Die Nachricht über die Verhaftung einer Gruppe aus 33 russischen Staatsbürgern in einem Sanatorium bei Minsk schlug am 29. Juli letztes Jahres wie eine Bombe ein. Damals herrschte in Weißrussland kurz vor den Präsidentschaftswahlen höchste Nervosität, und die Behörden warfen den Russen Destabilisierungsversuche vor. Angeblich gehörten sie dem berüchtigten Militärdienstleister "Wagner" an und planten aufseiten der Opposition Sabotageakte im Land, so der weißrussische KGB.
Prompt warf man in Minsk Russland Wahleinmischung vor. "So was macht man nicht unter Freunden", sagte Präsident Lukaschenko. Das weißrussische Staatsfernsehen ergötzte sich an den Bildern der Verhaftung von mutmaßlichen "Terroristen" – die Männer wurden nachts aus dem Schlaf gerissen und von den maskierten Sicherheitskräften mit dem Gesicht zu Boden gedrückt.
Schnell wurde bekannt, dass die Ukraine großes Interesse an ihrer Auslieferung hat, denn viele der "Wagnerowzi" seien an den Kämpfen gegen die ukrainische Armee im Donbass beteiligt gewesen. Wie sich ebenfalls schnell herausstellte, besaßen sehr viele von ihnen sogar die ukrainische Staatsbürgerschaft – und sie kämpften in der Tat gegen die nationalistische Regierung in Kiew, die nach dem Staatsstreich im Februar 2014 an die Macht kam.
Doch die Irritationen konnten bald beseitigt werden. Schon am 6. August veröffentlichte die russische Zeitung Komsomolskaja Prawda (KP) mit Verweis auf Quellen beim FSB das Material, wonach der Skandal nichts anderes als eine von langer Hand geplante ukrainische Geheimdienstoperation war. Die Männer – insgesamt 180 Personen – seien auf betrügerische Weise als Wachpersonal mit einem lukrativen Jobangebot – angeblich im Interesse des russischen Öl-Riesen "Rosneft" in Syrien und Venezuela – angeworben worden (RT DE berichtete).
Am 27. August sagte der russische Präsident Wladimir Putin in einem Interview, dass die Affäre eine gemeinsame Operation der ukrainischen und US-amerikanischen Geheimdienste war. Am 11. September legte die KP nach und veröffentlichte 42 Namen der an der Operation beteiligten Mitarbeiter des ukrainischen Geheimdienstes SBU. Die Zeitung stellte auch eine Reihe von Dokumenten ins Netz – wie etwa aus der Ukraine gebuchte Flugtickets, gefälschte Arbeitsverträge, Versicherungspolicen usw. Auch Details zur CIA-Beteiligung wurden geliefert.
Der Mitarbeiter des CIA-Residenten-Büros "T" wüsste über die Operation Bescheid und soll an der Anpassung des Designs beteiligt gewesen sein. "Wer sich dafür interessiert, kann den CIA-Sprecher Timothy James Skovin oder seinen ersten Stellvertreter Brian Thomas O'Byrne vor der US-Botschaft in Kiew treffen, sie werden Ihnen viel Interessantes erzählen können", sagte ein Gesprächspartner aus dem FSB der Komsomolskaja Prawda:
"Ursprünglich war geplant, russische Staatsangehörige, die für die ukrainischen Geheimdienste von Interesse sind, festzunehmen. In der letzten Phase kam auf Betreiben der Amerikaner ein zusätzliches, globaleres strategisches Ziel hinzu: ein Riss in den weißrussisch-russischen Beziehungen. Zu diesem Zweck haben die ukrainischen Sonderdienste die Gruppe nach Minsk gebracht und die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass sie (wie ursprünglich geplant) nicht nach Istanbul fliegt."
Auch in der Ukraine wurde die Affäre zu einem Dauerthema. Die Medien suchten nach einem Maulwurf in den Regierungs- und Sicherheitskreisen, der die Operation auffliegen lassen sollte, wohingegen der russische Journalist, der das KP-Material verfasste, behauptete, dass der russische FSB schon früh genug aus eigenen Kräften das waghalsige Vorhaben seiner Kiewer "Kollegen" enttarnt hatte.
Nach einem Jahr meldete sich der US-Sender CNN nun mit dieser Geschichte zurück. Am Dienstag veröffentlichte er eine in Kiew gedrehte Reportage und stellte sie nahezu als eine Sensation dar.
