"Familien überall im Land leiden", sagte US-Präsident Joe Biden am Dienstag. "Sie sind frustriert, und ich kann das gut nachvollziehen. Wir haben viel zu tun." In der Tat: Zwar hat sich die hohe Inflation in den USA im April etwas abgeschwächt, aber nur leicht. Auf Monatsbasis stiegen die Preise von März bis April nur um 0,3 Prozent – der geringste Anstieg seit acht Monaten. Doch gegenüber dem Vorjahresmonat stiegen die Verbraucherpreise um 8,3 Prozent, wie das US-Arbeitsministerium am Mittwoch mitteilte. Dies lag nur knapp unter dem Anstieg von 8,5 Prozent im März, dem höchsten seit 1981.
Der US-Dollar und die Kapitalmarktzinsen in den USA stiegen in einer ersten Reaktion an. Das spricht dafür, dass die Finanzmärkte mit weiteren und deutlichen Zinsanhebungen durch die US-Notenbank Fed rechnen. Die Zentralbank stemmt sich bereits mit einer strafferen Geldpolitik gegen die hohe Geldentwertung.
"Es ist zwar erfreulich, dass sich die jährliche Inflation im April abgeschwächt hat, aber die Inflation ist nach wie vor unannehmbar hoch", reagierte US-Präsident Joe Biden. "Die Inflation ist eine Herausforderung für Familien im ganzen Land, und sie zu senken ist meine oberste wirtschaftliche Priorität."
Der Bericht vom Mittwoch enthielt jedoch einige Anzeichen dafür, dass sich die Inflation weiter verfestigen könnte. Unter Ausschluss der volatilen Kategorien Lebensmittel und Energie stiegen die sogenannten Kernpreise von März auf April doppelt so stark wie im Vormonat. Der Preisanstieg wurde durch sprunghaft ansteigende Preise für Flugtickets, Hotelzimmer und Neuwagen angeheizt. Auch die Kosten für Wohnungsmieten zogen weiter an.
Diese Preissprünge "machen deutlich, dass es noch ein weiter Weg ist, bis die Inflation auf ein akzeptables Niveau zurückkehrt", zitiert die Nachrichtenagentur Associated Press Eric Winograd, US-Volkswirt beim Vermögensverwalter AB.
Selbst wenn sich die Inflation abschwächt, wird sie wahrscheinlich bis weit in das Jahr 2023 hinein hoch bleiben, so die Ökonomen. Durch den Krieg in der Ukraine könnten die Energiemärkte noch eine ganze Weile angespannt bleiben. Sehr viele Amerikaner werden durch Preissteigerungen belastet, die die Lohnerhöhungen übertreffen. Besonders betroffen sind Familien mit geringem Einkommen sowie schwarze und hispanische Familien, die die höheren Kosten für Lebensmittel, Benzin und Miete erheblich zu spüren bekommen.
Der Rückgang der Benzinpreise im April hat die Gesamtinflation vorerst gebremst. Die Durchschnittspreise für eine Gallone Benzin (entspricht 3,79 Liter) fielen im April auf bis zu 4,10 Dollar, nachdem sie im März auf 4,32 Dollar gestiegen waren. Seitdem sind die Benzinpreise jedoch auf einen Rekordwert von 4,40 Dollar pro Gallone gestiegen.
Die Lebensmittelpreise erhöhen sich indes weiter, von März auf April um 1 Prozent, im Vergleich zum Vorjahr sogar um fast 11 Prozent – was den stärksten Anstieg im Jahresvergleich seit 1980 markiert.
Mehrere Faktoren könnten die Inflation in den kommenden Monaten beschleunigen. Wenn die Europäische Union beispielsweise beschließt, die Einfuhr von russischem Öl zu unterbinden, könnten die Ölpreise weltweit steigen. Das gilt auch für die Gaspreise in den USA. Gleichzeitig könnten die massiven Corona-Beschränkungen in China die Lieferketten noch stärker belasten.
Im April stiegen die Flugpreise in den USA um rekordverdächtige 18,6 Prozent, der höchste monatliche Anstieg seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1963. Die Hotelpreise erhöhten sich von März bis April um 1,7 Prozent.
