"Unsere biodigitale Zukunft": Kanadische Regierung auf den Spuren des Weltwirtschaftsforums
Zuletzt erfuhr das Thema des Transhumanismus neue Aufmerksamkeit, nachdem sich der Chef des Weltwirtschaftsforums (WEF) Klaus Schwab der Sache annahm. Gleichzeitig ist es Schwab, der den "Great Reset" propagiert.
Beides bedingt sich nach seiner Lesart gegenseitig. Die Vierte Industrielle Revolution, werde "zu einer Verschmelzung unserer physischen, digitalen und biologischen Identität führen", prophezeite die graue Eminenz des WEF vor einiger Zeit vor dem Chicago Council on Global Affairs.
Und schon längst ist die Vision des deutschen Wirtschaftswissenschaftlers fester Bestandteil politischer Weichenstellungen geworden. Ein Beispiel ist das kanadische Institut Policy Horizon.
Wie der Name bereits nahelegt, befasst es sich – als dem kanadischen Arbeitsministerium angegliedertes politisches Beratungsinstitut – von Hause aus mit Zukunftsprognosen.
"Wir sind eine Einrichtung der Regierung, die Prognosen durchführt."
In einem ausführlichen Dokument befassten sich dort Experten bereits vor über einem Jahr mit dem Thema der sogenannten biodigitalen Konvergenz.
In den kommenden Jahren, heißt es im Vorwort, könnten biodigitale Technologien so verbreitet sein, "wie es heute die digitalen Technologien sind".
"Biologische und digitale Systeme konvergieren und könnten die Art und Weise verändern, wie wir arbeiten, leben und uns sogar als Spezies weiterentwickeln."
Dies könne dazu führen, dass sich die Menschheit neue Gedanken darüber machen müsse, was Menschsein überhaupt bedeute. Die biodigitale Konvergenz ist für die kanadischen Zukunftsanalytiker dabei keineswegs eine dystopische Schreckensvision. Vielmehr gehe es nun um die Bereitschaft, das offensichtlich Unvermeidbare "zu unterstützen" und gleichzeitig mit den entsprechenden Risiken "sorgfältig und sensibel umzugehen". Nun gelte es, sich auf breiter Ebene mit "Partnern und Stakeholdern" darüber auszutauschen, "wie unsere biodigitale Zukunft aussehen könnte".
Auch Schwab nutzt oft und gerne den aus der Wirtschaft stammenden Anglizismus "Stakeholder". Als Stakeholder (Anspruchsgruppen) werden alle internen und externen Personengruppen definiert, die von unternehmerischen Tätigkeiten gegenwärtig oder in Zukunft direkt bzw. indirekt betroffen sind.
Für den WEF-Gründer sind es die gesellschaftlichen und politischen "Stakeholder", die es gelte, mit ins Boot zu holen, um "die Zukunft der Vierten Industriellen Revolution aktiv mitzugestalten".
#BiodigitalConvergence could affect how our relationships with technology, nature, and even life itself could evolve ❤️♥️💗https://t.co/AOPvlbki4upic.twitter.com/hW2opM3j3G
— Horizons Canada (@PolicyHorizons) February 14, 2020
Die Definition des Begriffes der biodigitalen Konvergenz wird in der kanadischen Analyse mitgeliefert. Bei dieser handelt es sich demzufolge um die "interaktive Kombination, manchmal bis hin zur Verschmelzung, von digitalen und biologischen Technologien und Systemen".
Von der schwabschen Vision des Transhumanismus zur biodigitalen Konvergenz ist es in diesem Fall nicht weit. Dies verdeutlicht u. a. die Verfasserin des Vorwortes der kanadischen Zukunftsstudie – die Direktorin von Policy Horizons Canada Kristel Van der Elst.
