Wie Politik und Agrarkonzerne in Kriegszeiten "Hunger für den Profit" verschleiern
Vor 30 Jahren gründete die Physikerin und Trägerin des alternativen Nobelpreises Dr. Vandana Shiva in Indien die internationale Umweltorganisation Navdanya (auf Deutsch: "Neun Saaten" oder "Neue Gabe") mit dem Ziel, Saatgut- und Nahrungsmittelsouveränität weltweit zu verteidigen und die Kleinbauern zu schützen. Navdanya fördert ein neues Paradigma für die Landwirtschaft und die Ökonomie. In der angestrebten Kultur mit Nahrungsmitteln, die der Gesundheit der Menschen dienen, sollen die jetzt vorherrschende Gier, die Konsumsucht und der Wettkampf eines jeden gegen jeden durch ökologische Verantwortung und ökonomische Gerechtigkeit ersetzt werden.
Navdanyas Forschungsarbeiten der letzten 30 Jahre haben gezeigt, dass Agrarökologie die menschliche Ernährung und Gesundheit verbessert. Mittels ökologischer Landwirtschaft können sich Boden, Wasser und die biologische Vielfalt erholen.
Die Umweltorganisation hat seit ihrer Gründung unzählige Projekte zum Schutz der Biodiversität ins Leben gerufen, – Dr. Vandana Shiva gehörte zum Beispiel auch zu den Mitinitiatoren des Monsanto-Tribunals im Jahr 2016 in Den Haag – und ist rund um den Globus mit Umweltorganisationen und Aktivisten vernetzt. Im Rahmen der aktuellen Kampagne "Unser Brot, unsere Freiheit" hat Navdanya am 24.Juni in einer Presseerklärung zu der aktuellen, angeblich kriegsbedingten Nahrungsmittelkrise Stellung bezogen. Darin wird begründet, wie Politik und Agrarkonzerne zur Steigerung der Profitrate künstlich Hunger erzeugen, welcher dann anderen in die Schuhe geschoben wird.
Navdanya Presseerklärung vom 24.Juni 2022: Hunger säen – Profit ernten
"Die G7 sollten aufhören, Hungersnot systematisch zu fördern und stattdessen Bewegungen für Ernährungssouveränität und Agrarökologie unterstützen.
Seit dem russischen Einmarsch in der Ukraine beherrschen Warnungen vor einer drohenden Nahrungsmittelkrise die Schlagzeilen. Laut dieser Meldungen würde die aktuelle Invasion Druck auf das weltweite Angebot und die Preise für Grundnahrungsmittel ausüben, da Russland und die Ukraine 25 bis 30 Prozent des Welthandels mit Weizen und mehr als 50 Prozent des Handels mit Sonnenblumenöl, -samen und -mehl ausmachten. In den Schlagzeilen und in den Nachrichten heißt es nun, weil die "Kornkammer Europas" in absehbarer Zeit nicht mehr produzieren könnte, ständen wir jetzt vor dem Zusammenbruch der globalen Nahrungsmittelversorgung.
Aber nach Angaben der FAO, der Weltbank und des Internationalen Expertengremiums für nachhaltige Ernährungssysteme (IPES) besteht derzeit gar keine Gefahr einer weltweiten Nahrungsmittelknappheit. Dies ist den weltweit überdurchschnittlich hohen Weizenvorräten und einem günstigen Verhältnis zwischen Bestand und Verbrauch zu verdanken. Nach Angaben des ukrainischen Landwirtschaftsministeriums konnte das Land seine ebenfalls überdurchschnittlich hohen Ernten der Saison 2021/ 2022 noch vor der Invasion einfahren. Warum sind jetzt also so viele Länder von einem erhöhten Risiko der Nahrungsmittelknappheit und schlimmstenfalls sogar von einer Hungersnot bedroht?
Ungeachtet des ausreichenden weltweiten Angebots erreichten die Lebensmittelpreise in der Woche vom 7. März 2022 ihren höchsten Stand in der Geschichte. Hungersnot und Lebensmittelpreise stiegen bereits während der COVID-Pandemie. Aber seit der russischen Invasion hat die Finanzspekulation auf dem Rohstoffmarkt extrem zugenommen. Dabei werden massive Kapitalbeträge von Investmentfirmen bewegt, die nur auf Profit aus sind. Übermäßige Spekulation, höhere Preise für Rohstofftermingeschäfte und eine größere Volatilität auf dem Markt: Das sind die Ursachen der Krise. Damit erzielen Finanzakteure und große Agrarkonzerne höhere Gewinne, wobei in Folge die realen Lebensmittelpreise in der Welt in die Höhe schießen.
