Beobachtet der Verfassungsschutz RT Deutsch wegen Corona? Wie BILD Fake News verbreitet
Am Dienstagabend veröffentlichte das Onlineportal Bild.de einen Artikel, dessen Hauptaussage lautete, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und das Bundeskriminalamt RT Deutsch beobachteten, weil dieses propagandistisch über die Corona-Epidemie berichte.
Als Beispiele für diese Propaganda nennt der Autor des Artikels, der RT Deutsch und Russland in herzlicher Abneigung verbundene Bild-Redakteur Julian Röpcke, das Interview mit dem Internisten Claus Köhnlein, das Gespräch mit dem Ökonomen Max Otte, einen Standpunkt von Kani Tuyala und ein Gespräch mit dem Arzt Bob Arnot über das Händewaschen.
Nun ist die Berichterstattung von RT Deutsch über die Corona-Epidemie überaus vielfältig. Innerhalb der Redaktion sind die Meinungen über die Größe der von dem Virus ausgehenden Gefahr und die Angemessenheit der von staatlicher Seite getroffenen Maßnahmen geteilt. Die Debatten über diese Fragen sollten allerdings offen geführt werden.
Die von Bild.de beanstandeten Interviews waren ebendies – Interviews. Die Aussagen der Experten waren als Meinungsäußerungen gekennzeichnet. Und Tuyala stellt – anders als von Bild.de unterstellt – ganz zu Beginn seines Standpunktes fest, dass das Coronavirus nicht künstlich erzeugt worden sei.
All das hätte ein objektiver Berichterstatter leicht feststellen können. Bild-Autor Röpcke allerdings spricht in seinem Artikel von "verzerrender Berichterstattung". Damit nicht genug, in der ersten Version des Artikels hieß es auch, dass "Putins Staatspropaganda" in Deutschland den Verfassungsschutz auf den Plan gerufen habe. Dieser und das BKA beobachteten RT Deutsch wegen dessen Berichterstattung zur Corona-Krise.
So lautete die Überschrift zunächst:
Wegen Corona-Propaganda – Verfassungsschutz nimmt Russen-Sender ins Visier
Allerdings änderte Bild.de mit Teilen des Artikels auch die Überschrift – und entfernte aus ihr jeden Bezug zu RT. Seit Mittwochvormittag heißt es dort:
Wegen Corona-Propaganda – Verfassungsschutz prüft Instrumentalisierung der Corona-Krise
Meine Güte, das brüllt ausgerechnet jemand von der Postille, die Masturbation als Mittel gegen #corona empfiehlt https://t.co/dxMOG22W82pic.twitter.com/lgFwyaBjjj
— Ivan Rodionov (@IvanRodionov_) March 24, 2020
Was war passiert? Röpcke hatte beiden Ämtern Anfragen geschickt und zumindest die Antwort des BfV so interpretiert, dass sich das Amt offenbar genötigt sah, zu intervenieren und auf eine Änderung zu dringen. Auf seinem Twitter-Account veröffentlichte Röpcke dankenswerterweise sowohl seine Fragen als auch die Antworten der Behörde.
Der Bild-Redakteur, auf dessen Gedankenwelt die Fragen einen tiefergehenden Blick erlauben, fragt zunächst, ob der Verfassungsschutz RT Deutsch wegen dessen Berichterstattung zur Corona-Krise beobachte. Darauf antwortete das Amt eher ausweichend, dass ihm RT Deutsch "bekannt" sei und er – und diese Aussage erfolgte offensichtlich ohne Bezug auf RT Deutsch – eine mögliche Instrumentalisierung der Corona-Krise beobachte.
+EIL+@BfV_Bund prüft, ob @RT_Deutsch „die Coronakrise instrumentalisiert“.@bka: Sender veröffentlicht Artikel, die die „Haltung der russischen Regierung in propagandistischer Weise verbreiten“.Mehr auf @BILD_Politik.https://t.co/6meUJYJPYi
— Julian Röpcke (@JulianRoepcke) March 24, 2020
Röpcke bastelte daraus die Aussage, dass das BfV RT Deutsch beobachte und prüfe, ob RT Deutsch die Krise instrumentalisiere. Nach einer Intervention des Amtes bei Bild.de versah er das Wort "beobachten" mit einem Sternchen und merkte unter dem Artikel an:
Das Bundesamt für Verfassungsschutz bat Bild telefonisch, darauf hinzuweisen, dass man RT Deutsch nicht im rechtlichen Sinne 'beobachte', sondern lediglich 'hinsehe'.
In einem später von ihm gelöschten Tweet berichtete Röpcke selbst von dem Anruf und schrieb:
Eben ruft das BfV bei mir an. Man habe mir keine Informationen zu RT Deutsch gegeben, beobachte nichts und prüfe nichts.
Ich habe fünf Fragen zu RT Deutsch gestellt, die Antwort begann mit RT Deutsch und benannte dann Einzelheiten.
Viel Spaß beim Shitstorm. Ich bleibe dabei.
Doch trotz der trotzigen Ankündigung des Autors blieb es nicht bei dieser kleinen Überarbeitung des Artikels. In der am Dienstag veröffentlichten Version des Stücks liegt der Fokus plötzlich nicht mehr auf der angeblichen Beobachtung durch den Verfassungsschutz.
