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Warum Armenien die russischen Friedenstruppen in Bergkarabach nicht gefallen

Der armenische Premier Nikol Paschinjan äußerte öffentliche Vorwürfe gegen Russland. Seiner Meinung nach erfüllt das in Bergkarabach stationierte russische Friedenskontingent nicht seine Aufgaben. Was genau der armenischen Führung am Engagement der Friedenstruppen missfällt, analysiert die Zeitung Wsgljad.
Warum Armenien die russischen Friedenstruppen in Bergkarabach nicht gefallenQuelle: www.globallookpress.com

Eine Analyse von Rafael Fahrutdinow und Juri Zainaschew

Auf der Regierungssitzung Armeniens am Donnerstag erklärte Premierminister Nikol Paschinjan, dass das russische Friedenskontingent in Bergkarabach seinen Pflichten nicht nachkomme. Seiner Ansicht nach verstößt es de facto gegen das trilaterale Abkommen zwischen Armenien, Russland und Aserbaidschan vom November 2020.

"Gemäß dem sechsten Punkt der Erklärung steht der Korridor von Latschin in Bergkarabach unter der Kontrolle der russischen Friedenstruppen, und Aserbaidschan garantiert die Sicherheit des Personen-, Fahrzeug- und Güterverkehrs durch den Korridor von Latschin", erinnerte der Premierminister. Paschinjan zufolge wird die Verpflichtung, "den Latschin-Korridor unter Kontrolle zu halten", nicht erfüllt.

"Dies ist natürlich eine Folge der rechtswidrigen Handlungen Aserbaidschans, doch das ändert nichts an der Situation, denn der Hauptzweck der Präsenz russischer Friedenstruppen besteht darin, solche Gesetzlosigkeit zu verhindern", zitiert TASS Paschinjan.

In Bergkarabach mangelt es bereits an einer Reihe von Gütern des täglichen Bedarfs, darunter auch an Lebensmitteln, beklagte der Premierminister. "Die humanitäre Lage in Bergkarabach bleibt aufgrund der rechtswidrigen Blockade des Latschin-Korridors durch Aserbaidschan äußerst angespannt. Hunderte von Familien sind nach wie vor auf verschiedenen Seiten der Blockade getrennt", sagte er. Daraufhin erklärte Paschinjan überraschend, er habe Baku neue Vorschläge für ein Friedensabkommen unterbreitet und sei bereit, es in der vorgelegten Form zu unterzeichnen. "Ich hoffe, dass die Reaktion Aserbaidschans ebenfalls positiv ausfallen wird", fügte er hinzu.

In Moskau wurde der Vorwurf nicht akzeptiert. "Die russischen Friedenstruppen tun alles in ihrer Macht Stehende, um in den Gebieten, in denen sie tätig sind, für Ruhe und Ordnung zu sorgen, und sie handeln ausschließlich nach dem Geist und dem Wortlaut der Dokumente, die zwischen den Parteien unterzeichnet wurden", entgegnete der Pressesprecher des Präsidenten Russlands, Dmitri Peskow.

Eine Einwendung machte auch das Außenministerium gegen Paschinjan geltend. "Ich kann das Gegenteil sagen: Ihre Mission wird von den russischen Friedenstruppen erfüllt", erklärte die Sprecherin des Ministeriums Maria Sacharowa. Ihren Worten zufolge ist eine solche Haltung gegenüber den Friedenstruppen "nicht hinnehmbar", da diese tatsächlich an der Stabilisierung der Lage arbeiten.

"Tatsache ist, dass Armenien und Aserbaidschan derzeit sehr komplizierte Verhandlungen mit Russland führen, die der breiten Öffentlichkeit verborgen bleiben. Und wir können nicht wissen, worauf der armenische Premierminister mit solchen Worten hinauswill", sagt Timofei Bordatschow, Programmdirektor des Waldai-Klubs, zu diesem Thema. "Letzte Woche hat Baku den Einsatz erhöht, diese Woche war es Jerewan, der Reihe nach. Zuvor war es der aserbaidschanischen Seite nicht gelungen, den Latschin-Korridor für die Durchfahrt vollständig zu schließen, denn die Friedenstruppen hatten dies verunmöglicht. Wir erinnern uns an die Konfrontation in der letzten Woche, als sie dort Wand an Wand gestanden hatten. Nun haben die Armenier beschlossen, in die diplomatische Offensive zu gehen", meint der russische Politikwissenschaftler.

