"Die westlich geführte Militärintervention hatte sich zum Ziel gesetzt, ein sicheres, demokratisches Land aufzubauen und ist unter dieser Maßgabe in Bausch und Bogen gescheitert",
meint Dr. Tilman Lüdke im Gespräch mit RT DE. Die demokratisch gewählte Regierung habe es nicht geschafft, die Unterstützung der Bevölkerungsmehrheit zu gewinnen. Sie habe auch als sehr korrupt gegolten.
"Die Taliban haben schon durch ihre Verhandlungen z. B. mit China und auch durch ihr Verhalten nach der Einnahme vieler Provinzhauptstädte, in denen es nicht zu Massakern und Gewaltorgien gekommen ist, unter Beweis gestellt, dass sie immerhin der Meinung sind, einen Staat zu übernehmen, den sie auch regieren wollen."
Pakistan werde an Einfluss gewinnen, da der pakistanische Militärgeheimdienst die Taliban in den 90ern mit aufgebaut habe; Iran betrachte ein radikalsunnitisches Regime mit großer Sorge, und China habe ein Interesse daran, dschihadistische Bestrebungen unter Kontrolle zu halten. "Die Dschihadisten werden an Moral gewinnen", so Lüdke. Immerhin hätten die Taliban sich 20 Jahre gehalten und letztlich die Kontrolle über das Land übernommen. Eine Migrationskrise fürchtet er deshalb nicht.
"Es wird viele Afghanen geben, die unter einem derartigen Regime nicht leben möchten. Allerdings glaube ich nicht, dass wir jetzt von einer Massenflucht werden sprechen können, insofern ist Migrationskrise vielleicht übertrieben formuliert."
Lüdke erwartet eine deutliche Verbesserung der Sicherheitslage in Afghanistan. "Da es zunächst mal keinen wirklichen militärischen Widerstand gegen die Taliban mehr gibt, wird sich die Lage in kürzerer Zukunft erst mal stabilisieren." Letztlich sei die Entwicklung der nächsten Monate entscheidend.
"Die Frage ist, ob sie den Anforderungen, die die Lenkung eines Staatswesens stellt, gewachsen sind oder nicht."
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