"Jeder Journalist in Gefahr": US-Anwalt Carey Shenkman zu Assange und dem US-Spionagegesetz
In dem fragwürdigen Auslieferungsprozess gegen den wegen Spionagevorwürfen angeklagten Journalisten und WikiLeaks-Gründer Julian Assange wurde der US-amerikanische Verfassungs- und Menschenrechtler Carey Shenkman zu zwei Gerichtsterminen als Zeuge geladen. Shenkman, der auch bereits in verschiedenen Zeitungen wie der Huffingtonpost, The Nation oder dem NYU Law Review zu Bürger- und Menschenrechtsfragen publiziert hatte, ist außerdem als Lektor an verschiedenen Journalistenschulen sowie juristischen Fakultäten tätig.
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Daneben ist er Mitglied beim "Institute für Social Policy & Understanding" (ISPU) und arbeitete dort an dem Bericht zu ideologisch motivierter Gewalt in den Vereinigten Staaten mit. Er veröffentlichte ein Buch über den "Espionage Act" der USA ("A Century of Suppression: The Espionage Act from WWI to the War on Terror").
Um ein besseres Verständnis des inzwischen über 100 Jahre alten "Espionage Act" zu ermöglichen, sprach RT mit dem US-Rechtsexperten Carey Shenkman.
Im Interview erklärt Shenkman, dass das angesprochene Gesetz äußerst umstritten ist und mit seinen über 100 Jahren außerdem ziemlich "antiquiert" sei. Besonders die breite Auslegbarkeit des Gesetzestextes lasse eine willkürliche und wenig zielführende Anwendung zu, die von mehreren Seiten bereits kritisiert wurde und deretwegen bereits früher Änderungen angedacht wurden.
Zudem wurden durch dieses Gesetz bislang hauptsächlich politisch motivierte Strafprozesse eingeleitet, seit es während der Amtszeit von Woodrow Wilson im Ersten Weltkrieg in Kraft trat. Damals sollten damit insbesondere Stimmen, welche sich gegen einen Kriegseintritt der USA aussprachen, zum Schweigen gebracht werden.
Shenkman beschreibt, warum das Gesetz zwar "Espionage Act" heißt, aber dennoch relativ wenig mit Spionage zu tun hat. Vielmehr ginge es um das Verbreiten von Informationen als solches und über (politische) Meinungsäußerungen:
Die ersten 2.000 Strafprozesse nach diesem Gesetz waren im Wesentlichen politisch: Verfolgung von Mitgliedern der Sozialistischen Partei, von Gewerkschaften und überhaupt von jedem, der den Eindruck erweckte, die militärischen Bemühungen infrage zu stellen oder dagegen zu sein.
Die angesprochene Offenheit und Breite des Gesetzestextes zeigt sich in der Unklarheit der Grenzen innerhalb des Gesetzes: Unter Strafe gestellt würde dort das aktive Mitteilen von Informationen mit Bezug zur nationalen Verteidigung ohne Berechtigung an Personen, welche ebenfalls keine Berechtigung besitzen. Da Journalisten immer, wenn sie etwas veröffentlichen, auch Informationen teilen, gibt das Gesetz durch seinen enormen Spielraum zur Auslegung auch die Möglichkeit dazu, Journalisten für ihre Arbeit zu belangen.
So formuliert könnten Journalisten Informationen mitteilen – unberechtigterweise – und die Öffentlichkeit könnte sie – ohne 'Berechtigung' – empfangen. Und wenn jemand aus der Öffentlichkeit diesen Beitrag retweetet, teilt auch er Informationen an jemandem ohne Empfangsberechtigung. Dann wird das wieder retweetet… Werden da auch Informationen geteilt? Das Gesetz regelt das nicht, und sein Text scheint auf all diese Fälle zuzutreffen, was in Hinsicht auf Freiheit der Meinungsäußerung völlig absurd ist.
Das Besondere an dem aktuellen Fall um den Journalisten und WikiLeaks-Gründer Julian Assange ist, dass das Gesetz bislang lediglich gegen "Regierungsinsider", also Personen, die für die Regierung arbeiten oder einen sonstigen Geheimhaltungseid geschworen haben, angewendet wurde. Das Gesetz wurde zuvor noch nie benutzt, um einen Journalisten oder Verleger – also jemanden außerhalb der Regierung – zu verfolgen. Dies dürfte einer der Gründe sein, weswegen heute viele Stimmen von einem Krieg gegen den Journalismus und einem Vorgehen gegen die demokratische Rechtsordnung und gegen den Rechtstaat sprechen.
Worum es im Fall #Assange wirklich geht... pic.twitter.com/aQRmE7i7yz
— Nils Melzer (@NilsMelzer) September 26, 2020
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