Netanjahus Amtsantritt: Zeichnet sich in Israel ein neuer Umgang mit dem Ukraine-Krieg ab?
Eine Analyse von Seyed Alireza Mousavi
Die israelischen Wahlergebnisse im November beendeten mit dem Sieg von Benjamin Netanjahu eine Serie von vier Wahlen innerhalb von drei Jahren, bei denen keines der Lager pro und contra Netanjahu einen klaren Sieg erringen konnte. Was nun die Außenpolitik anbetrifft, stellt sich die Frage, ob sich ein Schwenk in Israels Haltung zum Ukraine-Krieg ankündigt.
Der damalige Ministerpräsident Naftali Bennett fungierte im Frühjahr 2022 mehrere Wochen lang als Vermittler zwischen Moskau und Kiew. Seinerzeit nutzte er Israels gute Beziehungen zu beiden Ländern, um Botschaften zwischen Selenskij und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zu übermitteln. Bennett flog sogar nach Moskau und war damit einer der ersten führenden Politiker der Welt, der sich in der frühen Phase des Krieges mit Putin traf. Die Beziehungen zwischen Tel Aviv und Moskau verschlechterten sich allerdings, nachdem Premierminister Jair Lapid Anfang Juli Russland wegen seiner Luftangriffe auf ukrainische Ziele verurteilt hatte.
Israel hat Russlands Militäroperation in der Ukraine bislang zwar öffentlich angeprangert, aber das Land war nicht bereit, Waffen an Kiew zu liefern. Israels neuer Außenminister, Eli Cohen, telefonierte kurz nach Netanjahus Amtsantritt mit seinem russischen Amtskollegen Sergei Lawrow. Cohen hat seinerseits einen Kurswechsel in Sachen Urkaine-Krieg angekündigt: "Was das Thema Russland-Ukraine betrifft, werden wir eines gewiss unternehmen: In der Öffentlichkeit werden wir weniger dazu sagen."
Diese Position steht der des vorherigen Premiers Lapid entgegen, der den Krieg in der Ukraine mehrfach öffentlich verurteilte. Nachdem Kiew sich über das Telefonat zwischen Außenminister Cohen und Lawrow geärgert hatte, versuchte Selenskijs Berater, Michail Podoljak, die Beziehungen zu Israel zu kitten, indem er den neuen israelischen Premier als einen effektiven Vermittler zwischen Moskau und Kiew ins Spiel brachte.
Der ukrainische Botschafter in Israel, Jewgen Kornijtschuk, behauptete Mitte Januar, dass eine Einigung über die Lieferung von Luftverteidigungstechnologie zwischen Israel und der Ukraine bevorstehe. Laut Kornijtschuk seien Verhandlungen im Gange, "im Zusammenhang mit der Übergabe israelischer Technologien, die im Bereich der Frühwarnung für Raketen, Flugkörper und Drohnen entwickelt wurden... Ich denke, dass wir diese Technologie in Kürze erhalten werden." Und er fügte hinzu, "der iranische Verkauf von Drohnen an Russland" sollte dazu beitragen, die Regierungen in Kiew und Tel Aviv einander näherzubringen.
Außenminister Cohen telefonierte zudem am Donnerstag mit seinem ukrainischen Amtskollegen, Dmitri Kuleba, und nahm dessen Einladung zu einem Besuch in Kiew an. Cohen wäre damit der ranghöchste israelische Beamte, der seit Beginn des Krieges Kiew besucht. Unter Hinweis auf den mutmaßlichen Einsatz iranischer Waffen in der Ukraine forderte Cohen Kiew auf, sich dem Kampf gegen die Iranische Revolutionsgarde anzuschließen und Europa dazu zu ermutigen, diesen Teil der iranischen Streitkräfte zu einer Terrororganisation zu erklären. Cohen sagte außerdem zu, dass Israel weiterhin humanitäre Hilfe für die Ukraine leisten werde, insbesondere in den Bereichen Energieinfrastruktur, medizinische Ausrüstung und Wasser.
Netanjahu selbst hat sich seit Ausbruch des Ukraine-Krieges unterschiedlich, teils auch widersprüchlich zu der Debatte um Waffenlieferungen an Kiew geäußert. Dabei ist anzumerken, dass die neue Regierung von Netanjahu aus einer schwachen Position heraus zustande kam. Netanjahu hatte seinen nationalistischen und ultrareligiösen Koalitionspartnern mehrere Zugeständnisse machen müssen, um überhaupt ein Regierungsbündnis schmieden zu können, unter anderem mit Ben-Gvirs umstrittener Partei Otzma Jehudit. Insofern scheinen die innerisraelischen Streitigkeiten und auch die Konflikte in den palästinensischen Gebieten wieder zu eskalieren.
Moskau und Teheran sind sich indes näher als je zuvor und arbeiten auch militärisch-technisch eng zusammen. Israelische Politiker sind daher besorgt über das, was Iran an Russland liefert – und noch mehr über das, was Russland im Gegenzug an Iran liefern könnte. Diese Gefahr ist für Netanjahu viel wichtiger als das Thema Ukraine.
Israel kann es sich insofern nicht leisten, die russische Führung zu sehr zu verärgern, da das Land auf das Wohlwollen Moskaus mit Hinblick auf die schwelenden Konflikte in Syrien angewiesen ist. Zugleich ist eine Verschiebung zugunsten Moskaus in der neuen Regierung nicht zu erwarten. Denn die USA sind weiterhin die engsten Verbündeten Israels in Sicherhseitsfragen. Nach einem jüngsten Bericht der New York Times beliefern die USA die Ukraine mit Hunderttausenden von Artilleriegeschossen aus ihren Lagerbeständen in Israel. Diese Meldung machte wieder einmal deutlich, wie aktiv sich die USA bislang für die Sicherheit Israels in der Region eingesetzt haben. Und im Falle eines Krieges würden sie das Land gewiss nicht ohne Munition oder Ersatzteile dastehen lassen.
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