Biden will Cyberangriff auf Fleischkonzern JBS mit Putin besprechen

Der weltweit tätige brasilianische Fleischkonzern JBS ist Opfer einer Cyberattacke geworden – große Teile der Produktion waren kurzzeitig lahmgelegt. Das Weiße Haus sieht die Notwendigkeit, dies zu einem Thema beim bevorstehenden Treffen von Biden und Putin zu machen.

Mehrere größere Ransomware-Angriffe haben in den vergangenen Wochen kritische US-Infrastruktur getroffen und teils vorübergehend lahmgelegt. Colonial Pipeline, der größte US-Transporteur von raffinierten Kraftstoffen, war nach einem größeren Cyberangriff im letzten Monat gezwungen, die Lieferungen vorübergehend einzustellen, was zu Benzinknappheit im Südosten der USA führte.

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Am Donnerstag teilte die New Yorker Metropolitan Transit Authority (MTA), eines der größten öffentlichen Verkehrsnetze in den USA, mit, dass Hacker in ihre Computersysteme eingedrungen sind. Der Angriff habe abgewehrt werden können, sodass demnach keine Daten kompromittiert wurden.

Der weltgrößte Fleischkonzern JBS war gezwungen, neun Rinderfabriken stillzulegen, nachdem Cyberattacken Computernetzwerke seiner nordamerikanischen und australischen Niederlassungen am Sonntag lahmgelegt hatten. Schon am Mittwoch sollte nach Aussagen von JBS SA die "überwiegende Mehrheit" der Rind-, Schweine-, Geflügel- und Fertiggerichte-Produktion des Unternehmens wieder in Betrieb sein.

Noch schneller stand für einige Fleischliebhaber wohl fest, dass "die Russen" dahinterstecken müssten.

Auch das FBI war sich darüber im Klaren, dass der Öffentlichkeit Schuldige präsentiert werden müssen, und teilte mit, es habe den Angriff auf russische Quellen zurückführen können:

Das FBI und die US-Regierung machten "Cyberkriminelle in Russland" für die Probleme bei Colonial und JBS verantwortlich. Nach Angaben des Pressedienstes des Weißen Hauses hatte das weltweit tätige Fleischverarbeitungsunternehmen die USA über eine Lösegeldforderung einer angeblich in Russland ansässigen kriminellen Organisation informiert. Bisher wurden darüber keine Belege übermittelt. Laut der US-Regierung stehe sie in Kontakt mit russischen Behörden über den Cyberangriff. Russlands Vizeaußenminister Sergei Rjabkow bestätigte laut der Agentur Interfax nur, dass es ein Gespräch zwischen dem US-Außenministerium und der russischen Botschaft in Washington gegeben habe.

Dem Kreml lagen entsprechende Informationen laut eigener Darstellung zunächst nicht vor. Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte Reportern am Mittwoch, dass es Kontakte über diplomatische Kanäle gebe und, sofern Moskau diesbezüglich Anfragen aus den USA erhalte, diese direkt beantworten werden. Allerdings betonte Peskow, dass es zu dem Hackerangriff auf den Fleischverarbeitungskonzern JBS bis dahin keine Anfragen gegeben habe. Was die möglichen Täter hinter den JBS-Angriffen betrifft, habe der Kreml keine Informationen.

Die Sprecherin des Weißen Hauses Karine Jean-Pierre hatte am Dienstag gesagt, dass Washington mit der russischen Regierung über den JBS-Hack gesprochen habe, und warnte Moskau davor, ein sicherer Hafen für "Ransomware-Kriminelle" zu werden. Als Präsident Joe Biden am Donnerstag von einem Journalisten gefragt wurde, ob er plane, Vergeltungsmaßnahmen gegen Russland für den die Lieferkette unterbrechenden Angriff zu ergreifen, antwortete dieser:

"Wir schauen uns dieses Thema genau an."

Die folgende Frage eines Journalisten, ob Russlands Präsident Wladimir Putin ihn vor ihrem Gipfeltreffen in zwei Wochen testen wolle, verneinte Biden schlicht. Zuvor sagte die Sprecherin des Weißen Hauses Jen Psaki, sie erwarte, dass Biden die Cyber-Probleme mit dem russischen Präsidenten bei ihrem Gipfel in Genf am 16. Juni besprechen werde:

"Präsident Biden denkt gewiss, dass Präsident Putin und die russische Regierung eine Rolle dabei spielen, solche Angriffe zu stoppen und zu verhindern. (...) Verantwortungsvolle Staaten beherbergen keine Ransomware-Kriminellen."

