Wie der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats in Washington, John Kirby, am Mittwoch mitteilte, lägen keinerlei Anzeichen dafür vor, dass Moskau einen Angriff auf das von den USA geführte Militärbündnis plant. Diese Einschätzung erfolgte bei einem Briefing im Weißen Haus in Washington, kurz nachdem die Zusage für die Lieferung von US-Kampfpanzern an die Ukraine publik wurde.
Die US-Regierung gehe demnach nicht davon aus, dass ein russischer Angriff auf das Gebiet der NATO bevorsteht. "Ich kann Ihnen nur sagen, dass wir absolut keinen Hinweis darauf haben, dass Herr Putin die Absicht hat, NATO-Territorium anzugreifen", sagte Kirby am Mittwoch.
Der Sprecher antwortete mit dieser Aussage auf die Frage eines Journalisten, wie Russlands Präsident Wladimir Putin auf die zugesagten Kampfpanzer-Lieferungen an die Ukraine reagieren könnte – auch mit Blick auf NATO-Staaten wie Polen.
Kirby erklärte, dass sich die Bedingungen auf dem Schlachtfeld verändert haben. Die US-Panzer sollen "der Ukraine helfen, in offenem Gelände effektiv zu kämpfen, ihre Souveränität und ihr Territorium zu verteidigen und Gebiete zurückzugewinnen, die die Russen ihr weggenommen haben".
Zugleich betonte er, dass Washington die Verpflichtungen der USA nach Artikel 5 "ernst nehme". Damit bezog er sich auf eine Regelung im sogenannten Nordatlantikvertrag, wonach ein Angriff auf ein Mitglied ein Angriff auf das gesamte Bündnis darstellt.
Er wies darauf hin, dass Washington weitere 20.000 US-Soldaten in Europa stationiert habe, womit sich deren Gesamtzahl auf 100.000 erhöhe. Kirby zufolge sei das Bündnis zuversichtlich, dass es die Fähigkeit, die Energie, die Talente, die Arbeitskräfte und die Ressourcen habe, um die Verpflichtungen nach Artikel 5 zu erfüllen.
Auf die Frage, ob mit der geplanten Panzerlieferung nicht rote Linien überschritten würden, wiederholte Kirby die Aussage von US-Präsident Joe Biden, dass die Panzer keine "offensive Bedrohung" für Russland darstellten:
"Stellen sie eine Bedrohung für die russischen Soldaten dar? Auf jeden Fall … für jene russische Soldaten, die in der Ukraine sind. Nicht für Russland selbst."
Bis die zugesagten Abrams-Panzer an ihrem Ziel angekommen sind, könnte noch einige Zeit ins Land gehen: Die US-Regierung bestellt die Panzer bei den Rüstungsunternehmen – das heißt, sie kommen nicht aus den eigenen Beständen des Militärs. Kirby begründete dieses Vorgehen unter anderem damit, dass alle Abrams-Panzer derzeit in irgendeiner Form im Einsatz seien.
Selbst wenn es überschüssige Panzer gäbe, würde es lange dauern, diese in die Ukraine zu bringen, so Kirby. Auch sei noch offen, wo die ukrainischen Soldaten an den Kampfpanzern ausgebildet werden sollen. "Das Training wird auf keinen Fall in der Ukraine stattfinden", betonte der Sprecher.
Russland hat die US-Militärpräsenz an der Ostflanke der NATO stets als Bedrohung bezeichnet. Bereits Ende Oktober warnte Kreml-Pressesprecher Dmitri Peskow: "Je näher die amerikanischen Truppen an unseren Grenzen sind, desto größer ist die Gefahr, in der wir uns befinden."
Kirby erklärte weiter, dass die USA die von Moskau in der Ukraine gezogenen roten Linien aufmerksam verfolgen und fügte hinzu: "Wir nehmen nicht einfach irgendetwas als gegeben hin, wenn sie es sagen. Und wir sind nicht geringschätzig."
Im Herbst hatte das russische Außenministerium Washington gewarnt, dass die Lieferung von Langstreckenwaffen an Kiew eine "rote Linie" überschreite und Amerika "zu einer direkten Konfliktpartei" mache. Am Dienstag erklärte der Erste Stellvertretende Ständige Vertreter Moskaus bei den Vereinten Nationen, Dmitri Poljanski, dass der Westen zwar einige der Warnungen Moskaus ignoriert habe. Allerdings "wurden die meisten roten Linien möglicherweise noch nicht überschritten".
Am Mittwoch erklärte das russische Außenministerium wiederum, dass das Gerede von rote Linien der Vergangenheit angehöre und verwies auf den "hybriden Krieg", den der Westen in der Ukraine gegen Russland führe.
"Die Vereinigten Staaten haben unmissverständlich erklärt, dass sie Russland eine strategische Niederlage zufügen wollen. Es ist unmöglich, diese Tatsache zu ignorieren", so das Ministerium.
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