"Ein normales Leben wird es nicht mehr geben" – Exklusives Interview mit der Mutter von Alina Lipp
Die gute Nachricht vorweg: Familie Lipp aus Norddeutschland ist wieder vereint und in Sicherheit. Und zwar in Russland. Alina Lipp, eine freie Journalistin, hatte vor etwa anderthalb Jahren damit begonnen, aus dem Donbass zu berichten. Die Schwierigkeiten begannen zwar nicht sofort. Doch die Bloggerin hatte sich buchstäblich auf die falsche Seite der Front begeben. Denn sie schickte ihre Beobachtungen aus den Volksrepubliken, die sich im Jahr 2014 von Kiew losgesagt hatten.
In Deutschland wurde zunächst Alina – ohne Angabe von Gründen – das Konto gekündigt. Dann auch ihrem russischen Vater, der sich allerdings schon in Russland aufhielt. Alina Lipp musste zudem erfahren, dass in Deutschland ein Strafverfahren "wegen Billigung von Straftaten" gegen sie eingeleitet wurde. Schließlich wurde auch Petra Lipp, der Mutter von Alina Lipp, das Bankkonto gesperrt, sogar ohne Vorankündigung. Doch da war ihre Entscheidung, Deutschland zu verlassen, schon gefallen.
Entschluss zum Auswandern
Mutter und Tochter gaben kürzlich RT DE in Moskau Interviews. Petra Lipp spricht darin über ihre Erfahrungen der vergangenen Monate in Deutschland. Nachdem sie in Deutschland ihren Haushalt aufgelöst und alles für ihre Auswanderung vorbereitet hatte, machte sie sich auf nach Russland.
"Dann habe ich mir ein Fährticket gebucht und bin dann von Lübeck-Travemünde nach Liepaja gefahren. Und die erste Erfahrung war dann schon, also das war über Nacht, auf der Fähre konnte man nur mit Karte bezahlen. Also da konnte ich nichts essen."
"Es ist so das Gefühl, dass man etwas verbrochen hat."
Dass sie ihr Heimatland verlassen hat, ist Petra Lipp zwar bewusst, aber sie sagt selbst, dass dies noch "nicht so ganz bei ihr angekommen" sei.
"Ich habe meine Tochter wiedergesehen, das reicht mir erst einmal. Aber dass ich das so realisiert habe, ich komme da jetzt gar nicht mehr nach Deutschland zurück erstmal, das habe ich, glaube ich, noch gar nicht so verstanden ... Weil das ist ja schon mein Land, und ich mag's ja auch normalerweise ... Bloß diese politischen Entwicklungen zum Schluss nicht mehr."
Bedrohung und Einschüchterung
Sie habe allerdings Konsequenzen ziehen müssen. Auch Alina Lipp betont, wie schon in früheren Interviews oder in ihren Artikeln, dass sie sich keiner Schuld bewusst sei und keine Regeln übertreten hätte, sich aber Sorgen um ihre Mutter gemacht habe. Denn obwohl ihre Mutter nichts mit ihrer journalistischen Tätigkeit zu tun gehabt hätte, sei sie doch von Verfolgung bedroht gewesen.
Petra Lipp verdeutlicht das an einem Beispiel. Wenige Wochen vor ihrer Ausreise wurde sie morgens um sieben Uhr von fünf Polizeibeamten geweckt. Sie sagt:
"Die waren alle sehr nett und höflich. Die haben angeblich einen anderen Mieter gesucht in dem Haus, wo ich dann überbrückungsweise gewohnt habe. Da standen morgens um sieben diese fünf Beamten vor meiner Haustür."
"Da habe ich schon gedacht, so etwas möchte ich nicht nochmal erleben!"
Kulturschock und Rückblick nach Deutschland
Über ihre ersten Tage in Russland äußert sich Lipp begeistert. Der Service sei hervorragend, was sie am Beispiel der Ladenöffnungszeiten und der Einrichtung ihres neuen Bankkontos illustriert. Die neue Bankkarte sei am Sonntag persönlich von einem Angestellten vorbeigebracht worden, einen Tag nach Eröffnung des Kontos.
