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"Nicht den Schikanen der Polen ausliefern": Russische Fluglotsen sollen vor polnisches Gericht

In einer bizarren Wendung streben polnische Staatsanwälte die Verhaftung dreier russischen Fluglotsen vom Flughafen Smolensk an: Diesen wird vorgeworfen, den Absturz, bei dem im Jahr 2010 Polens Ex-Präsident Lech Kaczyński ums Leben kam, vorsätzlich verursacht zu haben.
"Nicht den Schikanen der Polen ausliefern": Russische Fluglotsen sollen vor polnisches GerichtQuelle: Reuters © Pawel Kopczynski

Polnische Ermittler haben am 16. September "beim Bezirksgericht der Region Warschau-Mokotów einen Antrag auf vorläufige Festnahme" dreier russischer Fluglotsen gestellt, gab Ewa Bialik, eine Sprecherin der Generalstaatsanwaltschaft, am Mittwoch vor Journalisten bekannt

Die gegen die Fluglotsen erhobene Anklage umfasst die vorsätzliche Herbeiführung eines Flugzeugabsturzes, der den Tod vieler Menschen zur Folge hatte.

"Russland wird seine Bürger nicht den Schikanen der Polen ausliefern"

Das offizielle Wiederaufwärmen des Vorfalls durch die polnische Staatsanwaltschaft wurde von der russischen Seite mehrfach negativ kommentiert. Der stellvertretende Vorsitzende des Internationalen Komitees im Russischen Föderationsrat, Andrej Klimow, erklärte:

Russland wird im Fall Kaczyński die Fluglotsen nicht an Polen ausliefern, die russische Verfassung verbietet dies.

Alexej Kondratjew, ebenfalls Mitglied des russischen Föderationsrates, bezog sich auf die längst feststehenden Ergebnisse der internationalen Ermittlung – RIA Nowosti zitiert:

Alle Expertengutachten im Rahmen der Ermittlung unter Beteiligung internationaler Luftfahrtspezialisten wiesen auf die Schuld der Piloten des Flugzeugs des polnischen Präsidenten.

Russland wird seine Bürger nicht den Schikanen der Polen ausliefern", betonte Kondratjew.

Nach Angaben des Internationalen Luftfahrtausschusses war die direkte Ursache des Absturzes die Entscheidung der Besatzung, nicht zum Reserveflugplatz weiterzufliegen. Zu den systemischen Ursachen gehörten Mängel bei der Ausbildung der Besatzung und bei der Vorbereitung des unglücklich geendeten Fluges.

PR-Bemühung im Rahmen der expansionistischen Kampagne Polens gegen Weißrussland

Elena Panina, Mitglied des Komitees für internationale Angelegenheiten in der russischen Staatsduma, erinnerte daran, dass die Anschuldigungen gegen Moskau im Fall Kaczyński bis zuletzt eine ausschließlich innenpolitische Sache innerhalb Polens war, die die nationalistische PiS-Partei gegen ihre Opponenten ausnutzte. Bislang haben "diese Anschuldigungen sogar in Polen selbst kaum jemand außerhalb russophober Kreise wahrgenommen – angesichts ihrer offensichtlich wahnwitzigen Natur."

Das erneute Aufkommen von Verschwörungsfantastereien der polnischen Regierung ist unmittelbar mit den Ereignissen in Weißrussland verbunden, welches sie sehr gern unter ihre Fittiche bringen würde und halbwegs als ihre Kolonie ansieht.

In der Tat schloss der weißrussische Präsident Lukaschenko am 17. September die Grenzübergänge zu Polen, Litauen und der Ukraine und erklärte, die Hälfte seines Militärs mobilisiert zu haben.

"Spektakel und Hetze gegen die Fluglotsen einstellen"

Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Marija Sacharowa, reagierte ähnlich entrüstet – RIA Nowosti zitiert: 

Ich möchte daran erinnern, dass in Polen schon seit mehreren Jahren hartnäckig die verschwörungstheoretische Version des tragischen Vorfalls propagiert und eine erneute Untersuchung des Flugzeugabsturzes durchgeführt wird, um die russische Seite für das Flugzeugunglück verantwortlich zu machen – obwohl bereits im Jahr 2011 die Gründe für den Absturz im Bericht des Internationalen Luftfahrtausschusses klar definiert wurden, dessen Ausführungen auch die polnische Seite zustimmte.

