Um in einer krisenreichen Zukunft überleben zu können, muss Europa seine jetzigen Beziehungen zu Russland grundlegend überdenken. Eine Allianz mit Russland böte dabei eine Chance, und die Deutschen sind die Ersten auf der westlichen Seite des Kontinents, die das verstehen. Das sagte der russische Finanzanalyst Alexander Losew im russischen Radio.
Hauptberuflich ist Losew Generaldirektor eines Unternehmens für Investitionsverwaltung und gilt als ausgewiesener Experte für Börsen und Finanzmärkte. Als langjähriges Mitglied des Präsidiums des Rates für Verteidigung und Außenpolitik gehört er zum engsten Beraterkreis der russischen Regierung.
Im Gespräch mit Westi FM erläuterte Losew die aktuelle Situation auf dem europäischen Finanz- und Energiemarkt im Hinblick auf politische Perspektiven. Er wies auf den Abfluss der Investitionen aus europäischen Aktien und Aktiva hin. "Die Investoren fliehen in die USA, denn Europa wertet man als perspektivlos", sagte er.
"Zunehmender Energiemangel, Steigerung der Inflation, soziale Unzufriedenheit – das kann zur Situation des idealen Storms führen, wenn der Absturz der Wirtschaft unaufhaltsam wird", sagte der Experte.
Europa sei für Russland viele Jahre Leuchtturm gewesen, danach allerdings erst zum Antagonist und dann zum Feind geworden, sagte er aus russischer Perspektive. Diese Politik sei aber vor allem für Europa zunehmend nicht mehr tragbar, insbesondere, wenn die Europäer wie zuvor in der vasallenhaften Abhängigkeit von den USA blieben und die Zusammenarbeit mit Russland weiterhin mit Sanktionen blockierten. Zu dieser Politik gehöre die Verweigerung der engeren Energiepartnerschaft mit Russland und die Fortsetzung der grünen Agenda. Dies sei allerdings das schlechteste Szenario.
"Die Deutschen sind die Ersten, die das in Europa verstehen. Es scheint, dass die SPD mit dem Kanzlerkandidaten Olaf Scholz die Wahl gewinnen wird. Als Finanzminister und Vizekanzler ist er ein sehr pragmatischer Politiker."
Die Grünen könnten zwar Koalitionspartner der SPD werden, weil diese eine linkszentristische Partei sei, aber sie würden nichts bekommen. "Sie werden auf die Finger kriegen. Sie werden ihre Farbe ändern müssen", prophezeite der Experte.
Warum die grüne Politik perspektivlos ist, erläuterte er gleich im Studio. "Die Grünen fordern, die Schulden und das Emissionsvolumen zu erhöhen und überall Windräder und Fotovoltaik-Paneele zu bauen." Er wies auf den steigenden Energiebedarf in Europa hin. Jetzt betrage dieser 530 Milliarden Kubikmeter jährlich, wobei die Prognose für das nächste Jahrzehnt von einer Steigerung auf 600 Milliarden ausgehe. "80 Prozent davon muss Europa importieren. Die Blockadehaltung der osteuropäischen Staaten, die in der deutschen Politik vor allem von den Grünen mitgetragen wird, passt da nicht."
Die Staaten der Visegrád-Gruppe, das Baltikum, Rumänien und die Ukraine nannte er in Anlehnung an einen bekannten Horrorfilm "Fremdlingslarven", die in ihrer selbst gewählten Rolle als Cordon sanitaire zwischen Russland und Westeuropa vielmehr eine Pro-US- und antieuropäische Agenda verfolgen. "Wenn Europa am eigenen Überleben interessiert ist, muss es diese Staaten in die Schranken weisen."
