von Rainer Rupp
Als Frankreich jüngst auf hinterhältig Art und Weise – vor allem von Washington, aber auch von London – bei dem 50 Milliarden Euro-Jahrhundertgeschäft mit Australien über die Lieferung von 12 dieselgetriebenen U-Booten wortwörtlich über Nacht ausgebootet worden war, kochte in Paris die Wut über, denn die Schmach war groß. Selbst während des kurze Zeit später stattfindenden G7-Gipfeltreffens in Schottland bemühte sich der französische Staatspräsident Emmanuel Macron nicht, seinen Ärger diplomatisch zu verbergen. Zu tief saß der Schock, der Paris vollkommen unvorbereitet getroffen hatte.
Während Australien als belanglose Drittliga-Nation für Paris nicht satisfaktionsfähig ist, hätten die USA und Großbritannien allerdings wissen müssen, dass Frankreich die von der anglo-amerikanischen Achse aufgemachte Rechnung zu gegebener Zeit begleichen würde. Und das kam auf eine völlig unerwartete Weise zustande, indem Präsident Macron die Achse genau dort traf, wo es am meisten schmerzt: in den Vereinigten Arabischen Emiraten und Saudi-Arabien.
Bei seinem Besuch in den Vereinigten Arabischen Emiraten Anfang dieses Monats hat Macron zunächst einen Vertrag über den Verkauf von 80 Rafale-Kampfflugzeugen des französischen Luft- und Raumfahrtherstellers Dassault Aviation an den Golfstaat unterzeichnet. Der Rüstungsdeal im Wert von über 17 Milliarden Euro umfasst neben den Rafale-Kampfflugzeugen auch noch 12 H225-Kampf-Hubschrauber von Airbus. Der Deal werde 7.000 direkte Arbeitsplätze in Frankreich schaffen und die Produktion bei Dassault Aviation bis Ende 2031 sichern, erläuterte ein französischer Beamter gegenüber Journalisten.
"Dies ist ein historischer Vertrag mit den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), eine strategische Partnerschaft, die stärker ist als je zuvor", schrieb die französische Verteidigungsministerin Florence Parly auf Twitter und fügte hinzu, sie sei "stolz darauf, französische industrielle Exzellenz an der Weltspitze zu sehen". Weitere Verträge über die Zusammenarbeit beider Länder in Weltraumtechnologie wurden ebenfalls unterschrieben.
Frankreichs militärische Beziehungen zu den VAE sind nicht ganz neu, denn Paris hat eine permanente Militärbasis in Abu Dhabi. Und bereits vor 13 Jahren hatte der damalige französische Präsident Sarkozy versucht, eine neue Serie von Rafale-Kampfflugzeugen zu verkaufen, was jedoch seinerzeit von den US-Amerikanern erfolgreich hintertrieben wurde.
Aber ähnlich wie beim AUKUS-U-Boot Deal mit Australien hat auch dieser französische Deal mit den VAE über das reine Rüstungsgeschäft hinaus eine geostrategische Dimension. Denn Macron hat schlicht die Ungeduld der emiratischen Scheiche über die verzögerungstaktischen Spielchen in Washington, D.C. bezüglich der Liefergenehmigung für den angeblich "super" überlegenen, aber auf jeden Fall superteuren F-35 US-Kampfjet ausgenutzt, um die Entscheidung zugunsten des französischen Flugzeugs zu kippen.
Ähnlich wie zuvor in der Türkei, versuchte man in Washington auch in den VAE die Lieferung des hochmodernen, aber auch sehr anfälligen "fliegenden Computers" F-35 an politische Bedingungen zu knüpfen. So haben die Amerikaner – allerdings erfolglos – versucht, durch die Stornierung einiger von Ankara bereits bestellter F-35 Jets die Türkei noch davon abzuhalten, das bewährte S-400-Luftverteidigungssystem von Russland zu kaufen.
Im Fall der VAE hat die Biden-Administration die Lieferfreigabe für 50 Kampfjets F-35 im Wert von 23 Milliarden Dollar an etliche politische Vorbedingungen geknüpft. Im April sagte ein Sprecher des US-Außenministeriums:
"Wir können bestätigen, dass die Regierung beabsichtigt, mit diesen vorgeschlagenen Verteidigungsverkäufen an die Vereinigten Arabischen Emirate fortzufahren, auch wenn wir weiterhin Details überprüfen und uns mit emiratischen Beamten beraten, um sicherzustellen, dass wir ein gegenseitiges Verständnis in Bezug auf die Verpflichtungen der Emirate vor, während und nach der Lieferung entwickelt haben."
Auf die genaue Art dieser von Washington gestellten Vorbedingungen ging der Sprecher nicht näher ein. Aber Mitte November dieses Jahres lüftete der Chef des US-VAE Business Council, Danny Sebright, gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters ein wenig den Schleier, als er sagte:
"Washington drängt Abu Dhabi weiterhin zu spezifischen Verpflichtungen darüber, wie und wo das (F-35) System nach der Lieferung betrieben wird, was von einigen Leuten in den Vereinigten Arabischen Emiraten als Verletzung ihrer nationalen Souveränität angesehen werden könnte". Weiter führte er aus:
"Die chinesische Beteiligung an der nächsten Generation von Kommunikations- und Datennetzen der VAE (gemeint ist vor allem Huawei mit G5), Chinas Präsenz in den Marinehäfen der VAE und Chinas Angebot, bestimmte sensible Militärtechnologien an die Vereinigten Arabischen Emirate zu liefern, sind ebenfalls wichtige Knackpunkte, die den Abschluss des F-35-Abkommens mit den USA erschweren."