Dr. Vandana Shiva, Präsidentin von Navdanya International, stellt dazu fest:
"In der Geschichte wurde jede Krise von den Weizenmonopolen genutzt, um ihre Gewinne und ihre Kontrolle zu erhöhen. Lebensmittel wurden zu einer Ware, zu einem Finanzwert gemacht. Das vom Finanzkasino erzeugte Finanz- und Geldwachstum führt nicht zu einem echten Wachstum der Prozesse, die das Leben unterstützen und erhalten. Stattdessen hat die Deregulierung das globale Finanz- und Lebensmittelsystem destabilisiert. Sie hat Vermögensverwaltungsfonds wie BlackRock und Vanguard hervorgebracht. Indexmanagement-Fonds können Finanzen vermehren, aber keine Nahrungsmittel."
Bei den meisten Diagnosen der gegenwärtigen Nahrungsmittelkrise wird also übersehen, dass das Problem nicht in einem mangelnden Angebot oder einer mangelnden Marktintegration liegt, sondern in der Art und Weise, wie das Nahrungsmittelsystem den Machtinteressen entsprechend strukturiert ist.
Tatsächlich war die Welt schon lange vor dem aktuellen Konflikt mit einer Nahrungsmittel- und Unterernährungskrise konfrontiert. Von der Kolonialzeit, in der die Ausbeutung der Kleinbauern begann, über die Grüne Revolution bis hin zur Verwirklichung des globalisierten Freihandelsregimes, konnten wir die vorsätzliche Zerstörung der Kleinbauern und der Ernährungssouveränität zugunsten der Macht der Konzerne erleben. Es ist daher kein Zufall, dass wir heute Zeugen der dritten großen Nahrungsmittelkrise in den letzten 15 Jahren sind.
Darüber hinaus hat das globalisierte, industrialisierte Agrar- und Ernährungssystem selbst den Präzedenzfall für diese wiederholten Nahrungsmittel- und Hungerkrisen geschaffen, obwohl es ununterbrochen behauptet, dass es für die globale Ernährungssicherheit am besten sei. Von der Agrarindustrie wurden in der Vergangenheit und bis in die Gegenwart Bedingungen geschaffen, die zu einem starren, globalisierten System führten. Dieses Agrarsystem basiert auf industrieller Landwirtschaft, der Monetarisierung und der Vorherrschaft von Konzernen. In Kombination mit der gescheiterten Umgestaltung der Lebensmittelsysteme, der derzeitigen Überspekulation und den Nachwirkungen der Pandemie treiben uns diese Faktoren nun auf eine mögliche Hungersnot zu.
Aber das Schlimmste ist, dass internationale Institutionen, Regierungen und Konzerne die derzeitige Krise – wie jede andere Krise auch – nutzen, um ihr gescheitertes Modell weiter zu festigen und zu verstärken, ungeachtet seiner offensichtlichen Unhaltbarkeit. Nach solch falschen Lösungen und gescheiterten Ansätzen wird in den Schlagzeilen und internationalen Stellungnahmen permanent gerufen. Dazu gehören auch die kollektive Aufforderung, die Produktion um jeden Preis zu steigern, die Einführung eines neuen, noch nicht getesteten GMO-Weizens, mehr synthetische Lebensmittel und eine ausgeweitete Verankerung der Digitalisierung.
In Europa drängen nun einige auf die Freigabe neuer genmanipulierter Pflanzen und neuer Pestizide als Lösung für die Nahrungsmittelkrise.
"Jede Katastrophe wird von der Gentechnik-Lobby als Chance genutzt – und diese Lobby repräsentiert dabei auch gleich das Konsortium, das giftige Agrochemikalien verkauft", kommentiert Dr. Vandana Shiva. "Die europäischen Bürger müssen aufstehen. Sie müssen ihre Freiheit, gentechnikfreie Lebensmittel zu essen, und ihr Recht auf biologische Sicherheit verteidigen. Sie müssen Offenlegen wie die Regierungen lügen, um den Krieg in der Ukraine dazu zu nutzen, den europäischen Bürgern ungetestete und unregulierte GVO aufzuzwingen."
