Mindestens 27 Tote nach Kentern eines Bootes mit Migranten im Ärmelkanal
Jüngsten Angaben zufolge sind nach dem Kentern eines Bootes mit Migranten auf dem Weg nach Großbritannien 27 Menschen im Ärmelkanal ums Leben gekommen. Eine Sprecherin des französischen Innenministeriums verwies am Donnerstagmorgen darauf, dass dies erst eine vorläufige Bilanz sei. Am Abend hatte Innenminister Gérald Darmanin noch eine Zahl von 31 Toten genannt. Wie viele Menschen insgesamt mit dem havarierten Boot auf dem Ärmelkanal unterwegs waren, lasse sich abschließend noch nichts sagen, so die Sprecherin.
Unter den Opfern befinden sich fünf Frauen und ein kleines Mädchen, wie Frankreichs Innenminister Gérald am Mittwochabend in Calais weiter mitteilte. Zwei weitere Menschen, die sich auf dem Boot befanden, konnten gerettet werden, schweben aber in Lebensgefahr. Vier Schleuser, die möglicherweise an der gescheiterten Überfahrt beteiligt waren, seien festgenommen worden, erklärte Darmanin weiter. Er ergänzte:
"Das ist das größte Drama, was wir bisher erlebt haben."
Auch Premierminister Jean Castex sprach von einer Tragödie, seine Gedanken seien bei den zahlreichen Opfern.
Präsident Emmanuel Macron rief unterdessen zu einer Krisensitzung auf europäischem Niveau auf. Frankreich werde nicht zulassen, dass der Ärmelkanal in einen Friedhof verwandelt werde und Schleuser weiter Menschenleben in Gefahr brächten. Die Mittel der EU-Grenzschutzagentur Frontex an den Außengrenzen der EU müssten unverzüglich erhöht werden. Gemeinsam mit Großbritannien, Belgien, den Niederlanden und Deutschland müsse verstärkt gegen kriminelle Schleusernetzwerke vorgegangen werden, verlangte Macron. Seit Jahresbeginn seien 1.552 Schleuser an der französischen Küste gefasst worden.
Im laufenden Jahr haben bisher mehr als 25.700 Menschen illegal den Ärmelkanal überquert. Das sind fast dreimal so viele wie im gesamten Jahr 2020. Die britische Regierung wirft Frankreich vor, nicht genug gegen illegale Überfahrten zu unternehmen, Paris weist das zurück.
Nach Angaben der französischen Behörden gab es seit Jahresbeginn mehr als 31.500 Versuche von Migranten, über den Ärmelkanal von Frankreich nach Großbritannien zu kommen. Etwa 7.800 Menschen wurden aus Seenot gerettet. Insgesamt sind in diesem Jahr bislang mindestens 34 Menschen ums Leben gekommen oder gelten als vermisst.
Der britische Premierminister Boris Johnson sagte am Mittwoch, er sei "schockiert, entsetzt und zutiefst betrübt" nach dem Tod der Migranten, berichtete die britische Nachrichtenagentur PA. Als Reaktion berief er das nationale Sicherheitskabinett ein.
Wie die Maritime Präfektur mitteilte, setzte ein Fischerboot den Notruf ab, dass sich Migranten in Seenot im Ärmelkanal befänden. Mit drei Booten und Hubschraubern aus Frankreich und Großbritannien bemühten sich Helfer um eine Bergung, die Suche wurde dann am Abend abgebrochen. Sämtliche Opfer wurden nach Calais gebracht. Die Zeitung La Voix du Nord berichtete von einer bleiernen Stille in dem von Sicherheitskräften abgesperrten Hafen, als die Toten in der Dunkelheit an Land gebracht wurden.
Erst im Juli hatten London und Paris ein neues Kooperationsabkommen vereinbart, um die wachsende Zahl der Migranten, die mit kleinen Booten über den Ärmelkanal nach England gelangen wollen, in den Griff zu bekommen. London sagte dabei 62,7 Millionen Euro zu, um die französischen Behörden zu unterstützen.
Vor allem die britische Innenministerin Priti Patel steht wegen der wachsenden Zahl von Migranten unter Druck. Konservative Kreise und Medien sprechen von einer "Krise". Allerdings ist die Zahl der Migranten, die in Großbritannien Asyl beantragen, deutlich niedriger als in anderen europäischen Ländern. Patel hatte angekündigt, die Überfahrten zu beenden.
Nach dem Brexit führte die Regierung scharfe Zuwanderungsregeln ein. Noch aber hat Patel kein Mittel gefunden, die Migration über den Ärmelkanal zu stoppen. Zuletzt kündigte sie erneut eine Verschärfung der Asylregeln an.
Die konservative Abgeordnete Natalie Elphicke, die ihren Wahlkreis in der Hafenstadt Dover hat, sprach von einer Tragödie. Der Fall zeige aber auch, dass die Schlauchboote gestoppt werden müssten, noch bevor sie in Frankreich zu Wasser gelassen werden, sagte Elphicke. Das Risiko, dass Menschen beim Versuch, nach Großbritannien überzusetzen, sterben, steige angesichts kalten Wetters und rauer See.
Neben dem erwähnten Einsatz um das gekenterte Boot hätten sich nach Angaben der maritimen Präfektur Helfer im Laufe des Mittwochs um zahlreiche weitere Migranten gekümmert, die mit kleinen Booten ebenfalls in Seenot geraten waren. Mehr als 100 Gerettete seien in die französischen Häfen Boulogne-sur-Mer, Dunkerque und Calais gebracht worden.
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(dpa/rt de)
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