlaufen wird. Aber:

"Leider haben sich die Deutschen nicht entschieden und das ist immer ein Problem für Deutschland: Sehr starke Wirtschaft, sehr fragile Geopolitik. Und beides können sie nicht unter einen Hut bringen. Dies ist seit 1871 das deutsche Problem."

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