Gängeln statt fördern: Jobcenter schichten eine Milliarde Euro um
von Susan Bonath
Fördern und Fordern, so lautet die propagierte Devise hinter Hartz IV. Mit Letzterem rechtfertigt die Bundesagentur für Arbeit (BA) die massenhaft praktizierten Kürzungen des Existenzminimums, sobald Leistungsbezieher nicht hinreichend die Auflagen der Jobcenter erfüllen. Das Fördern steht aber weiter hinten an: Rund eine Milliarde Euro zweigte die BA im vergangenen Jahr von den Mitteln für "Eingliederung in den Arbeitsmarkt" ab. Die Jobcenter benötigten es für ihre Verwaltungsapparate, wie aus einer Antwort der Bundesregierung an die Linke-Abgeordnete Sabine Zimmermann hervorgeht.
Danach hatte die Bundesregierung im Haushaltsplan 2019 rund 4,9 Milliarden Euro für Maßnahmen veranschlagt, mit denen sich Erwerbslose für den Arbeitsmarkt weiterbilden können. Die BA hatte aber nur 3,9 Milliarden Euro ausgegeben. Der Rest sei großteils in die Verwaltung der Jobcenter geflossen. Dafür hätten der Behörde 5,1 Milliarden Euro zugestanden, verbraucht habe sie aber fast sechs Milliarden Euro. Von einem Bürokratieabbau, der ein Ziel zahlreicher Hartz-IV-Reformen in der Vergangenheit war, kann demnach keine Rede sein.
86 Prozent der Mittel für "Sozialen Arbeitsmarkt" versickern in der Bürokratie
Auch ein Großteil der Mittel für den sogenannten Sozialen Arbeitsmarkt ginge für die Verwaltung der Jobcenter drauf. Laut ihrer Antwort hatte die Bundesregierung dafür 700 Millionen Euro in den Haushalt für 2019 eingestellt. Die BA habe aber gerade einmal 95,1 Millionen Euro – weniger als 14 Prozent – dafür ausgegeben. Der Rest versickerte offenbar in der Bürokratie.
Das Programm "Sozialer Arbeitsmarkt" ist eine Art Neuauflage der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) in den 1990er Jahren. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hatte es im Zuge der kritischen Debatte um Hartz IV und Langzeiterwerbslosigkeit im Jahr 2018 in das "Teilhabe-Chancen-Gesetz" gegossen, im vergangenen Jahr wurde es eingeführt. Der "Soziale Arbeitsmarkt" sollte Menschen, die lange Zeit ohne Job waren, als "Sprungbrett in den ersten Arbeitsmarkt" dienen.
Arbeitsbeschaffungsprogramm beschert Firmen billige Arbeitskräfte
Das Arbeitsbeschaffungsprogramm "fördert" vor allem Unternehmen. Stellt eine Firma jemanden ein, der mindestens sechs Jahre lang von Hartz IV gelebt oder damit aufgestockt hat, bekommt sie zwei Jahre lang den kompletten Lohn auf dem Niveau eines geltenden Tarifvertrages oder des Mindestlohns erstattet. In den folgenden drei Jahren schmilzt der Zuschuss um jeweils zehn Prozent. Für neu Eingestellte, die mindestens zwei Jahre erwerbslos waren, gibt es im ersten Jahr 75 Prozent, im zweiten den halben Lohn erstattet. Teilnehmer erhalten obendrauf einen Coach, der sie anleiten soll.
Ende Januar hatte Heils Behörde gelobt, inzwischen 42.000 Menschen auf diese Weise in Lohn und Brot gebracht zu haben. Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein: Laut Bundesregierung waren im Dezember 2019 rund eine Million Menschen sogar seit zehn oder mehr Jahren auf Hartz IV angewiesen.
Jobcenter bieten kaum sinnvolle Förder-Maßnahmen
Die Linke-Sozialpolitikerin Sabine Zimmermann forderte am Mittwoch, die Umschichtung von Eingliederungsmitteln in den Verwaltungsetat umgehend zu beenden. "Die Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung ist verfehlt und muss grundlegend neu ausgerichtet werden", erklärte sie.