Das Ziel der "außergewöhnlichen Operation" war, "die mutmaßliche Kriegsverbrecher aus Russland herauszulocken, damit sie für die in der Ostukraine begangenen Gräueltaten, wo von Moskau unterstützte Separatisten seit Jahren kämpfen, vor Gericht gestellt werden", so CNN mit Verweis auf drei ehemalige hochrangige Beamte des ukrainischen Militärgeheimdienstes. Dabei erzählte der Sender nur die seit August letzten Jahres aus den Materialien der russischen Zeitung bekannte Geschichte nach:
"Zunächst gaben sich die ukrainischen Agenten als russisches privates Militärunternehmen aus, das sie für überdurchschnittlich gut bezahlte Sicherheitsjobs rekrutierte und ihnen einen lukrativen Vertrag zum Schutz venezolanischer Öleinrichtungen im Wert von 5.000 Dollar pro Monat anbot."
Fast deckungsgleich zählt der Sender weitere Einzelheiten der Geschichte auf, die allerdings aus der Perspektive der ukrainischen Geheimdienstler erzählt wird – das Motiv von "Schuld und Sühne" ist demnach in der Reportage zentral.
"Die Identifizierung und Bestrafung dieser Personen war für uns von großem Interesse", so der ukrainische Gesprächspartner gegenüber CNN.
Er erzählt, dass die Masche der Ukrainer so glaubwürdig war, dass die ehemaligen Volkswehr-Kämpfer ihren angeblichen Arbeitgebern als Beleg ihrer Kampferfahrung Fotos und Videos ihrer Militärtrophäen sandten – darunter vom Wrack einer abgeschossenen Transportmaschine des ukrainischen Militärs mit 50 Soldaten an Bord. Einige "Bewerber" seien sogar Zeugen des Abschusses der malaiischen Passagiermaschine MH-17 durch russische BUK gewesen, behaupteten die Ukrainer.
Der Sender lässt diese Darstellungen unhinterfragt stehen, auch der Luftkrieg der Ukraine gegen die Zivilbevölkerung im Donbass findet in der Reportage keine Beachtung. Fast nebenbei erwähnen die Journalisten, dass US-Geheimdienste der Operation massive Unterstützung lieferten:
"Offenbar war auch der US-Geheimdienst an der Operation interessiert, obwohl US-Beamte bestreiten, eine direkte Rolle gespielt zu haben. Den ukrainischen Geheimdienstmitarbeitern zufolge erhielt die von der Ukraine geführte Operation US-Geld, technische Unterstützung und Ratschläge der CIA, wie die russischen Söldner angelockt werden könnten."
Ein hochrangiger US-Beamter erklärte jedoch gegenüber CNN, diese Behauptungen seien "falsch". Er wies darauf hin, dass der US-Geheimdienst von der Operation gewusst habe, bestritt aber jegliche Beteiligung.
Laut den ukrainischen Quellen von CNN war das Scheitern der Operation ein schwerer Schlag für den ukrainischen Geheimdienst, der fast 18 Monate lang daran gearbeitet hatte, die russischen "Verdächtigen" zu fassen.
Es lässt sich nur mutmaßen, warum der Sender, der für seine Unterstützung der Demokratischen Partei der USA bekannt ist, erst ein Jahr später so ausführlich über die fehlgeschlagene, von der CIA unterstütze Spionagegeschichte berichtet. Möglicherweise hat das mit den in letzter Zeit komplizierter gewordenen amerikanisch-ukrainischen Beziehungen zu tun. Wenn früher Joe Biden in seiner Funktion als Vize-Präsident in die ukrainischen innenpolitischen Angelegenheiten im Kommandoton involviert war, ließ er als US-Präsident sein erstes Gipfel-Treffen mit seinem ukrainischen Kollegen Wladimir Selenskij vier Mal verschieben.
Selenskij habe öffentlich bestritten, dass es sich um eine ukrainische Operation handelte, betont CNN. Sein Land sei in die Angelegenheit "hineingezogen" worden, sagte er im ukrainischen Fernsehen im Juni 2021.
"Ich meine, dass die Idee zu dieser Operation von, sagen wir mal, anderen Ländern stammt, definitiv nicht von der Ukraine", zitiert der US-Sender den ukrainischen Präsidenten.
Der FSB hat die CNN-Enthüllungen am Dienstag kommentiert. "Wir bestätigen die von CNN veröffentlichten Informationen in vollem Umfang, sie sind absolut zuverlässig, sie haben die Rolle der CIA sehr objektiv dargestellt", zitierte Interfax einen Sprecher des Geheimdienstes.
Die versuchte Entführung der russischen Staatsangehörigen hat er als international strafbaren Akt des staatlichen Terrorismus vonseiten der Ukraine verurteilt.
"Wir erinnern uns noch sehr gut daran, wie es dazu kam: Unsere Bürger wurden vom GUR [Hauptnachrichtendienst des ukrainischen Verteidigungsministeriums] und dem SBU unter Führung der US-CIA nach Weißrussland gelockt. (...) Aber allen Mühen der ukrainischen Seite zum Trotz ist der Schwindel aufgeflogen", fügte der FSB-Vertreter hinzu.
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