Erinnert Ihr Euch noch an @julianroepckes großkotzige gestrige Aussage "Ich bleibe dabei", nachdem @BfV_Bund ihn auf seine #FakeNews über @RT_Deutsch hingewiesen hatte? Heute: @BILD-Artikel vollkommen überarbeitet & HL jetzt ohne jeden Bezug auf RT + fette Richtigstellung: pic.twitter.com/t6nNqdXuzO
— Florian Warweg (@FWarweg) March 25, 2020
Staatdessen werden nun Aussagen des FDP-Politikers Thomas Hacker in den Mittelpunkt gestellt, der erklärte:
Wir haben den Artikel überarbeitet & ergänzt, da sich das BfV anders verstanden haben will, als wir es getan haben.Der wortgleiche einleitende Satz bedeutet –im Gegensatz zum BKA– offenbar NICHT, dass sich der zweite Satz auf „RT Deutsch“ bezieht.Ergänzung, Fragen & Antworten: pic.twitter.com/52nLJH2Iap
— Julian Röpcke (@JulianRoepcke) March 25, 2020
Russische Staatspropaganda ist nicht Teil der Meinungsfreiheit. Sie ist eine Gefahr für die klassischen Medien und die Gesellschaft im Ganzen.
Offenbar hatte der FDP-Mann diese für einen Liberalen besonders bemerkenswerten Aussagen tatsächlich getroffen, sodass sie nicht geändert werden mussten. Unter dem Artikel werden die vorgenommenen Änderungen nun so erklärt (Fehler wie im Original):
In einer früheren Version des Artikels hatte Bild schriftliche Äußerungen des BfV dahingehend interpretiert, dass man RT Deutsch konkret beobachte und das 'fortlaufende Monitoring', inwieweit 'die Corona-Krise instrumentalisiert wird', auf die Aktivitäten des Senders beziehe. Das BfV legte nach Veröffentlichung des Artikels jedoch Wert darauf, dahingehend verstanden zu werden, dass RT Deutsch kein Beobachtungsfall im rechtlichen Sinne sei und man mögliche Instrumentalisierungen in der Corona-Krise ganz allgemein überwache.
Auf diese widerwillige Richtigstellung folgte dann allerdings noch die als Hoffnung verkleidete indirekte Aufforderung an den Verfassungsschutz, RT Deutsch doch wegen dessen Corona-Berichterstattung zu beobachten:
Angesichts der weiterhin problematischen Berichterstattung von 'RT Deutsch' (siehe Beispiel) bleibt jedoch zu hoffen, dass das BfV auch in Zukunft ganz genau auf die Vorgehensweise des Kreml-Senders sieht.
Auf Bild.de ist die Falschbehauptung, dass der Verfassungsschutz RT Deutsch wegen dessen Berichterstattung zur Corona-Epidemie beobachte, nicht mehr zu finden. Allerdings wurde die Meldung bereits von anderen Onlinemedien aufgegriffen – und dürfte sich so weiter verbreiten.
Mehr zum Thema - Seehofer, BSI und BMI widersprechen BILD-Chef Reichelts Darstellung zu Daten-Leak: Nein, nein, nein
Nachtrag der Redaktion:
RT Deutsch hat das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) um Stellungnahme zu der Berichterstattung von BILD gebeten:
Sehr geehrte Damen und Herren,
in einem Artikel auf Bild.de vom Dienstag heißt es, dass Ihr Amt RT Deutsch wegen dessen Berichterstattung zur Corona-Epidemie beobachte. Können Sie diese Aussage bestätigen?
Die Überschrift des Artikels lautet: 'Wegen Corona-Propaganda: Verfassungsschutz nimmt Russen-Sender ins Visier'. Ist diese Überschrift zutreffend?
In Ihrer Antwort an den Bild-Redakteur ist die Rede von einer Instrumentalisierung der Corona-Krise. Werfen Sie unserem Sender eine solche Instrumentalisierung vor? Wenn ja, welche Beiträge beanstanden Sie?
Mittlerweile hat das BfV auf die Anfrage von RT geantwortet. Aus der Antwort geht erneut hervor, dass das BfV, entgegen der Darstellung von Bild-Redakteur Röpcke, in keiner Form Stellung zu der Corona-Berichterstattung von RT Deutsch bezogen hatte.
Sehr geehrter Herr,
das BfV hat alle Anfragen zur Coronakrise mit der grundsätzlich geltenden u.a. Sprache beantwortet. Insofern basiert die Berichterstattung auf folgender Sprache:
'Eine der Prioritäten des BfV liegt aktuell auf einem fortlaufenden Monitoring, inwieweit in den durch das BfV bearbeiteten Phänomenbereichen die Coronakrise instrumentalisiert wird. Unabhängig von der Coronakrise bekämpfen wir mit gleichem Nachdruck und Konsequenz Extremismus, Terrorismus, Cyberangriffe und Spionageaktivitäten.'
Zitat BfV: "Eine der Prioritäten des BfV liegt aktuell auf einem fortlaufenden Monitoring, inwieweit in den durch das BfV bearbeiteten Phänomenbereichen die Coronakrise instrumentalisiert wird“. Röpcke macht daraus faktenfrei: "Verfassungsschutz nimmt Russen-Sender ins Visier" 😂
— Florian Warweg (@FWarweg) March 24, 2020
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