Nur für einige Waren verbessert sich die Situation. Aus dem Bericht vom Mittwoch geht hervor, dass die Preise für Haushaltsgeräte und Bekleidung um jeweils 0,8 Prozent gesunken sind, während die Kosten für Gebrauchtwagen um 0,4 Prozent zurückgingen – der dritte Rückgang in Folge. Gebrauchtwagen und andere Güter trieben die Inflation im vergangenen Jahr in die Höhe, als die Amerikaner nach der Einführung von Impfstoffen ihre Ausgaben steigerten.
Der Anstieg der Verbraucherinflation hat viele Amerikaner, insbesondere Menschen mit geringem oder festem Einkommen, gezwungen, ihre Ausgaben sowohl für Autofahrten, Shopping, Friseurbesuche oder auch für Lebensmitteleinkäufe zu reduzieren.
Abgesehen von der finanziellen Belastung für die Haushalte stellt die Inflation für Präsident Joe Biden und die Demokraten im Kongress ein ernsthaftes politisches Problem in der Zeit der Zwischenwahlen dar. Die Republikaner argumentieren, dass Bidens 1,9 Billionen Dollar schweres Finanzhilfepaket vom vergangenen März die Wirtschaft überhitzt hätte. Demnach sollen Konjunkturschecks, erhöhte Arbeitslosenhilfe und Steuergutschriften für Kinder mitverantwortlich an der aktuellen Problematik sein.
Am Dienstag erklärte Biden die Inflation zum "Problem Nr. 1, mit dem Familien heute konfrontiert sind", und kündigte an, es zu seiner "obersten innenpolitischen Priorität" zu machen. Frühere Anzeichen dafür, dass die Inflation in den USA ihren Höhepunkt erreicht haben könnte, waren nicht von Dauer. Schon im August und September 2021 verlangsamte sich der Preisanstieg, was damals darauf hindeutete, dass die höhere Inflation nur vorübergehend sein könnte. Und eben das hatten viele Wirtschaftswissenschaftler – und Beamte der Federal Reserve – vermutet. Doch im Oktober 2021 schossen die Preise erneut in die Höhe, was den Vorsitzenden der Notenbank (Fed), Jerome Powell, dazu veranlasste, die Politik in Richtung höherer Zinsen zu lenken.
Laut den Ökonomen werden die Zahlen vom Mittwoch die Fed auf dem richtigen Weg halten, um die möglicherweise schnellste Serie von Zinserhöhungen seit 33 Jahren durchzuführen. In der vergangenen Woche hatte die Fed ihren kurzfristigen Leitzins um einen halben Punkt angehoben, und damit die stärkste Erhöhung seit zwei Jahrzehnten vorgenommen. Powell signalisierte, dass weitere derartig starke Zinserhöhungen bevorstehen.
Dabei sind die Optionen mehr als beschränkt. Die Löhne hinken hinter der Teuerungsrate her. Das wiederum "erodiert den Lebensstandard der Amerikaner", mahnt Diane Swonk, Chefökonomin der US-Beratungsgesellschaft Grant Thornton. Demnach müsse die Fed die Zinsen auf mindestens 3,5 Prozent anheben, um die Inflation einzuhegen. Zudem müsse die Arbeitslosenquote steigen. Doch das würde insbesondere die bereits durch die Pandemie stark belasteten ärmeren Haushalte treffen. Bereits jetzt klagen Lebensmittelbanken, oder Tafeln im ganzen Land, dass die wirtschaftlichen Bedingungen die Nachfrage nach ihrer Unterstützung in die Höhe treibt – während gleichzeitig ihre Arbeits- und Lieferkosten steigen und die Spenden zurückgehen.
Die Fed versucht, die bekanntermaßen schwierige – und riskante – Aufgabe zu bewältigen, die Wirtschaft so weit abzukühlen, dass die Inflation gebremst wird, ohne eine Rezession auszulösen. Doch selbst Notenbank-Chef Powell hat eingeräumt, dass es schwierig werden wird, die Inflation mit steigenden Zinsen zu bekämpfen und dabei gleichzeitig eine Rezession abzuwenden. Wirtschaftswissenschaftler halten ein solches Ergebnis zwar für möglich, bei einer so hohen Inflation aber für sehr unwahrscheinlich.
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(ap/ rt de)