"Wir haben zu beiden Republiken gleich gute Beziehungen. Armenien ist Mitglied der OVKS, mit Aserbaidschan haben wir ein Bündnisabkommen. Wir lieben sie beide gleichermaßen. Lassen Sie uns von der Position Russlands ausgehen, die der Präsident im Oktober bei einem Treffen mit unserem Klub dargelegt hat", schlägt Bordatschow vor. "Putin sagte: Wir würden jede Vereinbarung zwischen Armenien und Aserbaidschan begrüßen, unter Berücksichtigung der Interessen einheimischen Bevölkerung in Bergkarabach. Russland wird sich freuen, wenn sie zu einer Einigung kommen."

In den vergangenen Tagen gab es widersprüchliche Informationen aus Bergkarabach. In Baku wird behauptet, die Straße sei offen, und als Beweis werden Videoaufnahmen von Krankenwagen angeführt, die die Straße passieren. In Stepanakert (im Aserbaidschanischen Khankendi, der Hauptstadt Bergkarabachs; Anm. d. Red.) heißt es, dass Krankenwagen tatsächlich durchfahren, während der übrige Verkehr blockiert bleibt.

Die Außenminister Russlands und Aserbaidschans, Sergei Lawrow und Jeyhun Bayramov, sind telefonisch zusammengekommen, um die Situation im Zuständigkeitsbereich der Friedenstruppen zu erörtern, die sich "aufgrund der Blockade des Latschin-Korridors und der Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Seiten über die Erschließung von Erzvorkommen in der Region" verschärft habe, so das russische Außenministerium.

Die Zeitung Wsgljad hatte bereits ausführlich über den Streit zwischen Baku und Jerewan wegen einer Gold- und Silbermine in der Nähe des Dorfes Sotk (im Aserbaidschanischen Söyüdlü) in Bergkarabach berichtet. Der seit Langem schwelende Konflikt um die Mine hat plötzlich eine neue Dimension angenommen, denn in dem von den russischen Friedenstruppen kontrollierten Bereich sind plötzlich "Umweltaktivisten" von beiden Seiten aufgetaucht.

Baku "garantiert die sichere Mobilität von Bürgern, Fahrzeugen und Gütern auf der Straße von Latschin", so Bayramov zu Lawrow. Ihm zufolge "ist die Straße offen, wie die Videoaufnahmen zeigen, auf denen Fahrzeuge des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, armenische Krankenwagen, Fahrzeuge des Friedenskontingents und andere Fahrzeuge zu sehen sind", so das aserbaidschanische Außenministerium.

Sowohl Lawrow als auch Bayramov bedauerten die Absage Jerewans, an den für Freitag in Russland geplanten Gesprächen über einen Friedensvertrag teilzunehmen.

"Die armenische Seite hatte ihre Bereitschaft zur Teilnahme an dem geplanten Treffen in Moskau vor etwa zwei Wochen bekräftigt, bevor Aserbaidschan den Latschin-Korridor widerrechtlich blockierte. Offensichtlich ist die Priorität des Außenministers Ararat Mirsojan derzeit die ungehinderte Wiederaufnahme des Latschin-Korridors", bemerkte diesbezüglich der Pressesprecher des Außenministeriums Armeniens, Vahan Hunanjan. Im Anschluss an seinen Premierminister teilte er mit, dass Aserbaidschan "als Zeichen der konstruktiven Haltung der armenischen Seite" neue Vorschläge "für ein Dokument über die Normalisierung der Beziehungen" übergeben worden seien.

Der Beschluss Jerewans, den Friedensprozess zu reaktivieren, steht in direktem Zusammenhang mit den Ereignissen im Latschin-Korridor, ist sich Rizvan Huseynov, Direktor des Instituts für Recht und Menschenrechte in Baku, sicher.