Gegenüber Interfax betonte Kremlsprecher Peskow am Rande des Internationalen Wirtschaftsforums in Sankt Petersburg (SPIEF): "Moskau, Präsident Putin, hat seit Langem die Initiative ergriffen, im Kampf gegen Cyberkriminalität zusammenzuarbeiten, um Informationssicherheit zu gewährleisten."

Auf die Frage von Interfax, ob Putin seinem US-Amtskollegen auf dem Gipfel dazu etwas zu sagen habe, antwortete Peskow: "Auf jeden Fall."

Der Nationale Sicherheitsrat der USA veröffentlichte am Donnerstag ein Schreiben an Unternehmen mit dem dringenden Appell, sich besser vor derlei Attacken zu schützen – und mit Handlungsempfehlungen, wie dies am besten zu erreichen sei. Die Zahl und das Ausmaß solcher Angriffe hätten deutlich zugenommen, heißt es darin. Die US-Regierung arbeite gemeinsam mit internationalen Partnern daran, die Urheber von Cyberattacken zu stoppen. Doch auch der Privatsektor trage "entscheidende Verantwortung für den Schutz vor diesen Bedrohungen".

Die Zunahme von Cyberangriffen ist laut Mikko Hyppönen von der IT-Sicherheitsfirma F-Secure unter anderem darauf zurückzuführen, dass die Angriffsfläche mit dem digitalen Wandel in allen Branchen immer größer werde. "Wir bringen alles online." Es werde noch dauern, bis diese allgemeine Bewegung ins Netz angemessen abgesichert werde: "Ich denke nicht, dass wir das Schlimmste schon erlebt haben."


Der brasilianische Fleischkonzern JBS hatte die Hackerattacke über seine US-Tochter bekannt gemacht. In den USA stammt rund ein Viertel der Rindfleisch- und ein Fünftel der Schweinefleischproduktion von JBS-Unternehmen.
 In Brasilien ist der Fleischkonzern der breiten Öffentlichkeit wohlbekannt. Innerhalb von gut zehn Jahren wuchs JBS von einem mittelgroßen Schlachthof im Mittleren Westen Brasiliens durch Akquisitionen, die zum Teil mit staatlichen Geldern finanziert wurden, zu einem der drei größten Lebensmittelverarbeitungsunternehmen der Welt.

Der Unternehmer und Politiker Onyx Lorenzoni, Jair Bolsonaros Kabinettschef, hat öffentlich zugegeben, illegale Wahlkampfspenden von JBS entgegengenommen zu haben. Neben anderen Konzernen wird JBS mit Verstößen gegen Umwelt- und Indigenenrechte in Verbindung gebracht und stand wegen schlechter Arbeitsbedingen in der Kritik. Zu Beginn des Jahres veröffentlichte die unabhängige Forschungsgruppe Repórter Brasil einen Bericht mit dem Titel "Sklavenarbeit in der Fleischindustrie", in dem sie anprangerte, dass in mehreren Rinderfarmen des Landes Arbeiter Zwangsarbeit und sklavenähnlichen Bedingungen ausgesetzt sind. Einige von ihnen beliefern die wichtigsten Rindfleischproduzenten des Landes, wie zum Beispiel JBS, den größten in Lateinamerika.

Im April protestierten in Brasilien Arbeiter und Gewerkschaften des Fleischsektors gegen Lockerungen der Gesundheits- und Sicherheitsprotokolle für Schlachthofarbeiter. Damit würden laut Anwalt Lincoln Roberto "in Zeiten der schlimmsten Gesundheitskrise der Geschichte den als unentbehrlich eingestuften Schlachthofarbeitern", die mit ihrer Arbeit die Lebensmittelversorgung der sicherstellten, "jegliche Rechte vorenthalten". Brasilianische Behörden hatten den Lebensmittelriesen JBS während des Wahlkampfs 2014 im Rahmen einer mutmaßlichen Bestechung in Höhe von 40 Millionen Reais ins Visier genommen. Die dadurch bevorzugte Partei soll diese Lockerungen von Arbeitsrechten vorangetrieben haben.

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