Kein anderes Land der Welt unterhält eine derart gigantische Militärmaschinerie wie die USA. Nach wie vor verfügt das "Land der Freien" offiziell weltweit über etwa 800 Militärbasen in über 70 Staaten und Territorien. Das US-Militär ist nach wie vor in etlichen Krisenregionen der Welt aktiv involviert.
Wie aus einer aktuellen Erhebung des US-Verteidigungsministeriums hervorgeht, sollen bei den verschiedenen Militäroperationen der USA im vergangenen Jahr weltweit "etwa 23" Zivilisten getötet worden sein. Mit den US-Militäraktivitäten vertraute Beobachter gehen jedoch von einer deutlich höheren Zahl aus.
Im Jahr 2020, heißt es im Dokument, seien die US-Streitkräfte weiterhin an einer Reihe von Militäroperationen beteiligt gewesen, "von denen einige zu zivilen Opfern geführt haben sollen". Laut den nicht als geheim klassifizierten Passagen des Dokuments geht das US-Ministerium davon aus, "dass es im Jahr 2020 etwa 23 getötete Zivilisten und ungefähr zehn verletzte Zivilisten als Folge von US-Militäroperationen gab".
Als Grundlage der hauseigenen Analyse, erfährt der Leser, diene der Begriff "erklärter Schauplatz eines aktiven bewaffneten Konflikts" für das Kalenderjahr 2020, was die Länder Afghanistan, Irak, Somalia, Syrien und Jemen umfasst. Auch das westafrikanischen Nigeria zählt dazu, wo das US-Militär im Rahmen einer "Sicherheitskooperation" die Terrorgruppe Boko Haram bekämpft – auch in weiteren afrikanischen Staaten ist das US-Militär im Rahmen der Terrorbekämpfung aktiv.
In den Pentagon-Ausführungen erfährt man nebenbei auch, warum das US-Verteidigungsministerium "seit vielen Jahren" nicht systematisch über die Anzahl der getöteten und verwundeten regulären Kombattanten Buch führt, also einen sogenannten "Body Count" über getötete Feinde. Der Grund liege darin, so heißt es, dass sich daraus nicht zwingend "aussagekräftige Rückschlüsse" für den militärischen Erfolg einer Operation ableiten ließen.
"Zum Beispiel wurde die Verwendung solcher Metriken im Vietnamkrieg stark kritisiert."
Ohnehin halte sich das Pentagon strikt an das internationale Kriegsrecht. Dies gelte selbstverständlich und erst recht, wenn es um den Schutz von Zivilisten gehe. Hier sei das Prinzip der Verhältnismäßigkeit bei der Planung und Durchführung von Angriffen oberstes Gebot.
Nur so lässt es sich wohl erklären, warum nach US-Aussage im Rahmen der Operation "Inherent Resolve" im Irak und in Syrien, die sich offiziell gegen "Islamischen Staat" (IS) richtet, im vergangenen Jahr nur ein Zivilist sein Leben gelassen haben soll, und zwar am 13. März im irakischen Kerbela.
Im Rahmen der US-Operation "Freedom's Sentinel" in Afghanistan sollen 20 Zivilisten im Jahr 2020 ihr Leben verloren haben. Fünf seien verletzt worden. Hier bestand das "übergeordnete Ziel" der eigenen militärischen Kampagne laut Pentagon-Dokument vor allem darin, sicherzustellen, dass Afghanistan nie wieder als "sicherer Hafen" für Terroristen diene, "von dem aus Terroristen Angriffe gegen die USA, unsere Verbündeten oder unsere Interessen im Ausland starten könnten". Das Pentagon versichert in diesem Zusammenhang:
"Das US-Militär nimmt Berichte über zivile Opfer ernst."
Gleichzeitig existieren etliche Berichte, die ein vollkommen anderes Bild des Afghanistan-Einsatzes zeichnen. So berichtete etwa das Cost of War Project der Brown University in den USA, dass im Jahr 2019 bei Luftangriffen der USA und deren Verbündeten 700 Zivilisten getötet worden seien – "mehr als in jedem anderen Jahr seit Beginn des Krieges in den Jahren 2001 und 2002". Das Pentagon hatte dort die Zahl getöteter Zivilisten im Jahr 2019 mit 108 beziffert.
