Eigenen Angaben zufolge haben haitianische Ermittler einen mutmaßlichen Drahtzieher für den Mord an Präsident Jovenel Moïse festgenommen. Es handelt sich um einen 63-jährigen haitianischen Arzt, der im US-Bundesstaat Florida lebt, wie Polizeichef Léon Charles am Sonntag in einer Presseerklärung bekannt gab. Christian Emmanuel Sanon sei vor kurzem in einem Privatflugzeug nach Haiti gekommen, um die Präsidentschaft an sich zu reißen. Der Mann gilt nun als "zentrale Figur" in dem Fall und ist damit der dritte mit den USA in Verbindung stehende Verdächtige in dem mutmaßlichen Komplott.
Der Arzt werde beschuldigt, die dem Attentat verdächtigen kolumbianischen Söldner über eine private venezolanische Sicherheitsfirma mit Sitz in Florida angeheuert zu haben, hieß es. Er sei der Erste gewesen, den die mutmaßlichen Attentäter nach dem Attentat angerufen hätten. In seiner Wohnung seien Beweise gefunden worden. Der Mann habe mit zwei weiteren Hintermännern Kontakt gehabt.
Sanon ist der dritte Verdächtige haitianischer Herkunft mit Wohnsitz in den USA und wurde neben insgesamt weiteren 20 Männern wegen einer möglichen Beteiligung an dem Mordanschlag festgenommen. Auch die anderen beiden festgenommenen Haitianer lebten Berichten zufolge in Florida, das nur rund 1.000 Kilometer von Haiti entfernt liegt.
Auf einer Pressekonferenz am Sonntag erklärte Polizeichef Charles:
"Er kam mit einem Privatflugzeug im Juni mit einem politischen Ziel und kontaktierte eine private Sicherheitsfirma, um die Leute zu rekrutieren, die diese Tat begangen haben.
Die ursprüngliche Mission, die diesen Angreifern gegeben wurde, war es, die Person namens Emmanuel Sanon zu schützen. Danach aber änderte sich die Mission."
Unterdessen entsandte Washington ein Expertenteam nach Haiti, um die Ermittlungen zu unterstützen. Hochrangige Vertreter aus den USA trafen sich am Sonntag in Haiti mit Charles und den am Machtkampf beteiligten Protagonisten.
Der 53 Jahre alte Staatschef Moïse war in der Nacht zum Mittwoch in seiner Residenz überfallen und erschossen worden. Seine Ehefrau wurde schwer verletzt. Nach Angaben der Polizei führten 26 Kolumbianer und zwei US-Amerikaner haitianischer Herkunft den Mord aus. Sie hätten sich als Agenten der US-amerikanischen Anti-Drogenbehörde DEA ausgegeben. Drei der Kolumbianer wurden getötet, nach weiteren fünf wird noch gefahndet. Der Tathergang bleibt weiter unklar. Für Spekulationen sorgte unter anderem, dass die Wächter des Präsidenten anscheinend keinen Widerstand leisteten.
Die Ermordung Moïses verschärfte das politische Chaos in Haiti zusehends und zwang die Behörden des Landes, sowohl die USA als auch die Vereinten Nationen um Unterstützung bei der Friedenssicherung zu bitten und im Falle von Unruhen sowie zur Sicherung der Infrastruktur Soldaten zu entsenden.
Bisher lehnen die USA eine Truppenentsendung ab. Washington schickte aber ein Team aus hochrangigen Beamten nach Haiti. Vertreter der US-Bundespolizei FBI und des Heimatschutzministeriums sollen klären, was die USA tun können, um bei den Ermittlungen zu helfen, wie Pentagon-Sprecher John Kirby am Sonntag erklärte.
Der haitianische Interims-Premierminister Claude Joseph führt seit dem Mord die Regierung, obwohl Moïse noch am Montag den Neurochirurgen und Ex-Innenminister Ariel Henry zu seinem Nachfolger ernannt hatte. Die internationale Gemeinschaft hat Joseph, der auch Außenminister ist, als Ansprechpartner anerkannt.
Henry erklärte jedoch in einem Interview, aus seiner Sicht sei er der wahre Interims-Premierminister. Darüber hinaus wählte der Senat seinen Präsidenten Joseph Lambert, der Henry unterstützt, am Freitag zum Interims-Staatschef.
Seit Anfang 2020 ist das Parlament jedoch nicht beschlussfähig, nachdem eine Wahl ausgefallen war und die Amtszeiten der meisten Abgeordneten abgelaufen sind. Der Vorsitzende des Obersten Gerichtshofs starb vor wenigen Wochen an den Folgen einer COVID-19-Erkrankung. Für den 26. September sind Präsidenten- und Parlamentswahlen geplant.
Moïse wurden Korruption, Verbindungen zu brutalen Banden und autokratische Tendenzen vorgeworfen. Im Februar ernannten Oppositionsparteien einen Übergangspräsidenten, da aus deren Sicht Moïses Amtszeit abgelaufen war.
Proteste gegen Moïse, der seit 2017 im Amt war, hatten Haiti wiederholt paralysiert.
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(rt/dpa)