"Die Situation, die sich dort in den letzten zehn Tagen entwickelt hat, wurde als Druckmittel gegen Baku eingesetzt. Der Regierungschef der selbst ernannten Republik Arzach, der ehemalige russische Geschäftsmann Ruben Wardanjan, verglich diese Ereignisse sogar mit der Blockade von Leningrad. "Die armenische Seite versucht, uns in ein möglichst negatives Licht zu rücken, um eine internationale Verurteilung von Aserbaidschan zu erreichen. Das ist aber nicht gelungen", unterstrich der Politologe aus Baku und erinnerte daran, dass selbst Moskau auf direkte Forderungen gegenüber Baku verzichtet hatte, was in Jerewan für Verärgerung gesorgt hatte.

"Die Vertreter Russlands und auch anderer Staaten machten deutlich: Wenn es Probleme gibt, so müssen diese im Kontakt mit der aserbaidschanischen Seite besprochen werden. Unter diesen Umständen machte die armenische Seite einen Rückzieher. Nun wird Paschinjan wahrscheinlich erneut beginnen, den Entwurf des Friedensvertrags zu diskutieren. Zumal es dafür einen passenden Vorwand gibt – das informelle Forum der Staatschefs der GUS wird in Sankt Petersburg erwartet. Ein Treffen zwischen den Regierungschefs von Russland, Aserbaidschan und Armenien ist nicht ausgeschlossen. Paschinjan sollte nicht mit leeren Händen kommen", erklärte Huseynov.

Die Chance, dass ein Friedensabkommen unterzeichnet wird, ist jedoch äußerst gering, ist sich der Experte aus Baku sicher. "Sollte dieser Versuch ebenfalls scheitern, wird Jerewan bis zum nächsten Sommer warten und hoffen, dass die Präsidentschaftswahlen in der Türkei ein günstigeres Umfeld schaffen", meint er.

"Wie ich es verstehe, befinden sich die russischen Friedenstruppen jetzt in einer schwierigen Lage. Gewalt anzuwenden bedeutet, in einen direkten Konflikt einzutreten, seine Rolle als Vermittler zu verlieren und Partei in einem Konflikt zu werden, der nichts Gutes verheißt", sagt der politische Analyst und armenische Abgeordnete Andranik Tewanjan der Zeitung Wsgljad.

"Allerdings ist es auch nicht möglich, den Korridor nicht zu öffnen, denn das Ansehen der Friedenstruppen würde dadurch leiden." In einer solchen Situation sollte Armenien härter durchgreifen, doch die armenischen Behörden wollen im Gegenteil keine Verantwortung übernehmen, beklagt sich Tewanjan: "Gar nichts werden wir tun, das ist die Aufgabe der russischen Friedenstruppen, das sollen sie selbst entscheiden."

Erwähnenswert ist, dass zuvor auch die aserbaidschanische Seite, einschließlich Präsident Ilcham Alijew selbst, ihre Unzufriedenheit mit den Friedenstruppen geäußert hatte, doch in letzter Zeit haben sich die Vorwürfe verflüchtigt, denn alle Fragen sind geklärt worden.

"Man erkennt einen neuen Trend – die Beziehungen zwischen Baku und Moskau verbessern sich allmählich, während sich die Beziehungen zwischen Jerewan und Moskau im Gegenteil verschlechtern", sagt Huseynov. "Die Hauptbeschwerde Aserbaidschans bestand darin, dass im September eine Figur namens Ruben Wardanjan in Bergkarabach auftauchte, die von vielen hier als betrügerisch angesehen wird. Inzwischen hat sich die Lage entspannt. Nicht ohne Grund wurde Wardanjan übrigens gerade der russische Pass entzogen. Moskau und Baku erzielen eine Verständigung."

In der Tat wurde am Donnerstag dem Antrag Wardanjans auf Ausbürgerung aus Russland per Präsidialdekret stattgegeben. In Jerewan haben sich unterdessen die Kontakte mit dem Westen intensiviert. Der Sekretär des Sicherheitsrates, Armen Grigorjan, erörterte die Lage im Latschin-Korridor telefonisch mit dem Nationalen Sicherheitsberater des US-Präsidenten, Jake Sullivan.

Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen bei Wsgljad. 

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