Jahre später versucht Warschau nun unter Missachtung der Tatsachen, die Situation ad absurdum zu führen – offenbar, um aus der Tragödie politisches Kapital zu schlagen und Russland die Schuld für das Geschehene zuzuschieben (...) Wir rufen unsere Partner auf, dieses Spektakel zu beenden und die Hetze gegen die russischen Fluglotsen einzustellen. Alle Versuche Warschaus, ihre Auslieferung zu erwirken, sind vergeblich. Gemäß unserer Verfassung hat Russland unter keinen Umständen das Recht, seine Bürger an irgendjemanden auszuliefern.

Allgemeine Information

Kaczyński und seine Frau gehörten zu den 96 Menschen an Bord der Tu-154M der polnischen Luftwaffe, die bei Smolensk in Westrussland am 10. April 2010 während des Versuchs, bei dichtem Nebel zu landen, abstürzte. Die Reise erfolgte im Rahmen einer diplomatischen Kampagne des damaligen russischen Präsidenten Dmitri Medwedew zur Verbesserung der Beziehungen Moskaus mit Warschau. Bei Untersuchungen seitens polnischer wie russischer zuständiger Organe wurden keine technischen Probleme mit dem Flugzeug festgestellt und Fehler der Piloten als Ursache des Absturzes festgemacht.

Damals stellte man in Polen selbst ernsthafte Probleme mit der Organisation und den Standards der betroffenen Luftwaffeneinheit fest – diese wurde daraufhin aufgelöst.

Jedoch beharrt der Zwillingsbruder des Präsidenten, Jarosław Kaczyński, seither darauf, dass der Absturz durch irgendeine Art Tücke seitens Russlands verursacht wurde.

Bei polnischen und internationalen Untersuchungen wurden keine Indizien gefunden, die seine Behauptungen stützen. Nichtsdestoweniger scheinen seine Behauptungen in der polnischen Öffentlichkeit an Boden gewonnen zu haben – so sehr, dass eine Anfang dieses Jahres veröffentlichte Umfrage ergab, dass 44 Prozent der Polen jenen Flugzeugabsturz jetzt – also sage und schreibe zehn Jahre später – für das wichtigste "aktuelle Problem" zwischen Warschau und Moskau hielten. In Russland selbst wird das Thema kaum noch wahrgenommen, da Polen allgemein kaum auf der aktuellen Prioritätenliste Moskaus steht.

Obwohl Jarosław Kaczyński derzeit kein Wahlamt bekleidet, ist er Vorsitzender der regierenden nationalistischen PiS-Partei, die seit 2015 an der Macht in Polen ist. Die aktuellen Anklagen gegen die russischen Fluglotsen gründen auf einer Behauptung polnischer Ermittler aus dem Jahr 2018, dass in den Trümmern Sprengstoffspuren gefunden worden sein sollen. Allerdings wurden weder bei der ursprünglichen Untersuchung noch später in den damals entnommenen Bodenproben derartige Befunde festgestellt.

Der Absturz bei Smolensk war ein massiver Rückschlag für alle Versuche, die polnisch-russischen Beziehungen wieder ins rechte Lot zu bringen: Kaczyński sollte an einer Gedenkveranstaltung zur Erinnerung an die Tötung polnischer Soldaten im Wald von Katyn während des Zweiten Weltkriegs teilnehmen.

Unter der PiS-Regierung stieß Polen wiederholt auf diplomatischer Ebene mit Russland zusammen, während es gleichzeitig andere NATO-Staaten drängte, dauerhaft Truppen auf seinem Territorium zu stationieren. Doch auch mit der EU focht Warschau zahlreiche politische Kämpfe aus: Die Europäische Union wandte sich wiederholt gegen die Politik der PiS-Partei, die im Widerspruch zu den von Brüssel offiziell vertretenen Werten steht.

Mehr zum Thema – Polen tritt aus europäischem Abkommen für Frauenrechte aus

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