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Scholz' Politik lobte der Experte. Als harter Finanzminister sei er gegen eine Erhöhung des Staatsdefizits. "Er tritt für die Regeln ein, auf denen die EU gegründet wurde", betonte Losew und wies auf den Stabilitäts- und Wachstumspakt hin, dem zufolge die Staatsschulden 60 Prozent und das Staatsdefizit drei Prozent des BIP nicht übersteigen dürfen. "Für Europa, das dem Weg der USA gefolgt ist, Geld zu drucken, wäre der Sieg von Olaf Scholz eine kalte Dusche"
"Also die Europäer erkennen es selbst an, dass Russland Ressourcen hat, die helfen, die Folgen einer möglichen Krise abzumildern. | Deswegen hängen der Erfolg und das Überleben Europas davon ab, auf wessen Seite Russland ist."
Wegen der konservativen russischen Makrofinanzpolitik und Widerstandsfähigkeit gegen Sanktionen nannte Losew Russland "Zitadelle der Normalität und Sicherheit in einer Welt der Blasen, die zu platzen und eine Krise in Gang zu setzen drohen". Der Experte mahnte zur Abkehr von den alten Lösungsmustern in einer sich schnell verändernden Welt:
"Wir prognostizieren ernsthafte Änderungen in Europa – Wahlen in Deutschland, Wahlen in Frankreich. Europa wird sich ändern. Wir gehen in das dritte Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts. Dies ist eine Ära der UNOrdnung, in der alles geändert wird. Das Gefährlichste ist jetzt, wenn Staaten und ihre Zentralbanken ihre Politik aus der Vergangenheit schöpfen und alte Muster extrapolieren."
Im nachfolgenden Gespräch mit RT DE erläuterte der Experte seine Position. Er betonte, dass er die Situation aus rein finanzanalytischer Perspektive betrachte. Er sagte, dass er viele Jahre für die Raiffeisenbank gearbeitet hat und sehr genau weiß, wie das deutsche und das europäische Finanzsystem funktionieren.
Ihm zufolge bleibt Deutschland nach wie vor die wirtschaftliche Lokomotive in der EU, dessen Banken nach Regeln arbeiten. "Die Bundesbank ist eine Bastion des Konservatismus und der Regeln." Die Politik möge sich zwar immer wieder einmischen, aber im Endeffekt seien es nicht die Parteien, sondern die Wirtschaft, die in der großen Politik am längeren Hebel sitzt. Und diese weiß ihre Interessen geschickt durchzusetzen. "Die deutsche Wirtschaft ist sehr gut im Lobbyismus."
Da Russland auf sehr lange Dauer über Ressourcen verfüge, werde es für Deutschland und Europa allein aus pragmatischen Gründen unvermeidlich sein, näher an Russland heranzurücken. "Es wird auch ein Nord Stream 3 und 4 geben. Der grüne Übergang baut auf antiwissenschaftlicher Grundlage auf, und diese Spielchen werden bald vorbei sein, auch mit der Ukraine – alle werden ihrer überdrüssig werden", sagte der Finanzanalyst und studierte Raketeningenieur.
Losew verwies auf seinen Artikel "Die Autarkie der großen Räume: Zur Rolle des Regionalismus nach der Corona-Krise" für den Thinktank "Waldai-Klub" hin. In diesem Text, der im August letzten Jahres geschrieben wurde, begründete er die globale Verschiebung zu autarken Makroregionen (Großräumen). Zu diesen zählte der russische Regierungsberater auch die EU, schränkte aber ein, dass deren Erfolg von der Zusammenarbeit mit Russland abhängig sei:
"Der Erfolg der Makroregionen der östlichen Hemisphäre wird davon abhängen, mit wem Russland und Indien ein Bündnis eingehen. Es sind diese beiden Länder mit ihren natürlichen und menschlichen Ressourcen, ihrem wissenschaftlichen und technologischen Potenzial sowie ihren Nord-Süd- und West-Ost-Verkehrskorridoren, die jede der potenziellen Makroregionen so stärken können, dass sie nicht nur ihre Überlebensfähigkeit, sondern auch ihre Führungsrolle für die kommenden Jahrzehnte sichern."
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