"Und auch diese Mobilität hier, das funktioniert ja alles super mit Taxen und öffentlichen Verkehrsmitteln. Und es ist alles bezahlbar. Bei uns explodieren ja gerade die Spritpreise, und da überlegt man sich jede Fahrt."
Dann kommt Petra Lipp auf die allgemeine Teuerung zu sprechen:
"Überhaupt die Inflation in Deutschland. Es ist ja alles so teuer geworden. Auch ganz normale Lebensmittel. Oder manche gab's dann zeitweise auch nicht. Ich war tatsächlich auch davon betroffen. Das macht keinen Spaß mehr."
Aber laut Lipp sind es nicht allein die deutlich gestiegenen Lebenshaltungskosten, die auf die Stimmung drücken:
"Die Leute werden ängstlicher, unzufriedener. Alle haben irgendwie so das Gefühl, es könnte bald was Schlimmes passieren. Alle reden von der Gas- oder Energiekrise. Wenn jetzt noch Lebensmittellieferketten zusammenbrechen ..."
"Und dann gibt es immer mehr Expertenwarnungen vor einem Blackout in Deutschland. So, wenn da was zusammenkommt, dann weiß ich nicht, was passiert."
Lipp äußert sich auch zu den Corona-Maßnahmen in Deutschland:
"Auch diese Schikanen mit den Masken. FFP2-Masken müssen es sein. Die Schüler jetzt wieder nach den Sommerferien: Ab der 5. Klasse müssen sie wieder Maske tragen im Unterricht und dreimal in der Woche getestet werden."
"Es ist einfach nur noch überleben, irgendwie durchkommen, hoffen, dass es bald vorbei ist."
Unwillkürliche Politisierung
Nachdem nun die Familie wieder in Russland vereint ist, ist Alina Lipp beruhigt, dass keine nahestehende Person mehr von deutschen Behörden ins Visier genommen werden kann. Für sie ist das 'Kapitel Deutschland' sozusagen abgeschlossen. Auch beruflich und privat konnte sie sich in den vergangenen Jahren gut in Russland einleben. Diesen Prozess hat ihre Mutter noch vor sich. Über ihren Abschied von der Heimat hat sich Alinas Mutter in einem zweiten Interview geäußert.
Petra Lipp, die von sich selbst sagt, sie sei unpolitisch, ist ins Zweifeln gekommen und beginnt, auf eigene Faust den aktuellen Entwicklungen nachzugehen:
"Also, ich bin überhaupt nicht politisch eigentlich. So, das war nie mein Ding. Aber so in der letzten Zeit, da finde ich, kommt man gar nicht mehr drum 'rum, sich Gedanken zu machen, selber mal zu recherchieren und alles zu hinterfragen. Weil, wenn man ein Thema für sich bearbeitet hat, dann merkt man schon, das, was in der Tagesschau läuft oder in den heute-Nachrichten, das kann ich so nicht unterschreiben. Also da habe ich ganz andere Informationen."
Für die Falschbehauptungen und Verleumdungen, die von den Medien über ihre Tochter verbreitet werden, hat sie nur Empörung übrig.
"Warum läuft so eine Art – na, ich muss das Wort jetzt benutzen – so eine Art Propaganda in Deutschland? Warum?"
Zugleich reagiert sie mit Verwunderung auf die Kampagne gegen ihre Tochter:
"Wenn man jetzt eine deutsche Journalistin fertigmacht, was hat Deutschland davon? Ich versteh's nicht."
Gespaltenes Deutschland
Petra Lipp führt weiter aus, dass es viele Themen gebe, bei denen die deutsche Gesellschaft gespalten sei und dass sich diese Spaltung auch in den Familien, im Freundes- und Bekanntenkreis, aber auch im Beruf zeige. So habe man "kein Weihnachten zusammen feiern können", weil viel zu unterschiedliche Meinungen aufeinandergeprallt wären.