Die Behörden müssten endlich klären, warum das Geld nicht für Betroffene genutzt wird. "Viele erwerbslose Menschen wünschen sich eine bessere Förderung, wie zum Beispiel Weiterbildung, die ihnen aber oft verwehrt wird", sagte Zimmermann.
Wie die Jobcenter bei Fördermaßnahmen sparen, weiß die ehemalige Arbeitsvermittlerin Inge Hannemann (Die Linke). "Individuelle Fortbildung oder Umschulungen, die Menschen wirklich weiterbringen, gibt es kaum", sagte sie im Gespräch mit der Autorin. Stattdessen sei "Massenabfertigung" die Regel.
So kauften die Jobcenter vorab möglichst günstig ganze Maßnahmenpakete bei diversenTrägern ein. "Und die müssen dann auch besetzt werden", erklärte Hannemann. So passiere es, dass jemand zum fünften Bewerbungstraining oder Ein-Euro-Job verpflichtet werde. Besonders ärgert sie, dass die Umschichtung erlaubt sei. Allerdings habe Minister Heil versprochen, zumindest die Mittel für den "Sozialen Arbeitsmarkt" ausnahmslos für diesen zu verwenden. "Das ist nicht passiert", so Hannemann.
Jährlich Millionen durch Sanktionen eingespart
So teuer der Verwaltungsapparat der Jobcenter auch ist: Bei den Leistungsbeziehern kennt die Sparwut der BA keine Grenzen. Wie die Bundesregierung vor einigen Wochen ebenfalls auf Anfrage der Linksfraktion mitgeteilt hatte, behielten die Jobcenter durch Sanktionen allein im Jahr 2018 rund 174 Millionen Euro ein. In den beiden Jahren zuvor war die Summe, die sich durch Kürzungen des Existenzminimums ansammelte, ähnlich hoch.
Seit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) in Karlsruhe vom 5. November 2019 dürfen Jobcenter Hartz-IV-Bezieher nur noch mit Sanktionen bis zu einer Höhe von 30 Prozent bestrafen, wenn diese etwa nicht die Anzahl geforderter Bewerbungen nachweisen oder eine Maßnahme ablehnen. Zuvor sanktionierten sie in Stufen. Über 25-Jährigen kürzten sie beim ersten Vergehen innerhalb eines Jahres die Bezüge um 30 Prozent. Beim zweiten Mal gab es drei Monate lang 60 Prozent weniger, beim dritten Mal fiel alles weg. 15- bis 24-Jährige konnten sie bereits beim ersten "Regelverstoß" den gesamten Regelsatz für ein Vierteljahr kappen, beim zweiten auch den Mietzuschuss.
Trotz Karlsruher Urteil: CDU, FDP und AfD Hartz-IV-Bezieher weiter hart bestrafen
Allerdings forderten bereits mehrere CDU-Politiker trotz des BVerfG-Urteils, die harten Strafen durch die Hintertür fortzusetzen. Wenn jemand nicht mitspiele, müsse es möglich sein, ihm die Leistung zu entziehen, mahnten zum Beispiel die CDU-Arbeitsminister aus vier Bundesländern. Ebenso äußerten sich bereits FDP- und AfD-Politiker im Bundestag negativ über eine Abmilderung der Strafen.
Laut einer BA-Statistik lebten zuletzt knapp 5,6 Millionen Menschen in Familien, die auf Hartz IV angewiesen waren, darunter etwa 1,9 Millionen Kinder. Etwa 400.000 Kinder davon sind aber nicht leistungsberechtigt. Sie leben zumeist bei Alleinerziehenden und erhalten zum Kindergeld noch Unterhalt vom Kindesvater oder den entsprechenden Vorschuss vom Jugendamt. Diese Leistungen sind zusammen gerechnet aber oft höher als der Kinderregelsatz. Einem Kleinkind bis zu fünf Jahren stehen beispielsweise 250 Euro zu. Die diese Summe übersteigenden Kinderleistungen ziehen Jobcenter dem erziehenden Elternteil ab.
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