Heute sind wir an einem Wendepunkt angelangt. Die derzeitige Preiskrise und die sich abzeichnende Hungerkrise sind nicht die Symptome eines Krieges, sondern die Symptome eines Systems, das zu weit gegangen ist. Wenn wir in einer Zeit, in der sich mehrere Krisen überlagern, diesen Weg weiter beschreiten, wird dies nur zu immer schlimmeren globalen Krisen führen. Stattdessen müssen wir auf einen internationalen Konsens hören, wonach dringend eine Alternative zur industriellen Landwirtschaft und dem groß angelegten Verteilungsmodell geschaffen werden muss.
Dr. Vandana Shiva beschreibt, wie "Agrarökologie auf der Grundlage der biologischen Vielfalt mehr Lebensmittel erzeugt, wenn man den Nährwert pro Hektar und nicht den Ertrag pro Hektar betrachtet. Das Nettoeinkommen der Landwirte ist höher, wenn sie biologische Vielfalt für die lokale Lebensmittelwirtschaft anbauen, anstatt chemieintensive Monokulturen für globale Lieferketten zu produzieren. Biodiversität, chemiefreie und lokale Lebensmittel kommen den Landwirten, den Bürgern und der Erde zugute".
Und sie stellt uns echte Lösungen für die derzeitige Lebensmittelkrise vor.
Agrarökologie steigert nicht nur das Einkommen der Landwirte, sondern verbessert auch die Ernährung und die Gesundheit. Gleichzeitig regeneriert sie den Boden, das Wasser und die biologische Vielfalt, bremst den Klimawandel ab und erhöht die Widerstandsfähigkeit. Wir brauchen unbedingt radikale Veränderungsstrategien, welche die Bedürfnisse der Menschen anerkennen, ihnen ihre Würde zugestehen, die Natur respektieren, die Menschen über den Profit stellen, die sich der Vereinnahmung durch Konzerne widersetzen und sich auf ein faires und menschenwürdiges Lebensmittelsystem für alle ausrichten.
Wir brauchen lokale Lebensmittelsysteme und Öko-Regionen sowie soziale und integrative Wirtschaftsnetzwerke, die auf ökonomischer Demokratie basieren und entsprechende Bildungsprogramme. Wir brauchen Bauernmärkte, die lokale Biobauern mit der örtlichen Bevölkerung verbinden. Regierungen sowie regionale und internationale Institutionen müssen diese Ansätze unterstützen, um die Lebensmittelsysteme der Konzerne mittels Agrarökologie und Ernährungssouveränität zu überwinden.
Der russisch-ukrainische Konflikt hat einmal mehr gezeigt, wie anfällig die globalisierten Lebensmittelsysteme sind und wie schnell sich Marktschwankungen zu Lasten der Ärmsten auswirken. Das derzeitige globalisierte, industrielle Agrarnahrungsmittelsystem ist ein Nahrungsmittelsystem, das strukturell zum Hunger führt."
Mehr zum Thema - GMO-Verbot in Russland rentiert sich: Putin will Weltmarkt mit "sauberer Nahrung" versorgen
Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.
Am 24. Februar kündigte der russische Präsident Wladimir Putin an, gemeinsam mit den Streitkräften der Donbass-Republiken eine militärische Spezialoperation in der Ukraine zu starten, um die dortige Bevölkerung zu schützen. Die Ziele seien, die Ukraine zu entmilitarisieren und zu entnazifizieren. Die Ukraine spricht von einem Angriffskrieg. Noch am selben Tag rief der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij im ganzen Land den Kriegszustand aus.
Der Westen verurteilte den Angriff, reagierte mit neuen Waffenlieferungen, versprach Hilfe beim Wiederaufbau und verhängte Sanktionen gegen Russland.
Auf beiden Seiten des Konfliktes sind zahlreiche Soldaten und Zivilisten getötet worden. Moskau und Kiew haben sich gegenseitig verschiedener Kriegsverbrechen beschuldigt. Tausende Ukrainer sind mittlerweile aus ihrer Heimat geflohen.