"Schönfärberei - Kritiker halten Pentagon-Zahlen für untertrieben
Hinsichtlich der Kriegsschauplätze in Afrika spricht das Pentagon-Dokument von jeweils einem getöteten Zivilisten im Jemen sowie in Somalia, wo die Kämpfer der islamistischen al-Shabaab seit Jahren ihr Unwesen treiben.
Derweil erinnert Amnesty International daran, dass die USA seit dem Jahr 2017 insgesamt 196 Luftangriffe mittels Drohnen und Kampfflugzeugen in Somalia durchführten. Laut der NGO Airwars waren es im Jahr 2017 38 Angriffe, gefolgt von 48 Luftangriffen im Jahr 2018, 61 Angriffen im Jahr 2019 und 49 Luftschlägen 2020. Dabei kamen mit Stand Januar 2021 und je nach Quelle 134 Zivilisten allein in Somalia ums Leben.
Airwars hält die vom Pentagon präsentierten Zahlen über die in den US-Kriegen zu beklagenden zivilen Opfer folglich für Schönfärberei. Mit Verweis auf unterschiedlichste Quellen wie die UN und eigene Berechnungen wird anhand konservativer Schätzungen festgehalten:
"Im Gegensatz dazu lag die minimale öffentliche Schätzung der durch US-Streitkräfte verursachten zivilen Todesfälle im Jahr 2020 in fünf Konfliktländern bei 102 Todesopfern – fast fünfmal höher, als das DoD zugibt."
Man begrüße, dass sich das Pentagon, im Gegensatz etwa zu Frankreich, überhaupt dazu durchgerungen habe, Zahlen zu zivilen Opfern zu veröffentlichen, doch:
"Wir sind weiterhin besorgt darüber, dass die Schätzungen des DoD [US-Verteidigungsministerium] über zivile Schäden erneut deutlich unter den glaubwürdigen öffentlichen Schätzungen liegen, und fordern die Behörden auf, zu überprüfen, warum solche Unterberechnungen so häufig sind. Die Zivilbevölkerung hat sicherlich etwas Besseres verdient."
Annie Shiel vom Center for Civilians in Conflict (CIVIC) stellte gegenüber The Intercept fest, dass eine "enorme Diskrepanz" herrsche zwischen den vom Pentagon veröffentlichen Zahlen über zivile Opfer und den von Menschenrechtsgruppen, den Vereinten Nationen und den Medien veröffentlichten Zahlen.
Laut dem Dokument des US-Verteidigungsministeriums bewilligte der US-Kongress dem Pentagon im Jahr 2020 zwar drei Millionen US-Dollar für die finanzielle Entschädigung der Familien der zivilen Opfer der diversen Kriegseinsätze, doch die Gelder wurden nicht ausgezahlt.
"Das DoD hat im Jahr 2020 keine derartigen Ex-Gratia-Zahlungen angeboten oder geleistet."
Längst haben die USA davon Abstand genommen, Kriege auf "klassische" Weise durch eigene Truppen – die berühmten "boots on the ground" – zu führen. Die amerikanische Öffentlichkeit sieht nicht gerne Bilder von getöteten US-Soldaten US und leisten kann sich Washington die traditionelle Kriegsführung ebenfalls kaum noch. Daher wurde und wird die Kriegsführung zunehmend outgesourct.
So kommt etwa die Studie "Auslagerung des Krieges: Die Entwicklung der privaten Militärindustrie nach dem Kalten Krieg" unter anderem zu dem Ergebnis, dass sich private militärische Unternehmen (PMCs) von "kleinen Subunternehmern zu Konzernen entwickelt" hätten, die im Irak etwa die Hälfte des von den USA eingesetzten militärischen Personals ausmachten.
Zu den militärischen Dienstleistern zählen Unternehmen wie Blackwater (jetzt umbenannt in Xe Services Inc.), Aegis Defence Services, DynCorp, und Military Professional Resources Inc. (MPRI). Auch wenn sie dem US-Militär zur Hand gehen, existieren keine Zahlen zu zivilen Opfern infolge der der zahlreichen Operation privater Auftragnehmer.
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