"Ukrainische Spur" im nordkoreanischen Raketenprogramm
Am 8. April hat der ukrainische Verteidigungsminister Aleksei Resnikow bei einem Telefonat mit seinem damaligen südkoreanischen Amtskollegen Suh Wook um Waffenlieferungen an die Ukraine gebeten. Drei Tage später wandte sich der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij in einer Videoansprache mit der gleichen Bitte an die Abgeordneten des südkoreanischen Parlaments. Angefragt wurden unter anderem Panzerfahrzeuge, Luft-, Schiffs- und Panzerabwehrwaffen. Indessen sprechen einige Indizien dafür, dass die Ukraine zuvor einen Beitrag zur Entwicklung des nordkoreanischen Raketenprogramms geleistet hatte.
Am 14. Mai 2017 präsentierte Pjöngjang seine Mittelstreckenrakete vom Typ Hwasong-12 sowie am 4. Juni des gleichen Jahres die Interkontinentalrakete Hwasong-14 der Weltöffentlichkeit. Letztere war Expertenschätzungen zufolge in der Lage, das Festland der USA zu erreichen. Dies sorgte international für Besorgnis sowie Verwunderung über den schnellen Fortschritt des nordkoreanischen Raketenprogramms. "Wie hat es Nordkorea geschafft, in den vergangenen zwei Jahren einen solch erstaunlichen Fortschritt in seinem Langstreckenraketenprogramm zu machen?", fragte Michael Elleman, ein Mitarbeiter der britischen Denkfabrik International Institute for Strategic Studies (IISS) in einer am 14. August 2017 veröffentlichten Analyse.
Die damals etwa ein Jahr zurückliegenden erfolglosen Tests des Vorgängers von Hwasong-12 und Hwasong-14, der Mittelstreckenrakete vom Typ BM-25 Musudan, würden laut Elleman die Vermutung nahelegen, dass bei der Entwicklung der neuen Raketen ausländische Technologien unter Umgehung der über Pjöngjang verhängten Sanktionen genutzt worden seien. Konkret habe Nordkorea das sowjetische Flüssigkeitsraketentriebwerk vom Typ RD-250 oder dessen Nachbau verwendet. Hierfür habe das Land das Triebwerk im Zeitraum 2015 bis 2017 erhalten, so Elleman weiter.
Unter Berufung auf die besagte Analyse der IISS sowie ungenannte Quellen aus US-amerikanischen Geheimdiensten behauptete die Zeitung New York Times ebenfalls am 14. August 2017, dass das Triebwerk der nordkoreanischen Interkontinentalrakete aus der Ukraine stamme. Die Zeitung zitierte Michael Elleman wie folgt:
"Es ist wahrscheinlich, dass diese Triebwerke aus der Ukraine kamen, möglicherweise illegal. Die große Frage ist, wie viele davon die Nordkoreaner haben und ob die Ukrainer ihnen jetzt helfen. Ich bin sehr besorgt."
Das Triebwerk könne aus der in der ukrainischen Stadt Dnjepropetrowsk ansässigen Maschinenfabrik Juschmasch stammen, folgerte die New York Times. Zu Sowjetzeiten produzierte das Werk unter anderem die Interkontinentalraketen vom Typ R-36M mit der NATO-Bezeichnung SS-18 Satan, die als die leistungsstärksten ihrer Art gelten und mit einer Modifikation des Triebwerks RD-250 ausgestattet wurden. Entwickelt wurden die Raketen vom ebenfalls in Dnjepropetrowsk ansässigen Konstruktionsbüro Juschnoje.
Wie aus einem Bericht der mit Überwachung von Sanktionen gegen Nordkorea beauftragten Expertengruppe der Vereinten Nationen vom 11. Juni 2013 hervorgeht, hatte der erste Versuch Pjöngjangs, Know-how zum Raketenbau aus der Ukraine zu beschaffen, bereits im Jahr 2011 stattgefunden. Damals versuchten die nordkoreanischen Handelsvertreter Ryu Song-Chol und Ri Thae-Gil, von einem Mitarbeiter bei Juschnoje Informationen über die Entwicklung von Raketensystemen und Flüssigkeitstriebwerken zu erwerben. Dies führte zu einem diplomatischen Eklat zwischen der damaligen Regierung unter Präsident Janukowitsch und Nordkorea. Ryu und Ri wurden im Juni 2012 zu einer achtjährigen Haftstrafe verurteilt.
Die New York Times kam zum Schluss, dass Nordkorea nach dem Putsch in Kiew im Jahr 2014 einen weiteren Versuch unternahm, ukrainische Raketentechnologien zu erwerben und damit vermutlich Erfolg hatte. Dies sei dadurch begünstigt worden, dass Juschmasch mit Beginn des Konflikts zwischen der Ukraine und Russland in Ermangelung russischer Aufträge in eine extrem schwierige wirtschaftliche Lage geraten sei. Obwohl das Dnjepropetrowsker Werk die Übergabe von Raketentechnologien an Nordkorea dementierte, wurde dies von der New York Times angezweifelt:
"US-amerikanische Ermittler glauben diese Verneinung nicht, obwohl sie keine Belege haben, dass die Regierung des Präsidenten Petr Poroschenko, der jüngst das Weiße Haus besuchte, über die Vorgänge im Komplex wusste oder sie kontrollierte."
