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Das wirft Fragen auf: US-Militär zieht aus Afghanistan ab, aber Spezialeinheiten bleiben?

Offiziell ziehen die USA bis 11. September aus Afghanistan ab. Vollständig soll der Abzug aber wohl doch nicht ausfallen: Wie US-Medien berichten, werden Spezialeinheiten, CIA und Vertragspartner der Armee "höchstwahrscheinlich" im "Saudi-Arabien des Lithiums" bleiben.
Das wirft Fragen auf: US-Militär zieht aus Afghanistan ab, aber Spezialeinheiten bleiben?Quelle: AFP © John Moore

Fast 20 Jahre dauert der Krieg der USA und ihrer NATO-Verbündeten in Afghanistan bereits. Nun sei es an der Zeit, sich zurückzuziehen, erklärte US-Präsident Joe Biden am 14. April:

"Es ist Zeit, Amerikas längsten Krieg zu beenden. Es ist Zeit, dass die amerikanischen Soldaten nach Hause zurückkehren."

Biden zufolge soll der Abzug der US-Truppen noch vor dem 1. Mai beginnen und spätestens bis zum 11. September abgeschlossen sein. Ein symbolisches Datum, an dem vor 20 Jahren nach US-Erkenntnissen 19 Selbstmordattentäter – darunter 15 Saudis – den verheerenden Anschlag auf das New Yorker World Trade Center verübten. Was folgte, war die Invasion Afghanistans mit der offiziellen Begründung, dass die afghanischen Taliban dem gefürchteten saudischen Terrorpaten Osama bin Laden (einem ehemaligen US-Protegé) Unterschlupf gewährt hatten.

Bezugnehmend auf den 11. September 2001 argumentierte Biden nun:

"Wir wurden angegriffen. Wir sind mit klaren Zielen in den Krieg gezogen. Wir haben diese Ziele erreicht. Bin Laden ist tot, und Al-Qaida ist in Afghanistan zerfallen, und es ist Zeit, den Krieg für immer zu beenden."

Doch ziehen die USA nun tatsächlich ab? Zumindest US-Publikationen wie der New York Times zufolge ist die Angelegenheit nicht so eindeutig. Im Artikel mit dem Titel "Biden to Withdraw All Combat Troops from Afghanistan by Sept. 11" weist das renommierte Blatt darauf hin, dass die Vereinigten Staaten zwar formell abziehen, vor Ort jedoch "höchstwahrscheinlich" mit einer "schattenhaften Kombination aus Spezialeinheiten, Pentagon-Auftragnehmern und verdeckten Geheimdienstmitarbeitern" präsent blieben. Offiziell werde deren Aufgabe darin bestehen, "die größten Bedrohungen durch Al-Qaida oder den Islamischen Staat aufzudecken und anzugreifen".

Matthew Hoh, Afghanistan-Veteran und Mitarbeiter am Center for International Policy, verwies im Januar ebenfalls auf den Umstand, dass nur die offiziell verbliebenen 3.500 US-Soldaten aus Afghanistan abgezogen werden. Das US-Militär werde "weiterhin in Form von Tausenden Spezialeinheiten und CIA-Personal in und um Afghanistan präsent sein". Hinzu kämen "dutzende Geschwader bemannter Angriffsflugzeuge und Drohnen, die auf Landbasen und auf Flugzeugträgern in der Region stationiert sind, und Hunderte von Marschflugkörpern auf Schiffen und U-Booten".

Schon längst scheuen die US-Administrationen davor zurück, vor allem eigene Truppen wenig populäre Kriege ausfechten zu lassen. Stattdessen setzt man auch im Rahmen des sogenannten "light footprint" auf Söldner, Spezialeinheiten und Geheimdienste, um nicht den Zorn an der "Heimatfront" auf sich zu ziehen und Kosten zu sparen. Die Militärzeitung Stars and Stripes erläutert mit Verweis auf Zahlen des U.S. Central Command:

"Das Pentagon beschäftigt mehr als sieben Auftragnehmer für jedes Mitglied der (US-)Streitkräfte in Afghanistan."

Demzufolge halten sich aktuell 18.000 "Auftragnehmer" des US-Militärs im Land am Hindukusch auf. Währenddessen gab das US-Verteidigungsministerium am Freitag bekannt, dass man aktuell noch mit 2.500 Soldaten vor Ort sei.

Laut Pentagon-Sprecher John Kirby würden die USA jedoch "die Fähigkeiten zur Terrorismusbekämpfung aufrechterhalten". Dies soll Kirby zufolge verhindern, dass Afghanistan Ausgangspunkt "für terroristische Angriffe" werde. Die USA verfügten "über eine große Bandbreite an Fähigkeiten", um dies zu verhindern.  

"Die Entscheidung des Präsidenten, sich zurückzuziehen, gibt dem Ministerium auch die Möglichkeit, seine Aktivitäten auf Bedrohungen und Herausforderungen zu konzentrieren, die für unseren Lebensstil relevanter sind, und auf solche, die unseren Lebensstil hier in den Vereinigten Staaten bedrohen."

