Profit vor Menschenleben: Zwei Klinikkonzerne bauen trotz Corona-Pandemie Personal ab
von Susan Bonath
Als Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) vor einigen Tagen vollmundig versichert hatte, das deutsche Gesundheitssystem sei auf die Corona-Pandemie gut vorbereitet, dürfte ihm das kaum ein Kassenpatient geglaubt haben. Schon vor dem Virus herrschte allerorts Pflegenotstand. Beschäftigte sind überlastet, leiden unter miesen Arbeitsbedingungen. Immer mehr Einrichtungen sind durch Privatisierungen zu einer Profitmaschine für Konzerne geworden, haben Kreißsäle, Frauen- und Kinderstationen geschlossen, weil diese zu hohe Kosten verursachen und zu wenig Geld, sprich Profit, bringen.
Wie wenig die Privatiers das Schicksal Kranker interessiert, zeigen aktuell zwei Unternehmen in Sachsen-Anhalt. Mitten in der Corona-Krise planen sie, Personal zu entlassen. Eine Klinik will sogar ganz schließen.
Keine Rücksicht auf Schwerkranke?
In Havelberg hat der private Betreiber des dortigen Krankenhauses nun Nägel mit Köpfen gemacht. Am Sonntag gab der Anwalt des Betriebsrats, Karsten Sparchholz, gegenüber der Regionalzeitung Volksstimme bekannt, die KMG Kliniken SE werde noch im März den Beschäftigten kündigen. Der Konzern will aus der Einrichtung ein Seniorenheim machen, weil er "keine Aussicht auf schwarze Zahlen" sieht. Er beruft sich dabei auf eine Vereinbarung mit dem Landkreis aus dem Jahr 2013, welche diese Möglichkeit erlaube.
Es sei ""absurd, in Zeiten von Corona ein Krankenhaus zu schließen"", sagte Sparchholz der Volksstimme. Doch KMG habe es kategorisch abgelehnt, die Schließung auch nur zu verschieben. Dabei habe das Klinikpersonal kürzlich drei Isolierräume mit Schleusen für Corona-Verdachtsfälle errichtet. Diese sollten die Beschäftigten dem Anwalt zufolge nun auf Anweisung von KMG zurückbauen.
Der Klinikkonzern relativierte am Sonntag die Darstellung des Betriebsratsanwalts. Richtig sei, dass Räume, in denen Corona-Verdachtsfälle provisorisch isoliert werden sollten, wegen Sanitärarbeiten in den Decken gesperrt werden sollten, teilte dessen Vorstandschef Stefan Eschmann mit. Man habe die Arbeiten verschoben. Außerdem plane der Konzern, das Krankenhaus dann vorläufig weiter zu betreiben, falls es einen Beitrag bei der Versorgung von COVID-19-Erkrankten leisten könne. Zu den Kündigungen äußerte sich er sich hingegen nicht.
Dem Betriebsrat und den Medien warf er stattdessen vor, die Corona-Krise zu instrumentalisieren. "Die geplante Umwidmung des Krankenhauses in ein Seniorenheim stellt uns alle vor große Herausforderungen", so Eschmann. Er hält es für "nicht akzeptabel, mit den Ängsten der Menschen zu spielen".
"Systematisch heruntergefahren"
Der Konzern hatte seine Pläne zum Umbau im Januar verkündet, das Klinikpersonal wehrt sich dagegen. Jens Berek von der Gewerkschaft Verdi sprach vorige Woche gegenüber der Autorin von einer "Protestwelle". Betroffene hätten rund 12.000 Unterschriften gegen die Schließung des Hauses in der Kleinstadt mit knapp 7.000 Einwohnern gesammelt und in der vergangenen Woche an Sachsen-Anhalts Sozialministerin Petra Grimm-Benne (SPD) übergeben. Sie habe versprochen, nach Lösungen zu suchen.
Gewerkschafter Berek kritisierte den zunehmenden Ausverkauf im Gesundheitswesen. Allein in seinem Bundesland Sachsen-Anhalt werde inzwischen gut ein Drittel der Krankenhäuser von privaten Unternehmen betrieben, ein weiteres Drittel unterstehe gemeinnützigen Trägern, mahnte er und forderte: "Profitinteressen haben in der Gesundheitsversorgung nichts zu suchen."
So dreht sich auch in Havelberg alles um die Rendite. Laut Berek sei dort erst vor kurzem eine Intensivstation mit Steuergeldern neu gebaut worden. "Die wurde aber nie in Betrieb genommen", so der Verdi-Mann. Er ergänzte: "Das Unternehmen hat das Krankenhaus in den vergangenen Jahren systematisch heruntergefahren und öffentliche Gelder versenkt."