Russische Publikationen stellten indessen auch Poroschenkos Nichtwissen um diese Vorgänge in Frage, handelt es sich doch bei Juschmasch und Juschnoje um staatliche Betriebe.
Schließlich räumte die Ukraine im Jahr 2018 gegenüber der Expertengruppe der Vereinten Nationen ein, dass das Triebwerk der nordkoreanischen Rakete zumindest teilweise auf Basis der RD-250 konstruiert worden sei. Dazu hieß es im entsprechenden UN-Bericht:
"Die Ukraine bestätigte dem Ausschuss, dass es sehr wahrscheinlich sei, dass das Triebwerk der Demokratischen Volksrepublik Korea separate Bauteile dieses Triebwerks und die gleichen Treibstoffkomponenten nutzte."
Eine Übergabe von Dokumenten oder die mögliche Mitwirkung ukrainischer Spezialisten am nordkoreanischen Raketenprogramm bestritt Kiew allerdings.
Indessen könnte gerade letzterer Faktor zum Erfolg des nordkoreanischen Raketenprogramms beigetragen haben. Im Artikel der New York Times implizierte Michael Elleman, dass die von Unterbeschäftigung betroffenen Ingenieure bei Juschmasch an der Entwicklung der nordkoreanischen Rakete mitwirken könnten. Die vom russischen Fernsehkanal Swesda befragten Experten gingen einen Schritt weiter und äußerten die Vermutung, wonach Pjöngjang keine fertigen Triebwerke oder deren Fertigungsunterlagen erwarb. Stattdessen habe ein Brain-Drain aus der Ukraine stattgefunden. Ukrainische Ingenieure, die über das entsprechende Fachwissen verfügten und durch den Putsch im Jahr 2014 beziehungsweise den darauffolgenden Wegfall der russisch-ukrainischen Wirtschaftsbeziehungen um ihre Arbeitsplätze gebracht worden seien, seien von Nordkorea angestellt worden.
Eine dem russischen militärisch-industriellen Komplex nahestehende Quelle begründete diese Vermutung Swesda gegenüber mit der Behauptung, dass ein bloßer Nachbau eines derart komplexen Erzeugnisses wie dem eines Raketentriebwerks unmöglich sei und Know-how von Spezialisten aus mehreren Fachbereichen erfordere:
"Darin liegt der größte Irrtum in Bezug auf den Export solcher Technologien. Alle glauben, dass der Verkauf des fertigen Produkts schon die Freigabe der Technologie bedeutet. Dem ist überhaupt nicht so."
"Es gibt gewisse Bauteile, die man nach Wunsch durch Reverse Engineering kopieren kann, aber ein Erzeugnis mit den gleichen Eigenschaften wie das Original komplett nachzubauen, ist ganz sicher nicht möglich."
Der Erfolg des nordkoreanischen Raketenprogramms kann damit laut Swesda unter anderem mit den aus der Ukraine beschafften Fertigungsunterlagen und dem in den Köpfen der ukrainischen Ingenieure importierten Know-how erklärt werden.
Auf die jüngste eingangs erwähnte Forderung Kiews nach Waffenlieferungen aus Südkorea hat Seoul bisher nicht reagiert und sich stattdessen auf eine Bereitstellung humanitärer Hilfe und nicht tödlicher militärischer Güter beschränkt. Vor dem Hintergrund der beschriebenen Argumente erscheint die Annahme berechtigt, dass Südkorea im Falle umfangreicherer Waffenlieferungen nicht nur um die Schädigung der bilateralen Beziehungen zu Russland, sondern auch um das Durchsickern eigener militärischer Technologien an den potenziellen Gegner im Norden fürchten müsste. Die Geschichte des nordkoreanischen Raketenprogramms bezeugt, dass die Ukraine für Nordkorea zu einer Quelle militärischer Technologien werden könnte.
Mehr zum Thema - Kurz nach Bidens Abreise aus Asien: Nordkorea soll Interkontinentalrakete getestet haben
Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.
Am 24. Februar kündigte der russische Präsident Wladimir Putin an, gemeinsam mit den Streitkräften der Donbass-Republiken eine militärische Spezialoperation in der Ukraine zu starten, um die dortige Bevölkerung zu schützen. Die Ziele seien, die Ukraine zu entmilitarisieren und zu entnazifizieren. Die Ukraine spricht von einem Angriffskrieg. Noch am selben Tag rief der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij im ganzen Land den Kriegszustand aus.
Der Westen verurteilte den Angriff, reagierte mit neuen Waffenlieferungen, versprach Hilfe beim Wiederaufbau und verhängte Sanktionen gegen Russland.
Auf beiden Seiten des Konfliktes sind zahlreiche Soldaten und Zivilisten getötet worden. Moskau und Kiew haben sich gegenseitig verschiedener Kriegsverbrechen beschuldigt. Tausende Ukrainer sind mittlerweile aus ihrer Heimat geflohen.