"Diesen Graben konnten wir nicht kitten. Und das tut dann schon weh."
"Ich kann das alles nicht mehr unterschreiben, und das ist alles nicht mehr meins."
Es gebe immer mehr schikanöse bürokratische Vorschriften, Verordnungen und politische Entscheidungen, deren Sinn und Zweck nicht nachvollziehbar sei. Lipp führt dafür verschiedene Beispiele aus der Landwirtschaft und Fischerei an.
"Was passiert da? Also da wird alles gegen die Wand gefahren, wirtschaftlich gesehen bewusst."
"Die einzige Erklärung ist: Die Regierung arbeitet gegen das eigene Volk."
Zur Frage nach den Medien in Deutschland meint Petra Lipp, sie könne an deren Unabhängigkeit nicht mehr glauben, "weil sie alle das Gleiche berichten".
"Es gibt ja überhaupt keine Diskussion. Es gibt ja nur die eine Meinung. Wo ist die Opposition? Wo ist die andere Meinung dann? Wo ist das Gespräch überhaupt?"
Pessimistische Aussichten, aber auch Hoffnung
Die Perspektiven für Deutschland sieht Lipp düster, obwohl sie hofft, wie sie betont, dass die Entwicklung nicht so negativ verlaufen wird:
"Es wird Unruhen geben."
Etwa 30 Prozent der Gesellschaft würden die aktuellen Verhältnisse kritisch betrachten, und das sei "nicht wenig". Komme es im Herbst neben der Teuerung zu Versorgungsproblemen, also zu Hunger und Kälte, sei ein kritischer Punkt erreicht, und die Leute würden auf die Straße gehen. In diesem Zusammenhang erwähnt Lipp auch den ab Oktober 2022 möglichen Einsatz der Bundeswehr im Inneren. Die Regierung erwarte selbst nach eigenem Bekunden "Bürgerunruhen" für die kommenden Monate.
Nicht nur für einen kritischen Journalismus, sondern in vielen gesellschaftlichen Bereichen müssten neue Strukturen geschaffen werden, so Lipp:
"Darauf hoffe ich sowieso, dass neue Strukturen entstehen, also auf allen Ebenen. Auch Schule, Gesundheitssystem. Da muss was Neues passieren und neue Menschen die Positionen besetzen."
"Wie soll es sonst anders werden?"
Falls es noch mehr Repressionen gegen Journalisten wie ihre Tochter geben sollte, erwartet Lipp den großen Umbruch:
"Ja, gut, irgendwann wird das ganze System zusammenbrechen. Was anderes bleibt ja dann nicht mehr. Also, ich hoffe, wie gesagt, nicht, aber im Moment sieht es für mich nicht so schön aus."
Für ihre Zukunft in Russland wünscht sich Petra Lipp, bald zur Ruhe zu kommen, endlich Russisch zu lernen und die eigenen Erfahrungen für "etwas gutes Neues" nutzen zu können.
Mehr zum Thema - Pro-russische Meinungsäußerung: Saarländischer Rentnerin drohen bis zu drei Jahre Haft
Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.
Am 24. Februar kündigte der russische Präsident Wladimir Putin an, gemeinsam mit den Streitkräften der Donbass-Republiken eine militärische Spezialoperation in der Ukraine zu starten, um die dortige Bevölkerung zu schützen. Die Ziele seien, die Ukraine zu entmilitarisieren und zu entnazifizieren. Die Ukraine spricht von einem Angriffskrieg. Noch am selben Tag rief der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij im ganzen Land den Kriegszustand aus.
Der Westen verurteilte den Angriff, reagierte mit neuen Waffenlieferungen, versprach Hilfe beim Wiederaufbau und verhängte Sanktionen gegen Russland.
Auf beiden Seiten des Konfliktes sind zahlreiche Soldaten und Zivilisten getötet worden. Moskau und Kiew haben sich gegenseitig verschiedener Kriegsverbrechen beschuldigt. Tausende Ukrainer sind mittlerweile aus ihrer Heimat geflohen.