Mit anderen Worten, als Lieferbedingung für die F-35 hat die Biden-Administration von den Vereinigten Arabischen Emirate gefordert, die in ihrem Land bereits dominierende Huawei 5G-Technologie wieder abzubauen und die guten, robusten Beziehungen zu China herunterzufahren. Die anderen US-Bedingungen schreiben vor, wo und unter welchen Umständen die VAE die F-35 werden einsetzen dürfen oder nicht.
Einfach ausgedrückt erwartet Washington, dass die Vereinigten Arabischen Emirate ein Vermögen zahlen, um die F-35 zu kaufen, aber ihre Verwendung darf erstens nur unter US-Kontrolle stattfinden und zweitens ist die gelieferte F-35 Version nicht einmal die fortschrittlichste, wie sie beispielsweise Israel bereits bekommen hat.
Wenn sich die Führung der VAE gedemütigt fühlte, so hat sie das nicht offen gezeigt. Aber der Rafale-Deal der VAE mit Frankreich kann durchaus mit dem Deal Türkei - Russland für die S-400-Raketen verglichen werden. Auch in diesem Fall hatten die USA für Ankara inakzeptable Bedingungen gestellt. Das neue Unabhängigkeitsdenken der VAE von den USA drückt sich aber nicht nur in der Suche nach neuen Lieferanten für den Kauf fortschrittlicher Waffen aus, wie u.a. von China und Russland, sondern auch in der Regionalpolitik in Form eines Richtungswechsels hin zu Iran.
US-Außenminister Antony Blinken steht etwas belämmert am Rand dieser Entwicklungen. Zwar hatte Blinken kurz nach dem VAE-Deal mit Frankreich den dortigen Kronprinzen Scheich Muhammad bin Zayid Al Nahyan angerufen, aber dem nichtssagenden Wortlaut der Presseveröffentlichung des US-State Departments nach zu urteilen, gab es bei dem Gespräch außer diplomatischen Floskeln nichts von Substanz.
Innerhalb von nur zwei Wochen nach Blinkens diplomatischer Initiative zur Gründung einer exklusiven westasiatischen Staatengruppe, einer sogenannten Quad 2, welcher nach den Vorstellungen in Washington Israel, die VAE und Indien angehören sollten, hat sich die politische Führung der VAE in Abu Dhabi in die ziemlich entgegengesetzte politische Richtung bewegt, nämlich mit dem Ziel einer Normalisierung der Beziehungen zu Syrien, Iran und zur Türkei. Alle drei genannte Länder haben bekanntlich zu den USA und Israel gespannte bis sehr gespannte Beziehungen.
Allerdings haben die Regierenden in Syrien, Iran, der Türkei, Iran, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Saudi-Arabien noch etwas anders gemeinsam – alle fünf Länder wurden von US-Präsident Bidens Gästeliste mit 110 geladenen Staatoberhäuptern zu seinem "Gipfel der Demokratie" am 9. und 10. Dezember ausgeschlossen.
Bidens Brüskierung hat sicherlich mit dazu beigetragen, dass der Nationale Sicherheitsberater der Vereinigten Arabischen Emirate Scheich Tahnoun bin Zayid Al Nahyan, der zugleich auch der Bruder des Kronprinzen ist, nur drei Tage vor Bidens Democracy-Gipfel auf Einladung des Sekretärs des Obersten Nationalen Sicherheitsrates Irans, Ali Schamchani, nach Teheran reist. Laut Tehran Times wollen beide Seiten ihre Beziehungen verbessern und sich über die jüngsten Entwicklungen in der Region austauschen.
Von Abu Dhabi aus reiste Macron sodann nach Saudi-Arabien zu einem Treffen mit dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman, von dem er überschwänglich empfangen wurde. Mit dem Prinzen bin Salman sprach er auch über eine gemeinsame Initiative zur Lösung der politischen Krise im Libanon.
Bei seinem Amtsantritt im Weißen Haus zum Jahresbeginn hatte Biden noch Saudi-Arabien wegen der Menschenrechtsverletzungen als "Paria"-Staat verurteilt und geschworen, dass er mit dem Kronprinzen bin Salman niemals verhandeln werde. Aber diesbezüglich hat Washington in letzter Zeit begonnen, einen Rückzieher zu machen, und die zwingende Notwendigkeit erkannt, mit Riad bei vielen seiner politischen Ziele zusammenzuarbeiten, insbesondere hinsichtlich der Energiemärkte. Eine Delegation des Weißen Hauses reiste vorletzte Woche am Vorabend des Opec+-Treffens nach Riad. Die Amerikaner baten – allerdings vergeblich – um eine signifikante Steigerung der Ölproduktion des Verbundes, um so den Anstieg der Energiepreise in den USA im Bereich zweistelliger Prozentpunkte zu brechen, der dort wesentlich die Inflation antreibt.
Während Macron die Position Frankreichs im Persischen Golf festigt, signalisiert er damit zugleich auch, dass auch Frankreich – neben Russland und China – als Alternative zu den USA in Westasien dienen kann. Zugleich nehmen die Gespräche zwischen den Golfstaaten und mit anderen nicht-westlichen Staaten zu, um ihre Abhängigkeit von Washington zu verringern. Vor diesem Hintergrund gerät Biden zunehmend unter Druck, seinen Stolz abzulegen und auch mit dem saudischen Kronprinzen zu sprechen, der de facto dort der Herrscher ist. Das könnte der ultimative Preis sein, den Washington am Ende für seinen AUKUS-Verrat an Frankreich zahlen muss.
Genau wie der französische Waffendeal mit den VAE weitreichende geostrategische Folgen hat, so trifft das auch auf den AUKUS-U-Boot-Deal zwischen den USA und Australien zu, was in einem späteren Beitrag analysiert wird.
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