Atomkraft – Sicherheitsbedenken auch bei neuer Generation von Reaktoren
Die Ankündigung, dass Atomkraft künftig von der EU als grüne Energie eingestuft werden soll, sorgt seit Jahresbeginn für heftige Diskussionen. Nicht selten wird auf das ungelöste Versorgungsproblem oder die mit dem Betrieb der Kraftwerke verbundenen Sicherheitsrisiken verwiesen. Während Befürworter ihre Hoffnungen auf eine neue Generation von Druckwasserreaktoren setzen, verweisen Kritiker darauf, dass auch diese problematisch seien.
Fast elf Jahre nach dem Super-Gau in Fukushima am 11. März 2011 hat der Kraftwerksbetreiber Tokyo Electric Power Company (Tepco) keine Lösung, die nicht auf Kritik stoßen wird, für den Umgang mit den zerstörten Reaktoren. Bis Herbst wird die Kapazität der Tanks erschöpft sein, in denen das zu deren Kühlung genutzte und somit radioaktiv belastete Wasser gelagert werden kann. Die japanische Regierung will das Wasser ab Frühjahr gefiltert und verdünnt ins Meer leiten. Tepco plant, zu diesem Zweck einen rund einen Kilometer langen Tunnel auf dem Meeresboden zu bauen, durch den das Kühlwasser aus dem zerstörten Atomkraftwerk verklappt werden soll.
Derartige Super-GAUS mit Langzeitfolgen spielen in der aktuellen Diskussion jedoch eine untergeordnete Rolle. Fortan soll vielmehr ein neuer, anders als bisher konstruierter Reaktortyp der dritten Generation namens "Europäischer Druckwasserreaktor" (European Pressurized Water Reactor, EPR) zum Einsatz kommen. Gebaut wird dieser Typ in Frankreich und Großbritannien, die ersten Modelle sind im chinesichen Taishan seit 2018 und 2019 im Einsatz. In Europa wurde der erste EPR im Dezember in Finnland so weit fertiggestellt, dass er voraussichtlich ab Ende Januar der Stromproduktion dient.
Entwickelt wurden die neuartigen Modelle hauptsächlich von den französischen Unternehmen Framatome und Électricité de France sowie dem deutschen Unternehmen Siemens. Vor allem Frankreich setzt bei einem Großteil seiner Stromerzeugung (rund 70 Prozent) auf Atomkraft. Während die bestehenden Reaktoren teils sanierungsbedürftig sind und der Stromerzeuger Électricité de France (EDF) verschuldet ist, winken mit der Aufnahme von Atomkraft in die sogenannte "Taxonomie" der EU Fördergelder. Finanzanleger sollen so motiviert werden, in klimafreundliche Energiequellen zu investieren. Damit will die EU bis zum Jahr 2050 das Ziel der Klimaneutralität erreichen.
Nach dem Vorschlag der EU-Kommission sollen Investitionen in neue Atomkraftwerke als klimafreundlich eingestuft werden können. Darauf setzt vor allem Frankreich. In Deutschland werden dagegen eher Gaskraftwerke als klimafreundliche Übergangsvariante angesehen. Diese "Taxonomie" genannte Einstufung wirtschaftlicher Aktivitäten soll mehr Geld in nachhaltige Technologien und Unternehmen lenken und damit wesentlich zum Erreichen der Klimaneutralität Europas beitragen.
Kritiker verweisen jedoch auf Störfälle in einem neuen EPR-Kraftwerk in Taishan, die mit einem Konstruktionsfehler des Druckbehälters in Verbindung gebracht werden, wie es beim Redaktionsnetzwerk Deutschland heißt. So habe es laut Berichten der CNN im Juni in dem erst kurz zuvor in Betrieb genommenen Kraftwerk Taishan ein Leck gegeben. Das Kraftwerk wird von einem chinesisch-französischen Joint Venture betrieben, an dem die China General Nuclear Power Corporation (CGN) 70 Prozent und Framatome 30 Prozent hält. Nachdem der französische Minderheitseigentümer Framatome im Juni vor einer "unmittelbaren radiologischen Bedrohung" gewarnt hatte, relativierte das chinesische Umweltministerium, es sei "erhöhte Strahlung im Primärkreislauf des Reaktors" festgestellt worden; dies sei jedoch etwas "völlig anderes als ein Strahlungsleck". Nach Angaben der Chinesischen Behörde für nukleare Sicherheit sei die Berichterstattung von CNN falsch. Die erhöhte Strahlung sei durch einige wenige Brennstäbe mit beschädigten Hüllen verursacht worden, was während des Betriebs häufig vorkomme und auch in diesem Fall nicht zu Anomalien bei der Strahlung in der Umgebung des Kernkraftwerks geführt habe.
Im November schrieb das französische Strahlenforschungsinstitut (CRIIRAD, zu Deutsch: Französische Kommission für unabhängige Forschung und Information über Radioaktivität) unter Verweis auf interne Informationen, dass die Beschädigungen an den Brennelementen auf "abnormale Vibrationen" zurückzuführen seien. Diese stünden "mit einem Konstruktionsfehler des EPR-Druckbehälters in Verbindung". Die französische EDF verwies dazu auf laufende Untersuchungen.
Ende Juli entschieden chinesische Behörden, den Reaktor in Taishan zu Wartungszwecken abzuschalten, obwohl der Schaden am Brennstoff demnach noch innerhalb des zulässigen Bereichs lag und der Reaktor sicher hätte weiterbetrieben werden können. Für den Block 3 des Kraftwerks EPR Flamanville im Nordwesten Frankreichs kündigte die französische Atomaufsicht an, dass dieser nicht wie geplant 2023 ans Netz gehen könne, wenn der Gasaustritt in Taishan aus einem Konstruktionsfehler des Reaktordruckbehälters herrührt. Die Kosten für das Kraftwerk sind bereits von 3,1 auf 19 Milliarden Euro gestiegen.
Die geplante Einstufung der Atomkraft als nachhaltige Energiequelle durch die EU-Kommission ist nach Ansicht von Bundesumweltministerin Steffi Lemke kaum mehr abzuwenden. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen habe sich in der Frage bereits im Herbst festgelegt.
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