Laut Beobachtern haben die USA kein Interesse daran, sich tatsächlich vollständig aus dem Land von enormer geostrategischer Bedeutung zu verabschieden. Hinzu kamen in den vergangenen Jahren Berichte über immense Vorkommen höchst lukrativer natürlicher Ressourcen. So hatte bereits im Jahr 2007 eine Untersuchung des United States Geological Service ergeben, dass im afghanischen Boden Mineralvorkommen (darunter Gold, Eisen, Kupfer, Kobalt und Lithium) im Wert von knapp einer Billion US-Dollar auf ihre Ausbeutung warten.

Die Funde bewegten sich weit "jenseits aller bisher bekannten Reserven". Die lokalisierten Ressourcen hätten das Potenzial, die "afghanische Wirtschaft und vielleicht den afghanischen Krieg selbst grundlegend zu verändern". Afghanistan verfüge über genügend wertvolle Mineralien, um zum "Saudi-Arabien des Lithiums" zu werden.

Bereits zur Zeit der Afghanistan-Invasion wurde das Land außerdem als wichtiges Transitland für eine Ölpipeline gehandelt, die zentralasiatisches Öl unter Umgehung Russlands zum Indischen Ozean transportieren sollte.

Am Freitag erklärte der Sprecher des US-Verteidigungsministeriums vor Pressevertretern, dass er nicht genau wisse, ob die Auftragnehmer des Pentagon nach dem Rückzug der eigenen Truppen in Afghanistan verbleiben würden.

"Das Ziel ist natürlich, unser gesamtes Personal herauszuholen, und ich vermute, dass Auftragnehmer ein Teil davon sein werden. Aber ob es immer noch einen Bedarf an Unterstützung durch Auftragnehmer geben wird, weiß ich nicht."

Bei etwa 4.700 der Vertragsarbeiter des US-Militärs handelt es sich Stars and Stripes zufolge um Afghanen. Ein Drittel stammt aus den USA, wie die Daten im Bericht von dieser Woche zeigen. Viele der weiteren Fremdmitarbeiter stammen aus sogenannten Entwicklungsländern wie Uganda und Nepal. Offiziell besteht der Auftrag in der Ausbildung und Unterstützung der afghanischen Streitkräfte. Bei 1.575 der zumeist US-amerikanischen Vertragsarbeiter handele es sich um "bewaffnetes Sicherheitspersonal" – umgangssprachlich "Söldner" genannt.

Vor wenigen Tagen war es US-Verteidigungsminister Lloyd Austin, der während einer NATO-Pressekonferenz zu Protokoll gab, dass das US-Militär mit "Mitteln zur Terrorismusbekämpfung" "in der Region" verbleiben werde.

"Ich denke, Sie werden verstehen, warum ich nicht ins Detail gehen werde, wo unsere Anti-Terror-Einheiten positioniert sein könnten."

Laut Pentagon-Sprecher Kirby ist man auch für eventuelle Angriffe der Taliban während der eigenen Truppenabwicklung gerüstet. Die islamistischen Kämpfer hatten mit einer Großoffensive gedroht, sollten die USA nicht Wort halten. Laut Kirby wäre es von den Taliban "unklug, nicht ernst zu nehmen", was US-Präsident Biden und US-Verteidigungsminister Austin deutlich gemacht hätten.

"Nämlich, dass jeder Angriff auf unseren Truppenabzug, auf unsere Streitkräfte oder auf unsere Verbündeten und Partner, während sie abziehen, sehr energisch beantwortet werden wird."

Mit Bezug auf die angeheuerten Vertragsarbeiter des US-Militärs berichtete der US-Nachrichtensender CNN Ende März, dass das Pentagon – "trotz der Unterzeichnung der Vereinbarung von Doha" – Aufträge im Wert von fast einer Milliarde US-Dollar an 17 verschiedene Unternehmen vergeben habe, die mit Arbeiten in Afghanistan über das Abzugsdatum hinaus verbunden seien.

Bidens Vorgänger Donald Trump hatte im Februar 2020 einen Abzug aller fremden Truppen aus Afghanistan im Rahmen eines Friedensabkommens mit den Taliban in Doha ausgehandelt. Allerdings war der Abzug bereits zum 1. Mai vereinbart.

Währenddessen bestehen die Taliban weiter auf dem ausgehandelten Abzugstermin. Vor wenigen Tagen erklärte dann der Sprecher des politischen Büros der Taliban in Doha, Mohammed Naim Wardak, dem iranischen Medium Press TV, dass Washington offensichtlich gedenke, seinen Verpflichtungen im Rahmen des Friedensabkommens nicht wie vorgesehen nachzukommen. Wie Wardak ankündigte, bestehe die Priorität der Taliban nun darin, die US-Streitkräfte gewaltsam aus Afghanistan zu treiben.

Im Oktober 2001 hatten die Taliban der US-Regierung unter dem damaligen Präsidenten George W. Bush die Auslieferung Osama bin Ladens an ein neutrales Land angeboten. Im Gegenzug sollten die USA die bereits eine Woche anhaltende Bombardierung Afghanistans beenden. Der damalige stellvertretende afghanische Premierminister hatte erklärt:

"Wenn man den Taliban Beweise dafür liefert, dass Osama bin Laden involviert ist, wären wir bereit, ihn an ein Drittland zu übergeben."

Die US-Regierung lehnte das Angebot als "unverhandelbar" ab.

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