Die Absolventin der Yale School of Management ist ehemalige Leiterin von Strategic Foresight, einem Beratungsgremium des Weltwirtschaftsforums, und Mitglied des WEF-Exekutivausschusses. Des Weiteren ist sie ein Mitglied der sogenannten Governmental Foresight Community der OECD und u. a. Teil der Expertengruppe der Europäischen Kommission namens Strategic Foresight for Research & Innovation Policy in Horizon 2020 (SFRI).
In einem fiktiven Beispiel ("Guten Morgen Biodigital") wird die neue Welt der digitalen Konvergenz von Van der Elst und ihrem Team veranschaulicht. In diesem heißt es u. a.:
"Ich sende eine Gehirnnachricht, um die App zu öffnen, die meinen Insulinspiegel steuert und dafür sorgt, dass meine Bauchspeicheldrüse optimal unterstützt wird. Ich kann mir nicht vorstellen, mich mit Nadeln zu spritzen, wie es meine Mutter als Kind getan hat. Jetzt ist es ein Mikroben-Transplantat, das sich automatisch anpasst und über meine Werte berichtet."
Da soweit alles gut aussieht, prüft der fiktive Charakter als nächstes "die digitale Schnittstelle meines Gehirns, um die Traumdaten zu lesen, die letzte Nacht in Echtzeit aufgezeichnet und verarbeitet wurden". Eine "Therapie-App" analysiert anschließend "die emotionalen Reaktionen, die ich während des Schlafes ausgedrückt habe. Sie schlägt vor, dass ich mir diese Woche Zeit nehme, um in der Natur zu sein".
"Meine KI empfiehlt einen 'Waldtag'. Ich denke 'okay' und meine KI und das neuronale Implantat erledigen den Rest."
Im Dokument werden aber auch "neue Wege zur Veränderung des Menschen – unseres Körpers, Geistes und Verhaltens" diskutiert. Um zwei der aufgeführten Beispiele zu nennen: Da wäre zum einen die "Veränderung des menschlichen Genoms – unsere wichtigsten biologischen Eigenschaften und Merkmale". Zum anderen wird die "Überwachung, Veränderung und Manipulation menschlicher Gedanken und Verhaltensweisen" aufgeführt. Als Beispiel aus der Praxis wird dabei auf eine bereits existierende Kooperation des Softwareunternehmens SAP mit der Firma EMOTIV verweisen.
Unter dem Stichwort "Adaptive Assistenz für mehr Wohlbefinden und Produktivität bei der Arbeit" verweist SAP im Oktober 2018 auf die Zusammenarbeit mit EMOTIV.
"Deshalb haben wir uns für eine Zusammenarbeit mit EMOTIV entschieden, dem Marktführer für mobile Neuroinformatik-Lösungen, die dem einzelnen Nutzer ein personalisiertes Feedback zu seiner kognitiven Leistungsfähigkeit und seinen Bedürfnissen am Arbeitsplatz geben."
An zwei Stellen widmet man sich im Dokument auch möglichen negativen Konsequenzen der biodigitalen Welt. So könnte etwa die synthetische Biologie viele Technologien mit doppeltem Verwendungszweck (Dual Use) hervorbringen, "die sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke eingesetzt werden könnten".
In dieser Hinsicht bestehe auch die Möglichkeit einer "böswilligen, rücksichtslosen oder versehentlichen Freisetzung von tödlichen, im Labor hergestellten Viren". So sei es etwa einem Virologen der University of Alberta mithilfe von Techniken der "synthetischen Biologie und per Post bestellter DNA" gelungen, das zuvor als ausgerottet geltende Pockenvirus als Pferdepockenvirus im Labor künstlich herzustellen.
Mit Verweis auf Prof. Dr. Andreas Nitsche vom Robert Koch-Institut (RKI) schrieb der Deutschlandfunk im Juli 2017, dass "eine Nutzung als Biowaffe nicht ausgeschlossen" werden könne. Es gebe aber auch "Impf- und Therapiemöglichkeiten".
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