Abbau von Klinikpersonal auch im Burgenland
Abgebaut wird trotz Corona-Pandemie auch im Burgenlandkreis im Süden Sachsen-Anhalts. Der für den Bezirk zuständige Verdi-Fachbereichsleiter für "Gesundheit, soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen" Bernd Becker hat vergangene Woche von den Kündigungsplänen der SRH Holding aus den Nachrichten erfahren, wie er der Autorin sagte. Die Privatstiftung hat die beiden ehemals kommunalen Krankenhäuser in Zeitz und Naumburg erst im Januar aus der Insolvenz übernommen. Nun will sie 100 Beschäftigte aus den Bereichen Therapie und Verwaltung entlassen.
Becker kennt die Probleme, die zu Insolvenzen von Kliniken führen. Mitverantwortlich sei das System der Fallpauschalen. "Es gab zu wenig lukrative Fälle und vom Staat nicht genügend Mittel für Investitionen", erklärte er. Dies trieb die zum Burgenland-Klinikum gehörenden beiden Einrichtungen in die Bredouille. Nach der Insolvenz im vergangenen Oktober verkündete Sanierungsmanager Arne Berndt zunächst die Schließung der Frauen- und Kinderstation sowie des Kreißsaals in Zeitz. Diese Bereiche, so Becker, würden überall zuerst geschlossen. Der Grund: Sie bringen weniger Geld ein als etwa eine Spezialchirurgie.
Corona-Pandemie verschärft Unterversorgung
Das Bündnis "Krankenhaus statt Fabrik", in dem – neben anderen – auch Pflegekräfte, Ärzte, Gewerkschafter und Politiker seit Mai 2015 organisiert sind, sieht das Grundproblem ebenfalls in der Unterwerfung des Gesundheitssystems unter den Profitzwang des Marktes. "Unsere Krankenhäuser sind auf ökonomische Effizienz getrimmt", kritisierte das Bündnis Ende vergangener Woche in einer Mitteilung. Konkret bedeutet dies: Über Fallpauschalen würden nur erbrachte Leistungen, nicht aber eben "nur" das Vorhalten von Betten und Therapie-Kapazitäten für einen Notfall finanziert.
In der Folge seien Einrichtungen nicht erst seit der Corona-Krise gezwungen, an Personal zu sparen und – insbesondere in Intensivstationen – ihre Plätze zu sperren. In den letzten Jahren sei das System deshalb bereits enorm geschrumpft worden, bemängelte das Bündnis. Bilanzen ersetzten jegliche Planung nach dem Aspekt von Bedarf und Versorgung. Defizitäre Kliniken machten unprofitable Abteilungen dicht oder schlössen komplett. Die Autoren konstatieren:
Schon heute ist die Versorgung der ländlichen Bevölkerung mit Kinderkliniken und Geburtshilfe-Abteilungen nicht mehr ausreichend gewährleistet. Die Corona-Pandemie wird die Unterversorgung dramatisch verschärfen.
Das Bündnis fordert ein komplettes Umdenken. Die gesamte Daseinsvorsorge inklusive Kliniken müsse "demokratisch geplant und betrieben werden, wo sie für die qualitativ gleichwertige Versorgung gebraucht wird". Einrichtungen dürften daher keine Gewinne erwirtschaften, Verluste seien auszugleichen. Dies ebenso wie eine angemessene Personal-Ausstattung seien "elementare Voraussetzungen".
Minister Spahn setzt auf Rentner und Studenten
Hintergrund sind Äußerungen und Entscheidungen aus dem Gesundheitsministerium. Minister Spahn hatte am 4. März zunächst gelobt, dass Deutschland für die Pandemie gut gewappnet sei. Daran glaubt er offenbar selbst nicht. Denn zugleich verkündete er das Aussetzen der erst im Januar eingeführten Personal-Untergrenze im Pflegebereich.
Am vergangenen Donnerstag fassten die Kabinettschefs der Länder Medienberichten zufolge bei einem Treffen im Bundeskanzleramt einen weiteren Entschluss: Ab dieser Woche sollen Krankenhäuser alle Eingriffe, bei denen dies "medizinisch vertretbar" sei, bis auf weiteres aussetzen, um Platz für schwer erkrankte COVID-19-Patienten zu schaffen, die beatmet werden müssen. Laut einer AFP-Meldung appellierte Spahn zudem an die Kliniken, Studenten und verrentete oder pensionierte Pflegekräfte und Ärzte zu rekrutieren, gegebenenfalls im Crashkurs auszubilden.
Vor knapp zwei Jahren, im April 2018, hatte der damals frisch gebackene Gesundheitsminister noch einen radikalen Rückbau von Notfallambulanzen in kleineren Kliniken gefordert. Einige hat es seither tatsächlich getroffen – meist wegen mangelnder Finanzierung. Laut Statistischem Bundesamt sank die Zahl der Klinikbetten insgesamt von 572.000 im Jahr 1998 auf weniger als eine halbe Million im Jahr 2017. Im gleichen Zeitraum sank die Zahl der Kliniken von rund 2.400 auf 1.950 Einrichtungen.
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